Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Gal 3,26-29)
Brüder! Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid "einer" in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung. (Gal 3,26-29)
Jawohl, es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Sklaven und Freie. Alle sind "einer" in Christus.
Liebe Schwestern und Brüder,
treffender als Paulus kann man es nicht sagen. Alle Unterschiede werden in Christus überwunden. Vor ihm und für ihn gibt es einzig und allein den jeweiligen Menschen.
Paulus hat das klar erkannt. Hat er aber auch die Konsequenzen daraus gezogen?
Was die Sklaven angeht, ganz sicher nicht. Dass Sklaverei - also einen Menschen zur Ware zu machen, zu etwas, was ich besitzen kann - mit dem Glauben an Christus absolut nicht vereinbar ist, hat er nur bedingt realisiert.
Den Philemon, einen Christ gewordenen Sklaven, der seinem Herrn davongelaufen war, hat er aufgefordert zu diesem zurückzukehren und weiter als Sklave zu leben. Sein Herr Onesimus solle ihn halt künftig als Bruder behandeln. Dass dies auch Freiheit bedeutet, Aufhebung jeglicher Sklaverei, das war für Paulus vielleicht im Kopf eine klare Sache, in den Bauch, in sein Gefühl war es noch lange nicht vorgedrungen.
Über Jahrhunderte, ja Jahrtausende eingefahrene Trampelpfade werden nur schwer wieder verlassen, da können sie noch so falsch und noch so voller himmelschreiendem Unrecht sein. Noch Hunderte von Jahren nach einem Paulus haben Theologen und Kirchenmänner die Sklaverei als absolut normal und in keinem Widerspruch zu göttlicher Ordnung stehend verteidigt. Und es hat lange, ewig lange, viel zu lange gedauert, bis sich das Bewusstsein durchgesetzt hat, dass Sklavenhalterei abscheulich und unvereinbar mit dem Glauben an Christus sei.
"Wie konnten die Menschen damals so bescheuert sein?" fragen sich da nicht nur Schüler in unseren Klassenzimmern, wenn solche Themen aufs Tapet kommen. Und alles, was ich auf solche Einlassungen erwidern könnte, klingt entweder platt oder sehr weit hergeholt.
Wer Gott ernst nimmt, der müsste doch eigentlich darum wissen, dass der Herr nicht auf die Person schaut, dass vor ihm allein der Mensch zählt. Denn es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, und - nicht wahr, da war doch noch etwas: - auch nicht Mann und Frau.
Oh, und jetzt wirds schwierig. Jetzt wirds schwierig mit dem Blick in längst vergangene Zeiten. Irgendwie sind wir jetzt ziemlich in der Gegenwart angelangt.
Denn wir haben es ja begriffen, dass es in Christus nicht mehr Mann und Frau gibt, aber konsequent ins Leben übersetzt? Wie schwer fällt es uns doch wirklich die gleiche Wertigkeit der Geschlechter nicht nur mit Lippen zu bekennen, sondern auch wirklich zu leben.
In wie vielen Familien feiert hinter den schönen Fassaden von der zur Schau gestellten Partnerschaftlichkeit das leidige Paschaverhalten der Männer und das klassische Rollendenken fröhliche Urständ.
Was für eine Blamage, für die zivilisierte Welt, dass in einem modernen Staat wie der Schweiz das Frauenwahlrecht erst vor wenigen Jahren auch in den letzten Kantonen eingeführt wurde.
Und welches Armutszeugnis für unsere Kirche, dass sie auch auf diesem Gebiet wieder einmal nicht an der Spitze der Bewegung kämpft, sondern der Entwicklung meilenweit hinterherhinkt.
Ich will es gar nicht wissen, was in einigen Jahrzehnten vielleicht Kinder und Jugendliche in der Schule über unsere Zeit denken werden, über eine Kirche denken werden, die sich in theologischen Klimmzügen ergeht, um letztlich einfach nicht wahrhaben zu wollen, was doch eigentlich so offensichtlich ist: "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid "einer" in Christus Jesus."
Amen.
(gehalten am 23./24. Juni 2007 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)