Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
5. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr C (Joh 13,31-33a. 34-35)
(im Verbund mit Offb 21,1-5a)
In jener Zeit, als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen. Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt. (Joh 13,31-33a. 34-35)
Ich, Johannes, sah einen neuen Himmel und eine neuer Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. (Offb 21,1-5a)
Liebe Schwestern und Brüder,
eine Liebesgeschichte hätte es werden sollen, eine Geschichte voller Liebe und echter Hilfsbereitschaft, vom Gefühl zusammenzugehören und sich gegenseitig etwas zu bedeuten, nicht etwa im Stil billiger Kitschromane und erst recht nicht nach Art und Weise von irgendwelchen Seifenopern, eine echte Liebesgeschichte, das hätte sie werden sollen, die Geschichte unserer Kirche. - Daraus geworden ist alles andere als das.
Sicher, es gibt wohl eine ganze Reihe kleinerer und größerer Romanzen in dieser Geschichte, Episoden, die sich auf einem dunklen Hintergrund ganz besonders gut abheben, kleine Glanzlichter, an einem eher grauen Horizont. Wen aber vermögen die darüber hinwegzutäuschen, dass sie schlicht und ergreifend eben Episoden sind, Ausnahmen, die allerhöchstens eine Regel bestätigen?
Da hilft es nichts, die entsprechenden Personen und ihre Leistungen noch so sehr herauszustreichen und zu betonen, wenn irgendjemand auf die Idee käme, ein Lexikon der Lieblosigkeiten zu verfassen, die Geschichte unserer Kirche böte ihm ausreichend Stoff.
Und ich denke, Sie nehmen mir das jetzt ab, auch ohne dass ich all die betreffenden Geschehnisse, angefangen von Bekehrungen mit dem Schwert, über Folter und Inquisition bis hin zu den düstersten Machenschaften einzelner Päpste, auch ohne dass ich die jetzt alle noch einmal aufzähle.
So leid es mir auch tun mag, das ist eine Realität, der wir ins Auge sehen müssen, an der es nichts zu beschönigen gibt und die um so schwerer wiegt, wenn wir sie auf der Folie des heutigen Evangeliums betrachten. Wie sagt Jesus? An unserer Liebe wird man erkennen können, dass wir uns in seiner Nachfolge befinden. Doch - und verzeihen Sie mir die drastische Formulierung - was kann man tatsächlich erkennen?
Die Lieblosigkeit in unserer Kirche gibt um ein Vielfaches gar Zeugnis davon, wie wir die Sache Jesu Christi verraten. Ich brauche doch nicht extra zu betonen, wie gerade heute äußerst aufmerksam beobachtet wird, ja intensivst darauf geachtet wird, ob unsere Kirche das, was sie verkündet, auch tatsächlich lebt. Und 'zig mal schon habe ich erleben müssen, wie Menschen, die dieser Kirche äußerst kritisch gegenüberstehen, Grund haben zu glauben, dass sie gerade das nicht tut, dass sie die Liebe, die sie verkündet, gerade nicht lebt, dass man uns genau diese Lieblosigkeit vorhalten kann.
'Zig mal schon habe ich erleben müssen, wie ich dann nichts anderes sagen konnte, als: "Ja, so leid es mir auch tun mag, ich muss zugeben, du hast recht."
'Zig mal schon musste ich erleben, dass ich selbst dann nicht anders konnte, als mich dafür zu schämen, was im Namen Jesu Christi schon alles geschehen ist. Und ich musste erleben dass ich mich dann mich nicht einmal - und das ist für mich das schlimmste daran - dass ich mich nicht einmal darauf zurückziehen konnte, zu sagen, das war halt früher so, das ist im finsteren Mittelalter gewesen, das ist schon lange her und da kann ich und all diejenigen, die heute als Christen leben absolut nichts dafür. Das schlimmste daran ist für mich, dass ich nicht einmal behaupten kann, dass wir es heute wesentlich besser machen würden, als die Generationen vor uns.
Wie sollte ich einem dieser kritisch distanzierten Menschen, den Bischof Degenhart und den Eugen Drewermann als großes Liebespaar, als großes Vorbild in der Liebe verkaufen? Und könnt ich wirklich, ohne rot zu werden, Sie, so wie Sie hier sitzen, als große Liebesgemeinschaft anpreisen. Und auch was mich angeht, da möchte ich die Waage für das Abwägen von Nächstenliebe und Lieblosigkeiten am Besten gar nicht aufgebaut wissen. Ein denkbar schlechtes Zeugnis also ein denkbar schlechtes Zeugnis für den auferstandenen Jesus Christus.
