Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Christi Himmelfahrt - Lesejahr A-C (Apg 1,1-11)
Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde. Vorher hat er durch den Heiligen Geist den Aposteln, die er sich erwählt hatte, Anweisungen gegeben. Ihnen hat er nach seinem Leiden durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt; vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen. Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft. Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, standen plötzlich zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen. (Apg 1,1-11)
In Freiburg gibt es einen Wegweiser. Ein Pfeil zeigt nach unten - und da steht dann "Hölle". Der andere zeigt nach oben und ist beschriftet mit "Himmel".
So einfach ist das offenbar. Zumindest haben es sich Menschen lange Zeit so einfach vorgestellt.
Liebe Schwestern und Brüder,
der Himmel ist da oben, irgendwo über den Wolken. Und wenn Christus in den Himmel auffährt, dann schauen die Jünger natürlich nach oben - denn wo sollten sie auch anders hinschauen. Und weil es so einfach ist, deshalb konnte der Kosmonaut Juri Gagarin 1961 auch ganz einfach spotten: "Ich war im Himmel und habe mich genau umgesehen. Es gab keine Spur von Gott."
Jetzt wissen wir natürlich, dass die Vorstellung Gagarins, dass Gott da irgendwo über den Wolken thront, Quatsch ist. Gott sitzt nicht irgendwo und der Himmel ist auch nicht an einem Ort. Wenn wir vom Himmel als einem Ort "da droben" sprechen, dann wissen wir, dass das ein Bild ist und dass damit etwas ausgedrückt werden soll, was man mit Worten ansonsten nicht auszudrücken vermag.
Das war aber nicht immer so! Aussagen der Bibel bildhaft und nicht wörtlich zu verstehen, das war nicht immer ungefährlich. Es gab ja Zeiten, da wären Menschen gesteinigt, nein, verbrannt worden, wenn sie davon gesprochen hätten, dass es in der Bibel nicht um naturwissenschaftliche oder historische Zusammenhänge geht.
Wie war das denn, als Menschen plötzlich zu sagen wagten, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums sei oder dass die Erde alles andere wäre als eine Scheibe? Und noch keine 70 Jahre sind es her, da mussten katholische Exegeten, wider besseren Wissen lehren, dass Mose alle Worte der sogenannten fünf Bücher Mose mit eigener Hand geschrieben habe.
Und selbst heute noch fürchten ja viele um die Substanz des Glaubens, wenn man die Bibel nicht wortwörtlich auslegt, wenn man anmerkt, dass Jesus - historisch gesehen - womöglich gar nicht in Bethlehem geboren worden sei oder dass die Erscheinungen, wie sie vom Ostermorgen berichtet werden, mit dem historischen Geschehen in Israel zur damaligen Zeit gar nicht viel zu tun haben.
Wie oft kleben Menschen an den Worten und an den Bildern, an den Geschichten und den Gleichnissen und meinen, schon den Boden unter ihrem Glaubensfundament entzogen zu bekommen, wenn man auch nur im Geringsten an diesen Bildern rüttelt.
Dabei ist gerade der heutige Tag einer, der uns genau die Grenzen von Bildern ganz plastisch vor Augen führt.
Der Tag, an dem wir daran denken, dass der menschgewordene Gottessohn hinübergegangen ist in jene andere Dimension von Wirklichkeit, von der er immer gesprochen hat, das ist doch genau der Tag, der uns deutlich macht, dass diese andere Wirklichkeit des Lebens, dass Gottes Größe und Macht all unser Denken übersteigt. Alle Versuche, Gott und sein Wirken auf Tage und Stunden festzulegen oder mit Metern und Litern zu messen, alle Bemühungen, Gott in Worte zu fassen oder auch nur davon erzählen zu wollen, sind doch von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Wir sprechen vom Undenkbaren und berichten vom Unfassbaren. Und obwohl wir davon sprechen, bleibt das Eigentliche genau das, was es ist: unfassbar und undenkbar nämlich.
Bilden wir uns doch nicht ein, dass wir das, was sich zwischen Himmel und Erde ereignet hat, wirklich beschrieben hätten, wenn wir mühsam ein Bild dafür gefunden haben, dass wir das Eigentliche des Geschehens mit Lehrsätzen ausdrücken oder mit Worten fassen könnten. Was sich wirklich ereignet hat, ist weit größer als alle Weihnachtsgeschichten oder Osterberichte, größer als alle Bibeltexte und alle Glaubensbekenntnisse zusammen. Sie alle sind nur stammelnde Versuche, das, was wir nicht fassen können, doch noch irgendwie mitteilbar zu machen, irgendwie ausdrücken zu können.
Wir dürfen deshalb nicht an den Sätzen kleben bleiben, an den Worten und an den Bildern. Es muss uns stets bewusst bleiben, dass hinter unseren Ausdrucksweisen eine viel größere Wirklichkeit steht, die wir höchstens zu erahnen vermögen. Es ist meist kein Zeichen besonderer intellektueller Größe, wenn man sich wegen Formulierungen die Köpfe einschlägt oder andere verketzert, weil sie andere Bilder verwenden.
Ringen wir deshalb um eine Weite des Denkens, eine Weite, die es braucht, um nicht der Versuchung zu unterliegen, wir könnten Gott begreifbar und sagbar machen.
Wer im Klein-Klein verharrt, der wird sich von der Wirklichkeit Gottes entfernen. Nur wenn wir uns bewusst machen, dass unser Sprechen von Gott auch heute noch so weit von ihm entfernt ist wie das Bild von der Erde als Scheibe von der Wirklichkeit unseres Planeten in der unendlichen Weite des Weltalls, nur dann werden wir auch nur im Entferntesten erahnen, auf welches Wagnis wir uns einlassen, wenn wir versuchen, uns dem Geheimnis Gottes mit unserem Denken zu nahen.
Kein Problem: wir dürfen uns über den Wegweiser in Freiburg freuen, weil er uns an etwas erinnert, etwas vor Augen führt, was wir zu denken eigentlich gar nicht in der Lage wären. Wir dürfen alle Gleichnisse, alle Erzählungen und alle Bilder nutzen, weil sie uns helfen wollen, das Undenkbare zu fassen. Aber wir dürfen all dies nie mit der Wirklichkeit verwechseln.
Wenn wir das beherzigen, wenn wir uns die Grenzen all unserer Bilder immer wieder klar machen, dann wird man uns auch nie verunsichern können. Wenn dann wieder einmal irgendeine Illustrierte groß damit aufmacht, dass dieses oder jenes Ereignis ja gar nicht historisch und jener Ort ja überhaupt nicht belegt sei, wenn wieder einmal festgestellt wird, dass eine Geschichte eben nichts anderes als eine Geschichte und ein Bild nichts anderes als eben ein Bild ist, dann wird niemand von uns dadurch verunsichert sein.
Wie könnte er auch. All diese Bilderstürmer, die da glauben, ganz neue und großartige Wahrheiten zu verkünden, sie werden bei uns im Letzten nichts anderes als offene Türen einrennen.
Amen.
(gehalten am 17. Mai 2012 in der Peterskirche, Bruchsal)