Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
23. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Röm 13,8-10)
Brüder! Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer. Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes. (Röm 13,8-10)
Wenn ich jetzt, zum Ende meines Urlaubs, das Konto überzogen habe, dann darf meine Bank mit Recht erwarten, dass ich die Schulden rasch begleiche.
Wenn jetzt der Alltag wieder beginnt, dann darf man mit Recht davon ausgehen, dass ich meinen Verpflichtungen wieder nachkomme.
Wenn ein Vorgesetzter mir einen Auftrag erteilt, dann darf er erwarten, dass ich diese Aufgabe erfülle. Das ist schließlich nichts anderes als meine Pflicht und Schuldigkeit, dazu bin ich verpflichtet.
Kann man mich aber zur Liebe verpflichten?
Liebe Schwestern und Brüder,
irgendwie klingt das komisch. Liebe und Pflicht - irgendwie beißt sich das doch. Entweder ich liebe oder ich erfülle meine Pflicht und Schuldigkeit. Zumindest nach gängigem Sprachempfinden passt beides doch nicht recht zusammen.
Deswegen ist mir dieser Satz aus der heutigen Lesung auch irgendwie komisch aufgestoßen. Da spricht Paulus davon, dass ich die Liebe anderen schuldig bin. Das aber heißt dann doch, dass es meine Pflicht und Schuldigkeit sei zu lieben.
Eine Liebe, zu der ich verpflichtet bin?
Dieser Paulus kann da kaum dasselbe meinen, an das wir gemeinhin denken, wenn von Liebe gesprochen wird. Mit Schmetterlingen im Bauch hat diese Liebe offenbar nicht viel zu tun. Und auch nicht mit Verliebt-Sein. Wer auf rosaroten Wolken schwebt, der denkt schließlich nicht an Pflicht und den braucht man auch zu nichts zwingen.
Paulus muss etwas anderes meinen, wenn er von der Liebe spricht, die wir einander schulden. Und er meint da allem Anschein nach etwas, was heute oftmals vergessen wird. Er meint das, was nach den Schmetterlingen kommt, nach den rosaroten Wolken, nach dem einfachen Verliebt-Sein.
Das hat dann zugegebenermaßen wenig mit Romantik zu tun, wenig mit heißen Gefühlen, aber dafür sehr viel mit Alltag. Denn dort muss sich das Miteinander dann ja schließlich bewähren. Und daran denkt Paulus offenbar in seinem Brief an die Römer, aus dem wir eben gehört haben.
Entscheidend sind nämlich nicht die Schmetterlinge, entscheidend ist, dass man den Alltag miteinander meistert, zueinander steht, sich aufeinander verlassen kann und die Schwierigkeiten, die sich vor einem auftun, gemeinsam meistert.
Wenn die Bibel von Liebe spricht, dann meint sie in aller Regel kein undefinierbares Gefühl. Sie meint dann etwas ganz Konkretes, sehr Handfestes und ganz Alltägliches. Sie meint die Haltung, ohne die menschliches Miteinander einfach nicht gelingt - nicht in der Partnerschaft, nicht in der Gemeinde und auch nicht in der Menschheitsfamilie als ganzer.
Häufig sprechen wir da gar nicht von Liebe. Häufig reden wird dann von Verlässlichkeit, von Aufmerksamkeit, denken an Menschenfreundlichkeit oder Hilfsbereitschaft, an Empfindsamkeit und Einfühlungsvermögen. Und manchmal mag es sich um ganz einfache Menschlichkeit handeln.
All das sind die Dinge, von denen Paulus ausgeht, dass unser Leben als Mensch ohne sie nicht funktioniert. Er fasst sie zusammen, indem er von Liebe spricht. Und er macht uns aufs Neue klar, dass wir ohne diese Haltung nicht auskommen werden. Wenn unser Leben gelingen soll, dann kommen wir darum nicht herum. Wir schulden uns das gegenseitig.
Das ist vielleicht ein sehr nüchternes Verständnis von Liebe, nicht der Stoff, aus dem man gute Romane oder Drehbuchvorlagen macht. Das mag sein. Drehbücher taugen allerdings nur selten als Orientierung fürs Leben. Die Haltung, von der Paulus schreibt, sie hingegen ist dafür wirklich Grundlage für ein geglücktes Miteinander, ein erfülltes Leben und eine wirklich lebenswerte Welt.
Amen.
(gehalten am 3./4. September 2011 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)