Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
26. Dezember - Hl. Stephanus (Apg 6,8-10; 7,54-60)
In jenen Tagen tat Stephanus, voll Gnade und Kraft, Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Doch einige von der so genannten Synagoge der Libertiner und Zyrenäer und Alexandriner und Leute aus Zilizien und der Provinz Asien erhoben sich, um mit Stephanus zu streiten; aber sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen. Als sie das hörten, waren sie aufs äußerste über ihn empört und knirschten mit den Zähnen. Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten gemeinsam auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß. So steinigten sie Stephanus; er aber betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Dann sank er in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Nach diesen Worten starb er. (Apg 6,8-10; 7,54-60)
"Wer sich so etwas zu sagen traut, der würde gleich gesteinigt werden!", hat mir vor wenigen Wochen ein Chemiker gesagt. Wir hatten uns über Elektromobilität unterhalten und über das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen.
Das sei unmöglich, hat er mir erklärt. Nur um die nötigen Akkus dafür herzustellen, bräuchte allein Deutschland alles Lithium, das weltweit zur Verfügung steht. Jeder Wissenschaftler wisse das und unsere Politiker wüssten das letztlich auch - zumal bei einer Kanzlerin, die selber Physikerin ist.
"Da wird uns dann aber doch etwas vorgemacht!", meinte ich. "Warum steht da niemand hin und sagt der Öffentlichkeit, dass all diese Pläne Unsinn seien?" - "Das traut sich niemand mehr", sagte mein Gegenüber, "Wer so etwas sagt, über den fallen sofort sämtliche Medien her. So jemand wird von der Öffentlichkeit geradezu gesteinigt!"
Liebe Schwestern und Brüder,
anscheinend werden auch heute noch Menschen "gesteinigt". Gut, da fliegen keine richtigen Steine mehr, aber das Ergebnis ist mitunter auch ziemlich schmerzhaft.
Da wird die gesellschaftliche Stellung von Menschen vernichtet, da wird ihnen ihr Ansehen genommen und sie werden letztlich ihrer Würde beraubt.
Und das einfach deshalb, weil es auch heute noch Dinge gibt, die man einfach nicht hören möchte.
Und dazu gehört wohl, dass man nicht sagen darf, dass das nicht funktionieren wird: Wir können nicht so weiterleben, wie wir das bislang gewohnt sind, ohne dabei diese Welt für nachfolgende Generationen schlicht und ergreifend kaputt zu machen. Wenn wir das nicht wollen, dann werden wir unsere Ansprüche herunterschrauben müssen, dann werden wir uns einschränken müssen - und zwar ganz gewaltig.
Solch eine Aussage weckt natürlich keine Begeisterung. Natürlich bekommt man keinen Applaus, wenn man unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält oder sogar deutlich macht, dass wir nicht zu den Guten gehören. Es ist eben beileibe nicht nur ein Donald Trump, der die Wirtschaft über den Klimaschutz stellt. Eigentlich müsste doch augenfällig sein, dass unsere Politik kein bisschen anders handelt. dass auch bei uns der Schutz unserer Umwelt immer hintanstehen muss, wenn es um wirtschaftliche Belange geht.
Und wir sind auch nicht die Guten, wenn es um Flüchtlinge geht. Was soll das Gerede, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen würden. Schon ein oberflächlicher Blick auf die Tatsachen belegt doch, dass wir unseren Wohlstand darauf gründen, andere Regionen der Erde regelrecht auszubeuten und den Menschen vor Ort jegliche Perspektive auf ein einigermaßen geglücktes Leben zu nehmen.
Und selbst dort, wo wir - wie in der Griechenlandkrise - gigantische Geldbeträge zur angeblichen Rettung eines ganzen Landes aufbringen, dienen dieselben, bei Licht betrachtet, am Ende doch nur der Sicherung der Einlagen derer, die schon jetzt nicht mehr wissen, wohin sie mit ihrem Geld sollen. Bei der eigentlichen Bevölkerung ist von all diesen Milliarden doch kein Cent wirklich angekommen.
Falls Sie sich fragen, was das alles jetzt mit Weihnachten zu tun hat, warum man ausgerechnet an Weihnachten mit diesen Themen anfangen muss und ob es heute nichts anderes zu sagen gäbe, dann haben Sie Recht: Damit beschäftigt man sich das ganze Jahr über schon recht ungern.
An Weihnachten will man so etwas schon zweimal nicht hören. Jetzt geht es schließlich um Stimmung, um Atmosphäre und, noch weit mehr als schon das übrige Jahr hindurch, um den schönen Schein.
Umso bemerkenswerter ist, dass uns die Liturgie ausgerechnet an Weihnachten mit einer Steinigung konfrontiert, mit einem Menschen, der schon damals, in biblischer Zeit, für Wahrheiten, die keiner hören wollte, den Kopf hingehalten hat. Und die Texte des Weihnachtsgottesdienstes am heutigen Tag weisen deshalb - und vielleicht gerade weil das heute so wenig zu passen scheint - überdeutlich darauf hin, dass es genau das braucht: dass es Menschen braucht, die - ob gelegen oder ungelegen -, den Mund aufmachen und den Finger in die Wunde legen. Vielleicht gerade dann, wenn es am wenigsten passt.
Es braucht Menschen, die ungeliebte Wahrheiten aussprechen - und jetzt wirkliche Wahrheiten, nicht gefühlte; wirkliche, kein alternativen Fakten. Es braucht Menschen, die sogar bereit sind, den Kopf dafür hinzuhalten. Denn es bringt nichts, denselben in den Sand zu stecken und die Augen zu verschließen. Manchmal gibt es nämlich nichts Wichtigeres, als das Steuer herumzureißen.
Und manchmal ist nichts notwendiger als Menschen, die den Mut haben, genau daran zu erinnern.
Diese Menschen braucht es. Und es braucht sie gerade heute.
Stephanus legt Zeugnis dafür ab.
Amen.
(gehalten am 26. Dezember 2017 in der Heilig-Kreuz-Kirche, Ettenheim-Münchweier)