Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
7. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr A (Apg 1,12-14)
Als Jesus in den Himmel aufgenommen war, kehrten die Apostel vom Ölberg, der nur einen Sabbatweg von Jerusalem entfernt ist, nach Jerusalem zurück. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern. (Apg 1,12-14)
Geschwister!
Sie können derartig miteinander streiten - da können die Fetzen fliegen und die Türen krachen - aber wenn sie dann mal allein sind; und auch noch abends: Da fehlt dann die Mama oder der Papa so arg...
Und was für ein herzallerliebstes Bild muss das dann sein, wenn die Mama oder der Papa nach der Sitzung nach Hause kommen und ein Zimmer ist leer. Aber dafür liegen die große und die kleine Schwester, die sich den ganzen Tag über nicht ausstehen konnten, tief und fest schlafend, eng aneinandergekuschelt in einem Bett.
Liebe Schwestern und Brüder,
ein süßes Bild.
Vor allem aber ein ganz alter Instinkt, der uns Menschen da zu Hilfe kommt.
Immer dann, wenn wir uns so furchtbar allein gelassen fühlen - so allein, wie sich die Jünger damals gefühlt haben mussten, damals in Jerusalem - dann kommt uns dieser Instinkt zu Hilfe.
Die Apostelgeschichte berichtet davon. Jesus war weg! Er hatte ihnen erklärt, dass er zum Vater ginge, und dass das gut für sie sei. Das änderte allerdings nichts daran, dass sie zuallererst nichts anderes als alleine waren. Und so fühlten sie sich auch: allein und im Stich gelassen.
Und was machten Sie? Sie folgen dem uralten Instinkt, der uns Menschen in solchen Situationen manches Mal das Überleben sichert. Sie gehen ins Obergemach, einem Raum in Jerusalem, und treffen sich dort.
Und nicht nur sie: Maria, die Frauen, seine Brüder und Schwestern, alle, denen es ähnlich ging, sie rückten zusammen - ganz eng zusammen - und versuchten, diese Zeit gemeinsam zu ertragen.
Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten - Urtypus für Zeit der Einsamkeit, der Ängste, der Leere und Verlassenheit.
Solche Zeiten sind weit häufiger im Leben, als wir wohl wahrhaben wollen.
Das fängt schon bei Kindern an. Mama und Papa - Schutz und Sicherheit, vor allem in dunkler Nacht - einfach nicht da... Das Gefühl wie Hänsel und Gretel im dunklen tiefen Wald: alles finster und auch bitter-, bitterkalt - eine Kälte, die Menschen immer dann spüren, wenn sie alleine sind, sich im Stich gelassen fühlen: Wenn ein Partner nach langen Jahren der Ehe plötzlich nicht mehr da ist, wenn das Leben auf einmal leer wird und eine ganz eigene Kälte sogar in den eigenen vier Wänden Einzug hält, wenn ich verlassen worden bin, weil einer von beiden, nach langen, zermürbenden Monaten für sich allein einen Schlussstrich gezogen hat... Da werden die kleinsten Zimmer zu riesigen Sälen, dunkel und vor allem kalt.
Die Gefahr, sich in dieser Kälte, in diesem Gefühl des Verlassenseins und der Einsamkeit, zu verstricken, sich zu verirren, wie Hänsel und Gretel im Wald, diese Gefahr ist alles andere als klein.
Und viele erliegen ihr auch.
Der Impuls, der ganz tief aus dem Innern des Menschen kommt, ist ein anderer. Die Jünger in Jerusalem machen es uns vor: Sie rücken zusammen. Weg aus den eigenen vier Wänden, hin an einen Ort, wo auch die anderen sind, wo ich erleben kann, dass ich mit meinem Alleinsein nicht alleine bin. Und wo wir uns gegenseitig aufrichten können, helfen und stützen können.
In solchen Zeiten zwischen Himmelfahrt und Pfingsten gibt es nur eines: zusammenrücken, sich ganz fest aneinander festhalten, gemeinsam aushalten, was nicht geändert werden kann.
Auch Gräben, die es noch am Vortag gegeben hat, dürfen dann keine Rolle mehr spielen. In solchen Zeiten stecken auch Chancen drin, wieder auf jemanden zuzugehen, den man vielleicht schon seit Jahren aus den Augen verloren hat.
Denn kein Wald kann so dunkel sein, dass ich ihn nicht Hand an Hand, mit anderen zusammen durchqueren könnte. Das sagt uns schließlich schon das Kirchenjahr: Auf Himmelfahrt, auf den Tag des Abschieds, auf ihn folgt Pfingsten. Und die vormals Verängstigten werden mit neuer Kraft erfüllt. Sie werden von ganz neuer Lebendigkeit ergriffen, denn Gottes Geist nimmt sich der Menschen an.
Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, diese Zeit der Einsamkeit und des Verlassensein, die gilt es auszuhalten - zusammen auszuhalten. Und gemeinsam ist es auch zu schaffen, denn diese Zeit ist nicht von Dauer. Pfingsten kommt, ganz sicher - und manchmal sogar schneller als man meint.
Amen.
(gehalten am 8. Mai 2005 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)