Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
1. Adventssonntag - Lesejahr A (Röm 13,11-14a)
Brüder! Bedenkt die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht. Legt (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an. (Röm 13,11-14a)
Sind Sie heute Morgen auch im Bewusstsein aufgewacht, wieder einen Tag älter zu sein? Manchmal überkommen mich solche Gedanken.
Jedes Mal wenn wir zu Bett gehen, ist schon wieder ein Tag vom Rest unseres Lebens dahin. Und wie schnell rieseln uns die Tage durch die Finger. Es war doch gerade noch Sommer, und jetzt soll schon wieder Advent sein? Schon wieder Advent!
Es klingt immer recht wehmütig, wenn wir uns fragen, wo denn die Zeit geblieben ist.
Liebe Schwestern und Brüder,
offenbar beschäftigen auch Paulus solche Gedanken. Im Römerbrief, aus dem wir heute einen Abschnitt gehört haben, spricht er ja genau davon, sinniert er über das Verstreichen der Zeit. "Bedenkt die gegenwärtige Zeit..." sagt er, "Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe."
Allerdings klingen bei Paulus diese Überlegungen etwas anders, als das bei uns normalerweise der Fall ist. Hier ist nichts von Wehmut zu spüren. Bei ihm klingt das so, als wäre es gut, dass die Zeit vorgerückt ist, dass wir schon wieder etwas weiter sind. "Jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden."
Ich gebe zu, bei solchen Sätzen wird mir schon etwas mulmig. So sehr sehne ich mich nicht danach, dass der Tag kommt, an dem ich aus diesem Leben scheide. So wirklich bereit, dieses Leben loszulassen, um dem Herrn gegenüberzutreten, bin ich jetzt eigentlich nicht.
Für Paulus ist das aber offenbar eine freudige Realität. Wir gehen Schritt für Schritt, Tag für Tag, Jahr um Jahr dem Herrn entgegen. Das Heil ist uns jeden Tag ein Stück näher, näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
Eigentlich bedeutet Advent ja nichts anderes. Das ist die Botschaft des Advent, wir bereiten uns vor auf die Begegnung mit dem Herrn. Und das ist nicht etwas, was vor 2000 Jahren stattgefunden hat, kein rührseliges Fest, das mit schöner Regelmäßigkeit für Gefühlsduselei sorgt; es ist ein Tag, auf den jeder und jede von uns mit kleineren oder größeren Schritten zugeht, der unweigerlich kommen wird - und der für Paulus Anlass großer Freude, Erfüllung seines Lebens, Heil im eigentlichen Sinne des Wortes bedeutet.
Ich bin wahrscheinlich noch nicht so weit, dass ich mich nach diesem Tag sehne. Ich erschrecke immer noch, wenn ich dieser Botschaft in solch einer Deutlichkeit begegne. Ich bin vermutlich immer noch viel zu verliebt in dieses Leben, als dass ich beim Gedanken an das Sterben zuallererst an den Himmel denke.
Aber genau deshalb rüttelt mich solch eine Botschaft immer wieder auf. Genau deshalb lässt sie mich die Art und Weise, wie ich den Tag gestalte, immer wieder überdenken. Genau deshalb lässt mich die Botschaft vom Advent, vom Herrn, der mir ganz persönlich immer näher kommt, auch dafür sorgen, die Tage, die mir geschenkt sind sehr viel bewusster anzugehen, dafür zu sorgen, dass sie mir nicht durch die Finger rieseln.
Für mich ist das die wichtigste Botschaft dieses ersten Adventssonntages, und die werde ich mir für die nächsten Wochen hinter die Ohren schreiben. Es ist eine Botschaft, die ein altes lateinisches Sprichwort ganz gut auf den Punkt bringt - für mich der eigentliche Auftrag dieses ersten Adventssonntages:
Was immer Du tust, mache es klug und verliere dabei nie das Ende, verliere das Ziel nie aus den Augen.
Amen
(gehalten am 27./28. November 2010 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)