Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Oktober - Hl. Franz von Assisi (Mt 11,25-30 mit Röm 8,18-25)
Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht? Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld (Röm 8,18-25)
In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht. (Mt 11,25-30)
Es ist schon einige Jahre her, da sagte mir eine Neuntklässlerin in der Realschule - und das allen Ernstes -: Wenn sie jetzt einen Wald retten könnte oder einen Menschen und sie müsste sich nun tatsächlich entscheiden, dann würde sie den Wald retten, denn ein Wald, das wären ja viele Bäume, dieser Mensch aber, das sei ja nur einer.
Liebe Schwestern und Brüder,
so weit sind wir schon. Bäume sind mittlerweile für manche schon wichtiger als ein Menschenleben. Und Tiere zu schützen scheint vielen heute weit sinnvoller zu sein, als sich für Menschen einzusetzen.
So weit ist es schon. Und dieses Denken greift immer weiter um sich. Eine Entwicklung, über die man sich eigentlich aufregen müsste, wenn wir nicht ein gutes Stück weit selbst schuld an diesem Denken wären. Wenn man ein Pendel ganz in eine Richtung zieht, dann schlägt es schließlich wie von selbst genau in die andere Richtung zurück.
Wir haben in unserer kirchlichen Tradition und Theologie so stark den Menschen und seine einzigartige Bedeutung betont, dass Tier und Natur, Umwelt und Schöpfung fast gar keine Rolle mehr spielten. Ist es da verwunderlich, dass das Pendel letztlich genau ins andere Extrem ausgeschlagen hat, dass nun Pflanzen und Tiere plötzlich in den Mittelpunkt gestellt werden, dass die Umwelt jetzt in so einem Maße betont wird, nachdem wir jahrhundertelang viel zu einseitig davon gesprochen haben, dass der Mensch sich die Erde untertan machen soll?
Wir waren so sehr auf den Menschen als Krone der Schöpfung fixiert, dass wir schon fast vergessen hatten, dass dieser Mensch ohne seine Mitwelt auf dieser Erde gar nicht lebensfähig ist. Und es hat lange gedauert, und das Thema Umwelt war überall sonst schon in aller Munde, bis Kirche endlich neu begriffen hat, dass schon die Schrift zum verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung mahnt und wir eigentlich die Ersten hätten sein müssen, die sich dieses Themas annehmen.
Dabei hat uns schon im 13. Jahrhundert jemand wie Franz von Assisi den richtigen Weg gewiesen. Der Heilige Franziskus hat nämlich schon damals ganz stark empfunden, dass Mensch und Natur eine Einheit bilden und dass wir gemeinsam vor unserem Schöpfer stehen, vereint im Lob Gottes.
In seinem Sonnengesang können Sie es noch heute nachlesen, in seiner Predigt an die Vögel hat er es ganz deutlich zum Ausdruck gebracht und als er an einem Weihnachtsfest die Christmette nicht in der Kirche, sondern tatsächlich in einem Stall hat feiern lassen, da hat er den Gottesdienst sogar zu den Tieren verlegt, hat Esel und Rindviecher bei der Eucharistie dabei sein lassen.
Damals haben viele Franziskus Vorwürfe gemacht, haben ihm vorgehalten, dass er den Gottesdienst bei Tieren halten ließ - aber glauben wir denn wirklich, dass den Gott, der nicht in einem barocken Palast, sondern bei Hirten und ihren Herden Mensch geworden ist, dass den Tiere allen Ernstes stören würden? Ich kann die Aufregung deshalb nur wenig verstehen, wenn einmal Tiere im Kirchenraum zugegen sind. Gott stören sie sicher nicht.
Vielleicht erleben Tiere diesen Gott sogar noch unmittelbarer als wir selbst. Wenn wir im Evangelium des Franziskustages hören, dass Jesus seinen Vater preist, weil er all das den Klugen und Weisen verborgen, den Unmündigen aber geoffenbart hat, dann bringt Franziskus zum Ausdruck, dass diese Unmündigen nicht nur die einfachen Menschen und Kinder sind, die Gott sehr viel unmittelbarer begreifen, sondern auch die Tiere.
Gut, Tiere haben keinen Verstand, zumindest nicht so wie wir Verstand gemeinhin definieren. Aber gerade deswegen hinterfragen sie auch nicht und deshalb zweifeln sie auch nicht, sondern begegnen ihrem Schöpfer in einer Unmittelbarkeit, von der wir wahrscheinlich meistens nur träumen können.
Natürlich weiß auch ich um die einschlägigen theologischen Diskussionen. Ich weiß, dass man sagt, dass Tiere keine Seele haben. Und so wie die Theologie Seele beschreibt, so mag das ja auch stimmen. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass Tiere deshalb unbeseelt wären.
Und es heißt auch nicht, dass sie an der Vollendung der Schöpfung, an dem, was wir Reich Gottes nennen, keinen Anteil hätten.
Wenn ich an den Himmel denke, dann tue ich mich sehr schwer damit, ihn klinisch rein, wie eines der modernen staubfreien Labors zu denken, in dem es nur weiße Kittel und sterilisierte, antiseptische Wände gibt.
Wenn ich mir das Reich Gottes vorstelle, dann spielen da vielmehr eine Fülle von Bildern eine Rolle, Bilder, die mir auch in der Bibel immer wieder begegnen. Und das sind Bilder mitten aus dem prallen Leben. Und da gehören die Tiere und Blumen und die Bäume dazu.
Und wahrscheinlich denkt auch Paulus genau daran, wenn er im Römerbrief davon spricht, dass nicht nur die Menschen, sondern die ganze Schöpfung wie in Geburtswehen liegt und auf die Vollendung im Reich Gottes wartet.
Deshalb glaube ich, dass auch die Tiere in den Himmel kommen und jedes Kind, das ein liebes Tier verloren hat, das glaubt dies auch.
Das heißt nicht, dass wir nun anfangen sollten, Tiere zu vergötzen und am Ende von heiligen Kühen und Katzen zu sprechen. Ganz im Gegenteil. Es geht ja gerade darum, extremen Positionen zu wehren - sowohl im einen als auch im anderen. Wenn wir aufhören, den Menschen so alleine zu betrachten, ihn fast von seiner Umwelt zu lösen, wenn wir die Schöpfung, wie wir das viel zu lange getan haben, nicht aus dem Blick verlieren, sondern betonen, dass sich auf dieser Welt menschliches Leben nur im Verein mit Tier- und Pflanzenwelt, nur im Verein mit der ganzen Schöpfung verwirklicht, dann tragen wir vielleicht dazu bei, dass weder der Mensch gegen die Natur noch die Natur gegen den Menschen ausgespielt werden können.
Und dann wird man vielleicht auch nicht mehr so schnell auf die Idee kommen, wegen eines Waldes einen Menschen aufs Spiel zu setzen.
Amen.
(gehalten am 2./3. Oktober 1999 in der Peters- und Pauluskirche Bruchsal)