Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Jer 1,4-5. 17-19)
In den Tagen Joschijas, des Königs von Juda, erging das Wort des Herrn an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. Gürte dich, tritt vor sie hin, und verkünde ihnen alles, was ich dir auftrage. Erschrick nicht vor ihnen, sonst setze ich dich vor ihren Augen in Schrecken. Ich selbst mache dich heute zur befestigten Stadt, zur eisernen Säule und zur ehernen Mauer gegen das ganze Land, gegen die Könige, Beamten und Priester von Juda und gegen das Volk auf dem Land. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten - Spruch des Herrn. (Jer 1,4-5. 17-19)
Werbung, die zum Widerstand aufruft!
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist ein ganz neues Phänomen: Sowohl im Radio als auch im Fernsehen begegnen entsprechende Werbespots dieser Tage immer wieder. Da wird deutlich und drastisch dazu aufgefordert, den Mund aufzumachen, einzuschreiten und gegen Unrecht aufzustehen. Widerstand gegen den "rechten Flächenbrand" wird da gefordert.
Das ist ein ganz neues Phänomen. Man ruft uns zum Widerstand auf! Bei uns hat es so etwas, denke ich, noch nie gegeben. Früher war Ruhe die erste Bürgerpflicht. Und Widerstand, das hatte immer etwas mit Aufruhr zu tun, mit Auflehnung gegen die Obrigkeit. Widerstand, das roch nach Chaoten, nach unverbesserlichen Weltverbesserern, nach langhaarigen Typen und Elementen, die für viele eigentlich ins Gefängnis gehörten.
Und Christen taten sich mit dem Gedanken an Widerstand meist noch einmal so schwer. Hat Christus nicht Friedfertigkeit gepredigt, davon gesprochen, dass man ungerechtes Leid lieber ertragen solle, als selbst Gewalt zu üben? War nicht Demut und Duldsamkeit sein Thema?
Ich kann mich noch gut an die Diskussionen vor allem in den Siebzigern erinnern, als im Zeichen des Pazifismus gesagt wurde, dass man sich im Sinne Jesu doch eigentlich selbst dann nicht wehren dürfe, wenn man angegriffen wird. Widerstand hat im christlichen Gedankengebäude eigentlich nie einen rechten Platz gehabt, schien sogar etwas unchristliches, ja geradezu unbiblisches zu sein.
Nicht umsonst haben sich Christen, selbst angesichts des Terrorregimes des Nationalsozialismus, haben sich ein Alfred Delp und ein Dietrich Bonhoeffer das Gewissen zermartert, ob man denn im Widerstand gegen Hitler wirklich zum letzten Mittel greifen dürfe. Christsein und Widerstand das schien einfach nicht zusammen zu passen.
Froh bin ich da, dass Gott selbst uns offensichtlich eines besseren belehrt.
Wenn uns heute in der Lesung die Berufung des Jeremia vor Augen geführt wird, dann macht Gott selbst in dieser Stelle ganz deutlich, wozu er seinen Propheten ruft. Jeremia soll eintreten für Gottes Rechtsordnung, soll die Mächtigen im Land, ja sogar das ganze Volk wieder an Gottes Wegweisung erinnern. Und er soll dabei auftreten, wie eine eiserne Säule, eine eherne Mauer und eine befestigte Stadt, er soll auftreten gegen alle Ungerechtigkeit, alle Unmenschlichkeit und jede Unterdrückung. Gott selbst ruft auf zum Widerstand. Er bestellt seinen Propheten zum Widerstandskämpfer, Widerstand gegen alle Unterdrückung und Unmenschlichkeit.
Und das nicht nur zur Zeit Jeremias. Auch Jesus hat Unmenschlichkeit angeprangert - überall, wo sie ihm begegnete. Auch er ist, wie Jeremia, gegen politische Größen, gegen die Repräsentanten der Religion, selbst gegen das ganze Volk aufgestanden, und hat Stellung bezogen. Wo Menschen - von wem auch immer - ihrer Würde beraubt wurden, wo leere Prinzipen, Bürokratismen und Strukturen plötzlich wichtiger wurden, als der Mensch, dort hat Jesus nicht einfach weggeschaut, dort hat er Stellung bezogen. Und er hat dadurch erneut deutlich gemacht, dass der Gott an den wir glauben, ein Gott ist, der auf der Seite der Schwächeren und der Unterdrückten steht.
Schon in Ägypten hat dieser Gott das Schreien seines Volkes gehört, und im Magnificat beten wir bis heute, dass er die Niedrigen erhöht.
Wer den Willen dieses Gottes befolgen und wer Jesus Christus wirklich nachfolgen möchte, der darf deshalb eines nicht tun: Er darf unter keinen Umständen, wie die drei berühmten Affen, Augen, Ohren und Mund verschließen und so tun, als ginge ihn Unrecht, das anderen widerfährt überhaupt nichts an. In Menschen, wie Jeremia hat Gott uns überdeutlich klar gemacht, dass er ein Gott ist, der uns dazu ruft, Unrecht beim Namen zu nennen, dagegen anzugehen und - wo es nötig wird - auch Widerstand zu leisten.
Werbung, die zum Widerstand aufruft - Mit der heutigen Lesung reiht sich Gott in diese Aktion ein. Er selbst ruft uns zu, nicht tatenlos zuzusehen, wie Gewalt gegen Menschen auch unter uns erneut um sich greift. Und er versichert uns, genauso wie dem Jeremia: Steht mutig auf, und habt keine Angst! Mögen sie euch auch bekämpfen, sie werden euch nicht bezwingen! Denn - so spricht der Herr - ich bin bei euch, um euch zu schützen.
Amen.
(gehalten am 27./28. Januar 2001 in der Peters- und Stadtkirche, Bruchsal)