Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Predigt am Karfreitag

 

Ganz ehrlich? Ich hab' schon meine Schwierigkeiten mit diesem Text der Passion, der heute im Mittelpunkt des Karfreitages steht. Im Vergleich zur Leidensgeschichte bei Markus, Matthäus und Lukas, ist die Johannespassion ja schon von ganz eigener Art.

Liebe Schwestern und Brüder,

man merkt dem Text durchaus an, dass er erst in der Zeit um 100 nach Christus endgültig schriftlich fixiert worden ist. Das war die Zeit, in der der große Krieg der Römer gegen Israel und die Juden schon einige Jahrzehnte zurücklag.

Blutig und brutal hatten die Römer die Aufstände in und um Jerusalem niedergeschlagen. Mit Truppen ist man in die Heilige Stadt einmarschiert, hat den Tempel zerstört und die Juden aus Palästina vertrieben.

Vor diesem Krieg galten die Christen für die Römer einfach als so etwas wie eine jüdische Sekte. Als man 49 nach Christus in der Folge von Unruhen Juden aus Rom vertrieben hat, war klar, dass auch Christen wie Aquila und Priscilla mit ihnen aus der Hauptstadt ausgewiesen wurden.

Nach dem großen jüdischen Krieg mühten sich die Christen deshalb mit aller Kraft, ja nicht mit den Juden, denen, die gegen Rom den Krieg begonnen hatten, in einen Topf geworfen zu werden. Die Juden allein seien schließlich die Kriegstreiber gewesen, die Christen hätten nichts gegen Rom gehabt - ganz im Gegenteil.

Dieses Bemühen ist bis ins Johannesevangelium hinein immer wieder zu spüren. Und es findet seinen Höhepunkt in der Passion: Die Juden schrien, die Juden haben gefordert, die Juden waren es.

Das sind Sätze, die Jesus von Nazareth selbst nie über die Lippen gekommen wären. Es war sein Volk, es waren die zwölf Stämme Israels, zu denen er sich gesandt wusste. Jesus war Jude und er hat sich immer als Jude gefühlt. Auch wenn man das durch all die Jahrhunderte dann nicht mehr hat wahrhaben wollen.

Und genauso wurde der Text der Johannespassion schließlich auch immer wieder missbraucht. Er musste als Begründung dafür herhalten, Juden zu diskriminieren und zu verfolgen. Sie waren schließlich die Christusmörder, so las man es ja im Evangelium.

Unendlich viel Leid nahm von hier aus seinen Ursprung. Unzählige Verbrechen wurden mit den Zeilen des Evangeliums gerechtfertigt. Denn wer für die Kreuzigung verantwortlich sei, das konnte man hier ja ganz einfach nachlesen. Die Juden, das waren die Bösen, die Christen - wir - wir sind die Guten. Wir sind die, die diesem Jesus glauben.

So einfach ist das. Ist das wirklich so einfach? Glauben wir denn wirklich, dass wir alle diesem Jesus von Nazareth in riesigen Scharen nachgelaufen wären? Glauben wir tatsächlich, dass es ihm heute anders ergehen würde als damals?

Was wäre denn, wenn dieser Jesus heute predigen würde? Wie würden wir Christen denn reagieren, wenn da jemand käme und uns ins Stammbuch schreiben würde, was da alles falsch läuft in der Christenheit?

Wie wäre das denn in unserer ach so christlichen Gesellschaft, wenn er uns vor Augen führen würde, dass wir hier bei uns nur deshalb in Wohlstand leben, weil wir das auf Kosten anderer tun; dass unser Wirtschaften gar nicht zulasse, dass Menschen in anderen Weltregionen zu mehr Wohlstand kommen, weil wir sonst ja von unserem Wohlstand abgeben müssten?

Würden wir ihm begeistert folgen, wenn er anprangern würde, was für einen Raubbau wir mit unser Umwelt treiben - auf Kosten nachfolgender Generationen; wenn er uns vorrechnen würde, wie wenig wir tatsächlich bereit sind, gegenzusteuern, um wenigstens das Schlimmste noch zu verhindern?

Ich sage gerne, dass man die Johannespassion nehmen, und sie ganz einfach anders lesen müsste. Überall wo im Text die Juden steht, "Die Juden aber schrien...," da müsste man einfach mal "die Christen" einsetzen: "Die Christen aber schrien!" Und überall wo vom Hohenpriester die Rede ist, einfach einmal "der Papst" lesen. Was für eine Brisanz würde dieser Text dann plötzlich bekommen!

Als ich vor etlichen Jahren versuchte Ähnliches in einem Schülergottesdienst, den Kindern und Jugendlichen klar zu machen, da hat mir eine Zehnjährige gesagt: "Da haben Sie vermutlich recht. Nur ans Kreuz schlagen, ans Kreuz schlagen das würde man ihn heute vermutlich nicht mehr. Aber ihn in eine Anstalt einweisen, das würde man wohl tun!"

Es sind nicht die Juden, die für den Tod Jesu verantwortlich sind. Menschen haben ihn hingerichtet. Die Menschen, wir Menschen haben ihn getötet.

Und auch wenn das jetzt schon 2000 Jahre zurückliegt, es wäre heute vermutlich gar nicht so viel anders.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 18. April 2025 in der Kirche St. Nikolaus, Ettenheim-Altdorf)