Trotz vieler guter Ansätze, trotz vieler Versuche, unterm Strich bleibt für mich aufs Ganze gesehen nicht allzu viel übrig was da Zeugnis für echte Nachfolge geben könnte. Und das liegt dieses Mal wirklich nicht nur an Päpsten und an Bischöfen, das lässt sich dieses Mal wirklich nicht nur einer ominösen Amtskirche ankreiden. Ich fürchte da darf sich dieses Mal jeder wirklich einmal an der eigenen Nase fassen. Anstelle einer Liebesgeschichte eine Enzyklopädie der Lieblosigkeit; eigentlich zum Davonlaufen!
Können wir's denen wirklich verdenken, die es tun? Und vor allem, warum tun wir's nicht? Warum bleibe ich in dieser Kirche?
Nun, ich bleibe, weil ich einen Traum habe, weil ich mich noch nie mit dem zufrieden gegeben habe, was nach außen hin sichtbar ist, weil ich davon träume, dass das, was an guten Ansätzen vorhanden ist, was an großen und leuchtenden Ausnahmen im Augenblick noch die Regel bestätigt, weil ich davon träume, dass sich das doch noch weiterentwickeln wird, dass es sich weiterentfalten wird, weil ich diesen Traum habe, dass es einmal diese Gemeinschaft geben wird, die Jesus Christus gedacht hat. Und weil ich davon überzeugt bin, dass dieser Traum kein leerer Traum ist. Ich träume ihn nicht nur mit vielen Menschen gemeinsam, ich träume ihn nicht zuletzt gemeinsam mit dem Verfasser der Apokalypse, dieses letzten Buches der Bibel, aus dem wir eben in der Lesung gehört haben.
Dieser Johannes, der sieht in seinem Traum, in seiner Vision einen neuen Himmel und eine neue Erde, und er sieht das neue Jerusalem, das für ihn Bild dieser erneuerten Kirche ist. Eine Vision, von der Jesus Christus verheißen hat, dass sie eine Realität werden wird. Und ob innerweltliche oder transzendente Realität, das spielt für mich dann nur noch eine untergeordnete Rolle, denn dem Übergang dazwischen dem messe ich kaum eine Bedeutung zu. Dass diese Vision eine Realität werden wird, das hat für mich Bedeutung, und diese Verheißung die ist für mich dann mehr als eine ausreichende Motivation, um sich weiter darum zu mühen, um sich weiter dafür einzusetzen.
Dieser Traum von einer Kirche, von dem Jesus Christus verheißt, dass er Wirklichkeit werden wird, für mich ist dieser Traum, und vor allem die dahinterstehende Verheißung Christi, der entscheidende Grund dafür dabeizubleiben. Denn diese Verheißung sagt dann ja nichts anderes, als dass wir zugegebenermaßen diese wirklich um Jesus Christus versammelte Gemeinschaft noch nicht sind, aber dass wir auf dem Weg dorthin sind, auf dem Weg sind, diese Gemeinschaft zu werden, dass wir trotz aller Fehler und trotz aller Schuld, dass wir jetzt schon zu dieser Kirche Jesu Christi gehören, wenn auch nur ein kleines Stück weit, wenn auch nur als Kirche auf dem Weg.
Für mich ist das dann auch der Grund dafür, warum ich keine Schwierigkeiten dabei habe, wenn ich im Glaubensbekenntnis bete, diese Kirche zu glauben. Denn ich glaube sie, ich glaube sie als etwas, das nicht nur auf dem Weg ist, sondern tatsächlich an ein Ziel kommt, ich glaube sie als etwas, das wie eine neue Stadt erstehen wird, eine Stadt, die dann wirklich Kirche Christi sein wird, die niemanden ausgrenzt, und die in dieser Liebe dann alle umfängt.
Und von daher ist für mich das Wort "kat'holon", dieses griechische Wort für "allumfassend" in unserem Glaubensbekenntnis, von daher ist für mich dieses Wort auch viel aussagekräftiger, weit aussagekräftiger, als das bloße Wort "christlich" vor Kirche, selbst wenn es ein geschichtlich belastetes Wort ist.
Ich kann diese Kirche Christi glauben, ich kann sie glauben, weil ich noch nicht verlernt habe davon zu träumen, weil die Realität unserer Geschichte schwächer ist als die Kraft, die von dieser Vision ausgeht, von der Vision, die die Menschen seit dem ersten Ostertag schon träumen.
Und Sie wissen ja: Wenn einer alleine träumt, dann ist das nur ein Traum. Wenn aber viele gemeinsam träumen, und wirklich gemeinsam beginnen an der Verwirklichung ihres Traumes zu arbeiten, dann ist das der Beginn, der Beginn einer neuen Wirklichkeit, auch einer erneuerten Wirklichkeit von Kirche.
Amen.
(gehalten am 17. Mai 1992 in der Schlosskirche Mannheim)