Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Pfingstsonntag (Joh 20,19-23)
Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. (Joh 20,19-23)
Haben Sie auch schon mal geträumt, sie müssten eine Prüfung noch einmal machen?
Ich glaube, solche Träume gibt es recht häufig. Da wacht man dann mitten in der Nacht schweißgebadet auf und muss für einen Augenblick tatsächlich nachdenken, ob man die Englischprüfung denn auch wirklich schon abgelegt hat!
Ist fast so etwas wie ein Alptraum. Als würde man jetzt nach mehreren Jahrzehnten die Aufforderung erhalten, noch einmal eine Mathematik- oder Physikarbeit zu schreiben, sonst würde einem der Schulabschluss aberkannt. Und dabei würde man diese Prüfung nach so langer Zeit doch gar nicht mehr hinbekommen. Was alles von dem, was man einmal hat lernen müssen, hat man doch schon längst wieder völlig vergessen.
Liebe Schwestern und Brüder,
solche Träume sind tatsächlich ein Horror. Und Gott sei Dank haben sie mit der Wirklichkeit nichts zu tun, denn wenn ich meinen Schulabschluss einmal geschafft habe, dann nimmt den mir niemand auf der Welt mehr weg.
Gut, kann schon sein, dass ich kaum noch eine Ahnung von dem habe, was ich damals alles lernen musste, aber den Abschluss, den habe ich, mit Brief und Siegel, und den kann mir keiner mehr nehmen.
Kann man mir den Geist nehmen?
Das mögen Sie jetzt für eine komische Frage halten, aber diese Frage beschäftigt mich heuer immer wieder, wenn ich an Pfingsten denke. Wir bitten um den Heiligen Geist. Wir singen "Komm Schöpfer Geist" und wollen, dass er bei uns einkehrt. Und manchmal erinnert mich das schon an solch einen Alptraum. Denn haben wir den Geist etwa noch nicht bekommen? Warum bitten wir denn die ganze Zeit darum, dass er uns endlich gesandt wird? Als müsste ich darauf erst noch warten! Das ist doch schon lange passiert.
Gott hat seinen Geist an Pfingsten in die Welt gesandt und in Taufe und Firmung ist er uns allen verliehen worden. Wir haben ihn doch. Und ich glaube nicht, dass er uns wieder genommen werden kann. Warum bitten wir dann beständig um den Heiligen Geist?
Nun, vielleicht ist das mit beständigen Bitten tatsächlich ein wenig schief. So als würden wir Gott gar nicht glauben, dass er uns seinen Beistand bereits verliehen hat. Aber Vorsicht: Dieser Geist Gottes ist ja etwas anderes als ein Prüfungszertifikat, das ich in irgendeiner Dokumentenmappe ablegen kann. Ich muss wohl nicht jeden Tag aufs Neue um ihn bitten, aber ich kann auch nicht so tun, als würde ich ihn besitzen.
Gottes Geist ist schließlich keine Sache, und er ist auch nichts, das ich wie ein Medikament oder einen Vitaminriegel einfach so portionsweise zu mir nehmen könnte. Gottes Geist ist Gott selbst, denn dieser Gott ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und in diesem Geist begleitet uns Gott selbst durch unser Leben und steht uns zur Seite.
Den Geist, den wir verliehen bekamen, gibt es nicht zum Besitz und auch nicht zum Aufbrauchen. Es gibt ihn vielmehr als Beziehung, als lebendige Beziehung zu diesem Gott. Und zwar als eine Beziehung, die schon lange begonnen hat, vermutlich sogar lange bevor wir überhaupt zu denken in der Lage waren.
Solch eine Beziehung aber ist etwas, auf das wir uns immer wieder neu einlassen müssen. Beziehungen wollen gepflegt werden.
Das bedeutet beispielsweise, dass es sich immer wieder aufs Neue zu vergewissern gilt, ob wir den Weg auch mit Gottes Geist gemeinsam gehen oder nicht irgendwelchen Abergeistern aufsitzen. Es gilt die Geister zu unterscheiden, und das bleibt eine beständige Aufgabe. Gottes Stimme aus dem Geblök all der Stimmen auch wirklich herauszuhören, das gilt es täglich einzuüben.
Und dann muss ich seinem Geist auch die rechte Angriffsfläche in meinem Leben bieten, damit er nicht nur da ist, sondern auch wirklich wirken, im wahrsten Sinne des Wortes eingreifen kann.
Und darum beten wir heute. Das ist der eigentliche Grund, immer wieder und immer wieder aufs Neue Pfingsten zu feiern - eigentlich jeden Tag. Denn Gott gibt sich uns, aber nicht als Besitz, als Sache oder in Geistportionen. Er gibt sich uns ganz, in einer lebendigen Beziehung, um die es, wie in jeder Beziehung immer wieder aufs Neue zu ringen gilt.
Amen.
(gehalten am 10./11. Mai 2008 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)