Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
2. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr A (Mt 17,1-9)
In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht. Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus. Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden. Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst! Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus. Während sie den Berg hinab stiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. (Mt 17,1-9)
Ich war ziemlich überrascht als ich das gelesen habe:
"Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen. Da kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören."
Ach so, nicht, dass Sie meinen … Diesen Text haben Sie eben nicht als Evangelium gehört! So hören Sie ihn nächstes Jahr! So heißt es nämlich bei Markus. Und bei Lukas lautet der Abschnitt ganz ähnlich. Heute haben Sie das ganz anders gehört!
Fällt Ihnen der Unterschied auf?
Liebe Schwestern und Brüder,
bei Markus und Lukas haben die Jünger eine Vision und Furcht überkommt sie. Und dann hören sie die Stimme, die ihnen erklärt, wer dieser Jesus ist.
Im Matthäusevangelium sehen die Jünger Jesus verwandelt, sind verzückt, Petrus redet Unsinn, dann hören sie die Stimme, die sagt: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören." Und dann erst geht es weiter: "Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst…"
Das ist etwas ganz anderes als in den anderen Evangelien. Während sich die Jünger dort vor der Erscheinung fürchten, bekommen sie bei Matthäus erst Angst, als man ihnen erklärt, was es mit diesem Jesus auf sich hat.
Und dann fürchten sie sich nicht nur, dann haben sie richtig Angst.
Was soll das? Warum erzählt uns dieses Evangelium die Angelegenheit so anders als die anderen. Warum dieser andere Akzent auf die Angst?
Keine Ahnung! Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht was der Schreiber dieser Zeilen sich damals dabei gedacht hat. Eines aber weiß ich: Ich hätte auch Angst bekommen.
Mir macht das auch Angst, wenn ich mir vor Augen halte, wer dieser Jesus von Nazareth ist und was das für mich bedeutet; was das bedeutet, wenn man mir erklärt: "Nimm dir den zum Vorbild!"
Das krempelt dein Leben um!
Das macht dir deutlich, was bisher alles falsch gelaufen ist - und was bis heute auf dieser Welt alles falsch läuft!
Wenn ich das ernst nehme, wenn ich diesen Jesus von Nazareth wirklich ernst nehme - seinen Ruf: "Kehrt um", sein "Folgt mir nach!" -, dann heißt das schließlich nicht, geht mal in der Fastenzeit wieder zur Beichte oder hört euch ein paar erbauliche geistliche Vorträge an; dann bedeutet das: Krempelt euer Leben um! Stellt den Menschen in den Mittelpunkt, denjenigen, der euch gegenübersteht, diejenige, die dir genau jetzt begegnet; setze dich ein für sie, und sorge dafür, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt, dass er zum Leben hat, was er zum Leben braucht.
Eine Kirche, die wirklich diesem Jesus von Nazareth folgen würde, würde sich nicht in frommen Floskeln ergehen, prunkvolle Gottesdienste inszenieren und die meiste Energie darauf verwenden, ihre Liegenschaften und Immobilien in Ordnung zu halten, sie würde sich nicht in Gremien verzetteln, und einen Pastoralplan nach dem anderen entwickeln. Sie würde konsequent den Weg der Barmherzigkeit gehen - vor allem den Gescheiterten gegenüber -, und nicht auch noch Stimmung machen gegen einen Papst, der die ersten zaghaften Schritte in diese Richtung wagt (Was für Kardinäle sind das denn?).
Und sie würde vor allem dafür sorgen, keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu machen, weil dieser Jesus auch keine gemacht hat.
Eine Gesellschaft, die sich als christliche Gesellschaft versteht - ein christliches Abendland gar -, die würde keine Zäune und Mauern errichten, würde nicht vollmundig von Werten sprechen, andererseits aber lapidar sagen: Wir würden euch schon helfen, wenn ihr es fertig brächtet, die Stacheldrahtzäune zu überwinden oder im Meer nicht zu ersaufen.
Eine Gesellschaft, die sich wirklich an Jesus von Nazareth orientiert, die würde wirklich helfen, dass Menschen dort, wo sie leben, auch wirklich eine Perspektive und ein lebenswertes Leben vorfinden, und nicht in Kauf nehmen, dass Menschen verhungern, weil die Jeans eben möglichst billig produziert werden muss, dass Menschen sterben, weil wir eben Rohstoffe brauchen und beim Abbau derselben auf fernen Kontinenten keinerlei Rücksicht darauf nehmen, ob Kinder am Ende in Quecksilberseen spielen; die würde dafür Sorge tragen, dass wirtschaftliche Interessen unserer Konzerne und immer größerer Profit den Kleinbauern in Kenia nicht die Luft zum Atmen raubt.
Und sie würde vor allem keine Menschen in ein Land abschieben, an dessen Destabilisierung wir zu einem guten Teil mitschuldig sind.
Und wenn 36 Menschen - sechsunddreißig Menschen - in unserem Land genau so viel besitzen, wie die ärmeren 41 Millionen Deutschen zusammengenommen, dann müssten sich Politiker, die vorgeben auf dem Boden christlicher Werte zu handeln, eher auf die Zunge beißen, als davon zu sprechen, man würde das Land schlecht reden, wenn man von sozialer Schieflage und Ungerechtigkeit spricht.
"Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören!"
Ich zucke zusammen bei diesem Satz, weil er mir deutlich macht, wie weit wir von dem entfernt sind, was Jesus wirklich wollte.
Wir müssen das Reich Gottes nicht machen; ja, wir können es gar nicht machen. Wir sollten ihm aber auch nicht im Wege stehen.
Wir können es nämlich verhindern! Wir können verhindern, dass Gottes Reich schon jetzt spürbar wird: überall dort nämlich, wo wir der Menschlichkeit, der Güte Gottes und der Barmherzigkeit im Wege stehen.
Überall dort, wo Menschen etwa sagen: "Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber….", und sich dabei auch noch als gute Christen fühlen, überall dort, wo Menschen erklärten Fremdenfeinden bei Wahlen auch noch ihre Stimme geben, überall dort, wo Menschen zurückstehen müssen, zurück hinter ehernen Prinzipien, unverständlichen Dogmen und der Weigerung, sich auf die Gegebenheiten einer veränderten Welt endlich einzulassen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, überall dort wird Menschen die Möglichkeit genommen, auch einen Blick auf diese Wirklichkeit zu werfen, etwas von diesem Heil zu spüren, das Petrus dazu veranlasst hat, plötzlich drei Hütten bauen, den Augenblick festhalten zu wollen.
Dieser Satz, "Auf ihn sollt ihr hören!" lässt mich zusammenzucken, weil ich mittlerweile weiß, wie wenig wir es wirklich tun, wie wenig von dem, was dieser Jesus uns vorgelebt hat, unsere Realität wirklich prägt, wie wenig selbst wir Christen diesem Jesus folgen.
Die Jünger zuckten nach Matthäus damals zusammen. Mir macht das auch Angst, denn ich spüre sehr wohl: So schaffen wir das nicht!
(gehalten am 12. März 2017 in der Kirche St. Hedwig, Karlsruhe)