Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Pfingstsonntag (Apg 2,1-11)

Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elsamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Lybiens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. (Apg 2,1-11)

Ein Kollege erzählte mir vor einigen Jahren von einer Konferenz in irgendeiner norddeutschen Stadt. Er war mit dem Zug dorthin gefahren. Und als er in den Abendstunden ankam, fiel ihm am Stadtrand ein großes Gebäude auf, eine Windmühle - so eine richtig große Mühle, wie man sie aus Bilderbüchern kennt. Als er am Abend ankam, da drehten sich die gewaltigen Flügel dieser alten Mühle.

"Ein großartiges Bild!", dachte er bei sich. "Da fährt der Wind, diese Naturgewalt, in die Flügel und treibt sie an. Und die Flügel, die setzen ihrerseits dann die Kraft des Windes um, treiben ein gewaltiges Räderwerk an und setzen die Mühlsteine im Inneren in Bewegung. Und zwischen diesen Steinen wird jetzt in diesem Augenblick das Korn zu Mehl zermahlen, zu Mehl, aus dem dann Brot gebacken wird. Vielleicht sogar genau das Brot, das ich dann in den nächsten Tagen hier verzehren werde. Und all das aus der Kraft des Windes. Ein großartiges Bild. Aus dieser ungezähmten Gewalt der Natur wird letztlich das Brot, das ich verzehre."

Liebe Schwestern und Brüder,

als mein Kollege am anderen Morgen aufwachte, da wunderte er sich allerdings nicht wenig, denn die Flügel standen still; und das, obwohl ein kräftiger Wind wehte. Und als er genauer hinsah, bemerkte er, dass sie sich ja eigentlich auch gar nicht drehen konnten. Sie waren nämlich nackt und kahl. Sie waren nicht bespannt. Die Mühle trug lediglich das nackte, unbespannte Flügelkreuz, so dass der Wind gar nicht aufgefangen werden konnte. Da konnte der Wind blasen wie er wollte, diese Flügel konnte er so unter keinen Umständen in Bewegung setzten.

Aber er hatte sie doch drehen gesehen! Als er am Abend angekommen war, da hatten sich die Flügel doch gedreht!

Es wurde Mittag bis er des Rätsels Lösung fand. Am Mittag dieses Tages erfuhr er nämlich, dass sich die Flügel immer drehen würden, dann nämlich, wenn es Zeit dafür sei. Und da spielte es keine Rolle, ob der Wind blies oder nicht. Sie wurden schließlich schon lange nicht mehr vom Wind bewegt, die Flügel. Es war ein kleiner Elektromotor im Inneren der Mühle, der pünktlich dreimal täglich die Flügel in Bewegung setzte, immer dann nämlich, wenn wieder eine Führung angesagt war.

Diese Mühle gehörte schließlich schon lange keinem Müller mehr. Sie stand in einem Freilichtmuseum am Rande der Stadt. Und mit ihrer Hilfe wurde auch kein Mehl mehr gewonnen. Sie drehte die Mühlsteine nur noch zur Schau, eigentlich nur noch als Touristenattraktion, dreimal am Tag, zur festgesetzten Zeit.

So kann man sich täuschen! Von wegen: Wind, von Flügeln aufgefangen. Von wegen: Mehl, das zu Brot gebacken wird. Alles nur noch Schau. Ein Gestänge, seelenlos bewegt, auf Knopfdruck, abrufbar, wann immer ich es will, zum Vorzeigen halt - aber tot. Als man die Windmühle von ihrer eigentlichen Quelle, als man sie vom Wind getrennt hatte, da hat man sie gleichsam getötet, ans Netz gehängt, zu einem toten Räderwerk gemacht.

Sicher, sie funktionierte noch - sogar viel zuverlässiger als früher, sie war jetzt fremdenverkehrstechnisch nutzbar, professionell einsetzbar - aber tot halt, von der Quelle ihres Lebens abgeschnitten.

Oh, ich glaube ich weiß, was ein guter Teil von Ihnen jetzt denkt. Ich bin mir ganz sicher, nicht wenige von Ihnen werden sich jetzt sagen: Klar, jetzt schlägt er den Bogen, vergleicht den Wind mit dem Heiligen Geist und die Mühle mit der Kirche. Und dann erklärt er, dass es dort ja genauso sei, dass auch die Kirche nur noch funktioniert, ein alter, klappriger Apparat sei, seelenlos angetrieben vom Motor der Kirchensteuer, von blutleeren, alten Männern, aber innerlich schon lange tot. Und ich bin mir sicher, Sie werden dann erwarten, dass ich halt dazu aufrufen werde, dass das alles wieder anders werden müsse, dass wir zusammen anpacken müssen, die Strukturen verändern und die Windmühle von Neuem mit Leben erfüllen.

Ich bin mir ganz sicher, dass viele von Ihnen denken, dass ich genau das jetzt sagen werde. Und einen Dreck werde ich tun. Weil es - weiß Gott - so ja nicht stimmt.

Es stimmt ja gerade nicht, dass die Flügel unserer Windmühle, dass unsere Kirche, den Wind des Heiligen Geistes gar nicht mehr auffangen könnte. Sie hier, Sie nämlich sind der beste Gegenbeweis dafür!

Sie sind jetzt nämlich hier! Und solange Sie hier sind, solange Sie mit offenen Augen, auf die Zeichen der Zeit blicken, solange Sie mit offenen Ohren auf das hören, was angesagt ist, und solange Sie Ihre Herzen dem eigentlichen Willen Gottes nicht verschließen, solange sind die Flügel unserer Mühle voll bespannt, solange kann der Windbraus Gottes ungehindert hineinfahren, kann Gottes Geist ansetzen, ansetzen, um uns umzutreiben.

Solange wir hier sind, unsere Antennen ausrichten, uns ausrichten auf diesen Gott hin und ausrichten lassen allein von diesem Gott her; solange könnten an noch so vielen Schaltstellen noch so viele Würdenträger irgendwelche Knöpfe drücken, könnte mit noch so viel Geld jeder Motor der Welt betrieben werden, um ein Räderwerk nach einer festgelegten Ordnung und einem bestimmten Zeitplan ablaufen zu lassen.

Solange es Menschen gibt, die sich Gott öffnen, solange wird Gottes Geist allen anderen Räderwerken zum Trotz in die Herzen dieser Menschen fahren. Und er wird diese Menschen ergreifen. Und er wird sie mitreißen. Er wird sie umtreiben, genauso wie der Wind machtvoll die voll bespannten Flügel einer mächtigen Windmühle treibt. Und er wird diese Menschen, und damit seine Kirche, am Ende genau dorthin treiben, wo er sie haben will - und zwar er allein.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 10./11. Juni 2000 in der Peters- und Pauluskirche Bruchsal)