Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


4. Adventssonntag - Lesejahr C (Mi 5,1-4a)

So spricht der Herr: Du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. Darum gibt der Herr sie preis, bis die Gebärende einen Sohn geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder heimkehren zu den Söhnen Israels. Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit leben, denn nun reicht seine Macht bis an die Grenzen der Erde. Und er wird der Friede sein. (Mi 5,1-4a)

König Herodes ließ die Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. Sie antworteten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten.

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie kennen diese Szene. Aus der Michastelle, die wir gerade eben als Lesung gehört haben, folgern die Schriftgelehrten, dass der Messias in Bethlehem geboren worden sein müsse.

Eine ganze Reihe von Exegeten nimmt heute an, dass nicht nur die Gelehrten des Herodes dies getan haben. Die ersten Christengenerationen und die Evangelisten, hätten dies genauso gemacht.

So gehen bedeutende Bibelwissenschaftler heute davon aus, dass Jesus - historisch betrachtet - gar nicht in Bethlehem geboren worden sei. Jesus, der ja stets "Jesus von Nazareth" genannt wurde, stamme einfach aus Nazareth, und mehr, die genauen Umstände seiner Geburt und wie er genau aufgewachsen ist, sei schlicht und ergreifend einfach nicht bekannt. Erst weit nach Ostern hätte man sich solche Fragen gestellt. Und man hätte es genau so gemacht, wie es Schriftgelehrte im ersten Jahrhundert nach Christus eben getan haben: Man schaute bei den Propheten nach, was dort über den Messias zu finden war und hatte damit seine Antwort. Weil Micha Bethlehem als Herkunftsort des Messias nennt, deshalb müsse Jesus auch dort geboren worden sein. Und weil die Propheten schreiben, dass Gott seinen Sohn aus Ägypten gerufen habe, deshalb berichtet man von der Flucht nach Ägypten. All diese Texte seien bildhafte Berichte, die eine theologische Aussage beinhalten - Theologie und keine Geschichtsschreibung.

In den Hörsälen unserer Theologischen Fakultäten sind solche Sätze wenig umstritten und mittlerweile eigentlich Allgemeingut. In unseren Gemeinden führen sie immer noch zu Verwunderung, ungläubigem Staunen, wenn nicht gar blankem Entsetzen. Man hat sich - und das gerade was Weihnachten angeht - so an die Bilder, die Geschichten und all die Bräuche gewöhnt, man hat ganz festen Vorstellungen, davon, wie sich alles damals zugetragen hat, dass man fast alles darf, nur nicht an diesen Bildern rütteln.

Und das geht dann selbst so weit, dass es da und dort schon fast zu Glaubenskriegen kommt, wenn man selbst an Vorstellungen rührt, die schon gar nichts mehr mit der biblischen Weihnachtsgeschichte zu tun haben. Oder haben Sie im Evangelium schon einmal etwas von Ochs und Esel an der Krippe gelesen?

Gar nicht so weit entfernt von uns gab es genau deshalb aber den ultimativen Krach in einer Gemeinde, weil man beim Aufbau der Krippe Ochs und Esel nämlich weggelassen hatte, mit der Begründung, in der Bibel stünde ja nichts davon. Am Ende hat sich fast die ganze Gemeinde darüber zerstritten, ob jetzt Ochs und Esel aufgestellt werden dürfen oder nicht. Und der Pfarrgemeinderat ist deshalb sogar auseinandergebrochen.

Dabei findet sich ein Hinweis auf Ochs und Esel durchaus auch wieder bei den Propheten. Jesaja schreibt etwa: "Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn." (Jes 1,3) Von daher gehören sie ganz sicher ins große Umfeld all dieser theologischen Bilder, die uns die Bedeutung dieses Geschehens, das wir an Weihnachten feiern, ein wenig erschließen helfen möchten. Sie gehören zu den Bildern, sagen aber wirklich nichts darüber aus, was sich - historisch betrachtet - damals genau ereignet hat.

Das ist aber doch auch gar nicht wichtig. Und es ist irgendwie bezeichnend für uns Menschen, dass wir uns über Tiere und Orte, Daten und Namen streiten und zerfleischen können, aber dabei das eigentlich Wichtige so oft aus dem Blick verlieren.

Dass uns Gott nämlich in diesem Jesus von Nazareth auf eine Art und Weise nahegekommen ist, die unbeschreiblich und unüberbietbar ist, das allein zählt doch am Ende. Wo das gewesen ist, ist doch völlig egal. Und ob an der historischen Krippe, wo auch immer die gewesen sein mag, ein Ochse und ein Esel standen, und ob es wirklich eine Krippe oder nicht doch ein ganz normales Bett gewesen ist, das spielt doch letztlich keine Rolle. Was ändert das denn daran, dass uns Gott in Jesus von Nazareth begegnen will.

Und selbst wenn wir es genauer wissen wollten. Wir können nichts darüber sagen. Die geschichtlichen Zusammenhänge entziehen sich unseren neugierigen Zugriffen. Und für einen Historiker sind sie eben nicht zu fassen.

'Aber Ochs und Esel müssen an der Krippe gestanden haben!' habe ich letzthin gelesen, 'denn Gott liebt nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere.'

Da musste ich dann doch ein wenig schmunzeln, denn um das zu beweisen, dafür brauchen wir keinen Ochsen oder Esel an der Krippe. Um zu wissen, dass Gott ein Herz auch für dumme Esel und für störrische Ochsen hat, dafür brauchen wir keine Historiker und nicht einmal Theologen - dazu genügt manchmal sogar einfach ein Blick in den Spiegel.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 22./23. Dezember 2012 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)