Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
24. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Röm 14,7-9)
Brüder! Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende. (Röm 14,7-9)
"Das ist mein Kind", so sagen Eltern häufig. Und es hört sich manchmal so an, als sprächen sie über Kinder wie über ihren Besitz. Aber Kinder haben die Eigenart, Eltern ganz rasch von einer anderen Wirklichkeit zu überzeugen. Kinder gehorchen ihren Eltern bestenfalls - zumindest da und dort - gehören tun sie ihnen nicht. Und spätestens dann, wenn sie damit anfangen ständig: "Mama, du nervst!" zu sagen, wird das ganz schnell klar.
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist ganz gut, sich dies immer wieder einmal bewusst zu machen. Manchmal steht man schon in der Gefahr, einen anderen, ein Kind, wie einen Besitz zu betrachten.
Das aber ist nicht gut. Wollten Sie einem anderen gehören?
Aus unserer Geschichte kann man noch deutlich genug ablesen, was das im Letzten bedeutet. Die Zeiten, in denen Menschen verkauft werden konnten, Leibeigene waren und zum Besitz eines anderen zählten, sind noch gar nicht so furchtbar lange vorbei.
Und beim Gebaren so manches Großkonzerns, wo Angestellte und Arbeiter gleichsam als Menschenmaterial durch die Gegend geschoben, irgendwo anders eingesetzt oder nach Belieben entlassen werden, könnte man schon auf die Idee kommen, als wäre die Zeit der Sklavenhaltung da und dort sogar noch gegenwärtig.
Aber überall, wo sich Menschen zu Herren über andere aufspielen, überall dort bleibt die Menschenwürde über kurz oder lang auf der Strecke.
Manchmal aber geben sich Menschen ganz freiwillig einem anderen in die Hand. Sie tun es voller Vertrauen, weil sie darauf bauen, dass der andere es gut mit ihnen meint. "Ich will ganz dir gehören!" sagen sie dann und vertrauen sich wechselseitig einander an. Sie trauen sich, nennt man das.
Zugegeben, das geht ab und an schief, vor allem dann, wenn es eine einseitige Geschichte ist, wenn einer der beiden den anderen wirklich wie einen Besitz behandelt, "meine Frau!", etwas, das mir gehört und über das ich verfügen kann. Dann muss es beinahe schon zwangsläufig schief gehen.
Wo es aber gelingt, wo zwei Menschen sich echt aufeinander einlassen, dort kann dies zur Hochzeit des Lebens werden, zu einer Gemeinschaft des sich gegenseitigen Anvertrauens, die ein Leben lang trägt.
Auf dem Hintergrund solcher Erfahrungen spricht Paulus, wenn er im Römerbrief formuliert, dass wir Christus gehören. Das hat nichts Bedrohliches. Da tritt kein neuer Besitzer auf, der jetzt Menschen, egal auf welche Weise, in seine Gewalt gebracht hätte. Nichts, vor dem wir uns fürchten, und erst recht nichts, gegen das wir aufbegehren müssten.
Ein Leben lang hat Jesus von Nazareth damit zugebracht, uns deutlich zu machen, dass Gott ein Gott ist, der für die Menschen da sein will, ein Gott, der die Menschen liebt. Um dies ein für alle Mal klar zu machen, ist er für uns durch dick und dünn gegangen, selbst durch den Tod hindurch.
Gott kauft keine Sklaven, und er hält sich erst recht nicht ein paar Menschen wie Vieh in einem Stall. "Er traut uns sich an", heißt es - "Er traut uns sich an", in dieses schon unerhörte Wort kleidet es die Bibel.
In Jesus Christus ist uns diese Botschaft, ist uns Gott selbst auf unüberbietbare Weise nahe gekommen - auf eine Weise, die jeden, der auch nur ein klein wenig erfasst, was das im Letzten bedeutet, aus vollster Überzeugung ausrufen lassen müsste: "Ja, Herr, ich will ganz dir gehören!"
Nichts, aber auch gar nichts hat dies mit Sklavenmarkt zu tun, nichts mit Herrschaft oder Besitz - nicht einmal mit dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
Hier geht es um inniges Vertrauen, um gegenseitiges Trauen, wie bei einer richtigen Hochzeit. Und das obendrein mit der göttlichen Zusage, am Ende nicht enttäuscht zu werden.
Amen.
(gehalten am 10./11. September 2005 in der Antonius- und Pauluskirche, Bruchsal)