Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Fest der Taufe des Herrn - Lesejahr C (Lk 3,15-16. 21-22)

In jener Zeit war das Volk voll Erwartung, und alle überlegten im stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei. Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. (Lk 3,15-16. 21-22)

Liebe Schwestern und Brüder,

einmal im Jahr hat sich der Hohepriester in Israel aufgemacht und einen Ziegenbock ausgewählt. Diesen Bock nahm er dann mit, und zwar in die nächste Versammlung des Volkes: zum Gottesdienst. Dort hat man das Tier mitten unter die Leute gestellt und die ganze gottesdienstliche Gemeinde hat sich um diesen Ziegenbock herum versammelt. Und dann ging es los: Jeder einzelne trat vor und hat dem Bock seine Hände aufgelegt.

Für die Menschen damals war das ein ganz wichtiges Zeichen. Für Sie war es ein Symbol. Sie haben sich gesagt: "All das, was wir im vergangenen Jahr falsch gemacht haben, all die Dinge, die schief gelaufen sind, all unsere Sünden und all unsere Schuld, die legen wir jetzt auf dich." Und zum Zeichen dafür, berührten sie den Bock mit ihrer Hand.

Und nachdem alle es getan hatten, nachdem die ganze Gemeinde diesem Tier die Hände aufgelegt hatte, ist man mit dem Ziegenbock zum Rande der Stadt gezogen - dorthin, wo die Wüste anfängt. Und da hat man dieses Tier; das nun für die Menschen zum Sündenbock geworden ist, ganz einfach davongejagt.

Man hat den Sündenbock, dem man die ganze Schuld aufgeladen hatte, in die Wüste getrieben. Und wie dieses Tier dort in der Wüste verendet ist, so hat man gehofft, dass mit ihm zusammen auch die Schuld der Menschen, in der Wüste gleichsam umkommen würde, dass man dadurch seine Verfehlungen loswerden würde.

Für die Menschen damals war das ein wichtiges Ritual. Aber es war nichtsdestoweniger ein grausames Ritual. Nicht nur allein, dass man dieses Tier elendiglich hat zugrundegehen lassen - schon die Tatsache, einen anderen, selbst wenn es ein Tier ist, für sein eigenes Versagen büßen zu lassen, das ist grausam.

Und ganz besonders grausam ist es, wenn dann nicht eine Ziege, wenn gar ein Mensch für andere büßen soll, zum Sündenbock abgestempelt wird. Denn auch dort, wo keine Ziegen in die Wüste geschickt werden, auch dort ist das Phänomen des Sündenbocks, ja bekannt, ja schon sprichwörtlich geworden. 

"Ich kann nichts dafür, der da war's..."

Wie oft sucht sich, manchmal sogar eine ganze Gesellschaft einen einzigen, einen, dem man die ganze Schuld aufladen kann.

Da ist dann ein einziger Minister schuld, an der ganzen Misere mit dem Rinderwahn, oder noch besser, irgendein Bauer, einer, von den ganz kleinen. Einen den man einfach herauspickt - ganz wahllos - damit alle mit dem Finger auf ihn zeigen können.

So hat man es immer gemacht: Man suche sich einfach irgendeinen, oder eine Minderheit, am allerbesten, Menschen, die sich nicht wehren können. 

So hat man immer schon andere zu Sündenböcken gestempelt. Ein grausames Ritual. So grausam eben, wie es ist, wenn jemand unschuldig für die Fehler anderer bezahlen soll.

Und deshalb ist es eigentlich auch ein grausames Fest, das wir heute feiern. Denn heute geht es los, heute beginnt es: Heute denken wir daran, dass da wieder einer angefangen hat, zum Sündenbock zu werden. Mit dem Tag der Taufe im Jordan hat es begonnen, da hört die Zeit der Weihnacht dann endgültig auf, da enden die süßen Kindheitsgeschichten, da tritt er endgültig in unsere Reihen, da reiht er sich ein: Er, der Unschuldige, er, der keine Fehler hat, Jesus Christus, der Gott und Mensch zugleich war. Er stellt sich am Jordan in die Reihe der Menschen, die zur Bußtaufe gekommen waren. Er stellt sich in die Reihe der Sünder. Und er stellt sich dorthin, wie der Ziegenbock am altisraelitischen Versöhnungstag, wie dieses unschuldige Tier, dem jetzt die Schuld aufgeladen wird, und er wird sie dann tragen bis zum Kreuz, wo er sie dann endgültig wegtragen wird.

Eigentlich ein grausames Fest. Taufe des Herrn: der Festtag eines Menschen, der sich aufmacht zum Sündenbock zu werden.

Es gibt nur eines, was diesem Gedanken ein klein wenig von seiner Schärfe nimmt: Niemand, kein Mensch hat diesen Jesus nämlich zum Sündenbock gemacht! Keiner hat ihn dazu gezwungen. Gott, der freiwillig so weit heruntergekommen ist, dass er Mensch wurde, Gott geht sogar so weit, dass er sich freiwillig unsere Schuld aufladen lässt.

Heute denken wir wieder daran - und damit beginnt die Zeit des Jahreskreises -, dass Gott sich einreiht, in die Reihe der Sünder stellt, in unsere Reihen stellt, um uns von unserer Schuld zu befreien. Da wird jemand aus freien Stücken zum Sündenbock - und das für uns.

Eigentlich ein grausames Fest. Aber es ist ein Fest, das uns zeigt, wie wichtig wir diesem Gott sind. Es ist ein Fest, mit dem Gott wieder einmal seine Liebe zu uns Menschen unter Beweis stellt. Noch ein Fest der Liebe. Schon wieder ein Fest der Liebe Gottes zu uns Menschen.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 7. Januar 2001 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)