Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
10. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Röm 4,18-25)
Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt, dass er der Vater vieler Völker werde, nach dem Wort: So zahlreich werden deine Nachkommen sein. Ohne im Glauben schwach zu werden, war er, der fast Hundertjährige, sich bewusst, dass sein Leib und auch Saras Mutterschoß erstorben waren. Er zweifelte nicht im Unglauben an der Verheißung Gottes, sondern wurde stark im Glauben, und er erwies Gott Ehre, fest davon überzeugt, dass Gott die Macht besitzt zu tun, was er verheißen hat. Darum wurde der Glaube ihm als Gerechtigkeit angerechnet. Doch nicht allein um seinetwillen steht in der Schrift, der Glaube ihm angerechnet wurde, sondern auch um unseretwillen; er soll auch uns angerechnet werden, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat. Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt. (Röm 4,18-25)
Vor gar nicht allzu langer Zeit in einer gar nicht allzu kleinen Stadt gab es einen Mann, der recht bekannt war. Ja, er war geradezu berühmt für seine Frömmigkeit und vor allem für sein Gottvertrauen. Weil er nämlich sehr gerecht gewesen ist und sehr viel Gutes in seinem Leben getan hat, deshalb glaubte er auch ganz fest daran, dass Gott ihn nie im Stich lassen werde.
"Gott wird mir schon helfen!", diesen Satz sagte er immer wieder.
Nach einiger Zeit war er sogar so fest davon überzeugt, dass Gott ihm beistehen werde, egal was passiert, dass er ganz freundlich ablehnte, wenn ihm sonst irgendjemand in irgendeiner Sache seine Hilfe anbot. Egal, wer ihm auch unter die Arme greifen wollte, "Lass nur, Gott wird mir schon helfen!" sagte er dann und mit diesen Worten wies er die angebotene Hilfe betont freundlich zurück.
So lebte er mehrere Jahre froh und zufrieden, bis er eines Nachts mit seinem Fahrrad von der Straße abkam, die Böschung hinabfiel und kopfüber in den See stürzte. Leider hatte er es nie als notwendig erachtet, schwimmen zu lernen, und so strampelte er im Wasser und konnte sich nur mit großer Mühe an der Oberfläche halten.
Ein Autofahrer hatte den Unfall glücklicherweise gleich bemerkt. Er bremste, lief zum Uferrand und rief dem Ertrinkenden zu: "Halten Sie durch, ich werfe ihnen ein Seil zu!" "Nein, nicht notwendig," meinte unser Mann, "machen Sie sich keine Umstände, Gott wird mir schon helfen."
Wenige Augenblicke später - unser Mann konnte sich mit letzter Kraft über Wasser halten - steuerte ihn ein Boot an, das zufällig gerade in der Nähe war. "Halten Sie durch, wir ziehen sie heraus!" rief man ihm zu. "Alles in Ordnung", erwiderte er, "Sie brauchen nicht extra herüberzurudern. Gott wird mir schon helfen!" Sprach's und schluckte bereits das erste Wasser.
Da sah er den Rettungshubschrauber über sich, der unmittelbar nach dem Unglück alarmiert worden war. Man warf ihm von oben die Strickleiter zu und er hätte nur danach greifen müssen. "Nein", dachte er bei sich, "Gott wird mir schon helfen!", dachte es, ging endgültig unter und ertrank.
Da er natürlich ein sehr gerechter und auch frommer Mensch gewesen war, kam er selbstverständlich sofort in den Himmel. Doch bevor er noch richtig angekommen war, machte er Gott bereits mächtige Vorwürfe. "Warum hast du mich im Stich gelassen?" rief er, "Ich habe mein ganzes Leben lang an dich geglaubt, habe immer nur Gutes getan, und jetzt hätte ich dich einmal richtig gebraucht, und du warst einfach nicht da! Warum hast du mich im Stich gelassen, als ich in den See gestürzt bin?"
"Du Dummkopf", sprach da Gott Vater, "Dreimal habe ich heute versucht dir zu helfen: ich habe dir ein Seil zugeworfen, ich habe dir ein Boot geschickt, sogar einen Hubschrauber habe ich kommen lassen, und dreimal hast du meine Hilfe zurückgewiesen! Was hätte ich noch alles tun sollen, damit du es begreifst?"
Liebe Schwestern und Brüder,
nur eine Geschichte. Aber eine Geschichte, die etwas deutlich macht:
Es braucht nicht nur die Hoffnung. Es braucht nicht nur jenen festen Glauben, von dem Paulus im Römerbrief schreibt, einen, der auch gegen alle Hoffnung glaubt.
Hoffnung allein hilft noch nicht. Auch die stärkste Hoffnung schwindet normalerweise im Lauf der Zeit, wenn sie nie spüren darf, dass sie auch nur im Geringsten erfüllt wird.
Hoffnung und Glauben allein reichen nicht aus. Es braucht darüber hinaus ein waches Gespür: ein Gespür für diesen Gott, dafür, wie er wirkt, wo er eingreift und wie er die Dinge angeht.
Wenn ich dieses Gespür nicht habe, dann kann Gott machen, was er will, ich werde von ihm enttäuscht sein, denn ich werde gar nicht merken, dass er etwas tut und was er alles für mich in die Wege leitet.
Um nicht von Gott enttäuscht zu werden, um zu spüren, was er alles für mich wirkt, muss ich die Sinne schärfen: die Sinne, mit denen ich ihn wahrnehmen kann, mit denen ich erahne, dass er mir jetzt gerade wieder einmal die Rettungsleine zuwirft.
Nicht nur die Hoffnung, nicht nur den Glauben, auch das wache Gespür braucht es, ein Gespür für all die Momente, in denen unser Gott an unserer Seite und für uns am Werk ist.
Deshalb wünsche ich Ihnen - und mir - heute nicht nur, dass wir fest an Gott glauben dürfen. Vor allem wünsche ich uns, dass wir die Spuren, die er in unserem Leben bereits hinterlassen hat, zu lesen lernen. Und dass wir das richtige Gespür entwickeln, ein Gefühl für die Momente, in denen er uns begegnet.
Diesen geschärften Sinn dafür, unseren Gott hinter den alltäglichen Begebenheiten zu entdecken, den braucht es nämlich vor allem anderen.
Amen.
(gehalten am 8./9. Juni 2002 in der Pauluskirche, Bruchsal)