Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Weihnachten - Am Tag (Joh 1,1-5. 9-14)
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,1-5. 9-14)
Sie fehlt in der Adventszeit auf keinem Spielplan. Kaum ein Opernhaus, das in den vergangenen Wochen nicht die Märchenoper "Hänsel und Gretel" aufgeführt hätte. Und jedes Mal sind die Theater gefüllt mit Kindern, die von ihren Eltern das erste Mal in die Oper mitgenommen werden.
Das ist jedes Jahr so, auch wenn ich jedes Mal denke, dass diese Musik nicht wirklich etwas für Kinder ist.
Wenn das schon für Hänsel und Gretel gilt, dann erst recht für jene Märchenoper, die ich dieses Jahr kennenlernen durfte. In die sollte man Kinder wirklich nicht mitnehmen. Und das nicht nur wegen der Musik. Das vor allem wegen der Handlung.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich denke dabei an Humperdincks Oper "Königskinder".
Der Titel klingt eigentlich nach einem schönem Märchen und einem tollen Theaternachmittag für die Kleinsten. Aber weit gefehlt! Dieses Märchen handelt von einem Königskind, das als Gänsemagd lebt, und einem Königssohn, der sich letztlich als Schweinehirt verdingen musste. Und am Ende wird es tieftraurig. Die beiden verhungern nämlich.
Aber Tränen bekam ich schon in die Augen, als die Gänsemagd durch das Stadttor kam.
Die Bürger von Hellastadt hatten nämlich die Prophezeiung erhalten, dass an genau diesem Tag um 12 Uhr der König und seine Frau durch das Tor in ihre Stadt einziehen würden. Weil da aber nur die Gänsemagd kam und der Schweinehirt, waren die Bürger, die einen prunkvollen Einzug des neuen Königs erwartet hatten, so enttäuscht, dass sie die beiden Kinder aus der Stadt hinausgejagt haben.
Nur ein kleines Mädchen hat die beiden erkannt und sagte unter Tränen: "Das ist der König und seine Frau gewesen!"
Liebe Schwestern und Brüder,
ahnen Sie, warum ich gerade heute an dieses Märchen denken muss.
Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen haben ihn nicht erkannt! So hieß es gerade eben im Weihnachtsevangelium.
Dem Kind in der Krippe ist es nicht anders ergangen als den beiden Königskindern aus dem Märchen.
Wären die beiden mit Glanz und Gloria, mit allem Prunkt, den man von Mächtigen erwartet, wäre der Menschensohn auf einer Wolke aus dem Himmel auf die Erde hinabgefahren und wären sie vor allem als mächtige Erwachsene gekommen, die Menschen wären auf die Knie gesunken und hätten ihren Herrschern gehuldigt. Als Kind jedoch hat kaum jemand von ihnen Notiz genommen.
Er kam in sein Eigentum, aber die Menschen haben das nicht begriffen.
Mächtigen gehört die Welt, aber doch nicht einem hilflosen Kind. Wie kann ein Kind auch eine Welt zu eigen haben! Kinder hatten bei uns schließlich noch nie viel zu sagen.
Wer erinnert sich nicht noch an den Satz: "Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch streckst ..." solange bestimmen eben die Erwachsenen wo es lang geht und was Sache ist.
Kinder sind in unserer Gesellschaft zu Gast, zumindest bis sie die Dinge selbst in die Hand nehmen können. Und selbst dann gilt noch: Lehrjahre sind keine Herrenjahre.
Eigentlich hätten wir allein aus dem Umstand, dass Gott in einem Kind zur Welt gekommen ist, begreifen müssen, wie falsch diese Vorstellung ist.
Gott wurde ein Kind!
Was dies wirklich bedeutet hat die Menschheit offenbar zu keiner Zeit wirklich verstanden. Wenn wir wirklich begriffen hätten, was das heißt, dann hätte nicht erst das Bundesverfassungsgericht jüngst unserer Politik ins Stammbuch schreiben müssen, dass Kinder nicht unsere Gäste sind, dass es ihr Zuhause ist, ihre Welt, ihr Eigentum, in das sie hineingeboren werden. Dieser Jesus von Nazareth hat das schon vor Jahrtausenden deutlich gemacht.
Wenn ein Kind geboren wird, dann ist es nicht zu Gast in einer Familie. Es kommt in sein Eigentum, denn den Kindern gehört diese Welt. Wir haben sie von ihnen lediglich geborgt.
Von daher verstehe ich die Wut von Kindern und Jugendlichen auch sehr gut: Die Wut darüber, dass wir immer noch viel zu wenig tun, um die Welt auch für zukünftige Generationen als lebenswerten Ort zu erhalten. Und ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn Jugendliche glauben, mittlerweile auch zu drastischen Maßnahmen greifen zu müssen, weil wir unseren Hintern einfach nicht hoch bekommen.
Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn Politiker versuchen diese jungen Menschen in die Ecke von Terroristen zu stellen. Kriminell ist vielmehr, mit billigen Ausflüchten zu kommen, so nach dem Motto: Ein Tempolimit spart ja nur wenige Tonnen CO2 ein und selbst wenn wir klimaneutral würden, die anderen verursachen ja viel mehr Treibhausgase als wir.
Wir wissen doch alle, dass viele Kleinigkeiten am Ende auch ein großes Stück ergeben und dass all diese Ausflüchte letztlich nichts anderes sind, als Ausreden dafür, nichts zu tun und vor allem nichts ändern zu müssen. Politik auf der Basis christlicher Werte zu machen, erschöpft sich halt nicht darin, in Amtsstuben Kruzifixe aufzuhängen. Um die Schöpfung zu bewahren, dazu braucht es weiß Gott deutlich mehr!
Das Kind das im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes steht, kam in sein Eigentum. Und es steht damit stellvertretend für alle Kinder dieser Erde. Denn ihnen gehört diese Welt. Wenn wir in die Augen dieses Kindes schauen, blicken wir in die Augen aller Kinder.
Und diese Augen machen uns einen wesentlichen Aspekt der Weihnacht deutlich. Weihnachten hat sicher etwas mit Gefühl und mit Stimmung zu tun. Aber Weihnachten erschöpft sich nicht in Rührseligkeit. Weihnachten fordert ein, dass endlich wirklich etwas passiert, Substantielles passiert. Dass dem Gefühl endlich auch Taten folgen.
Und das nicht einmal um unseretwillen - das vor allem um der Kinder Willen.
Amen.
(gehalten am 25. Dezember 2022 in den Kirchen St. Marien, Ettenheimweiler, und St. Batholomäus, Ettenheim)