Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


3. Adventssonntag - Lesejahr A (Jes 35,1-6a. 10)

Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen. Sie soll prächtig blühen wie eine Lilie, jubeln soll sie, jubeln und jauchzen. Die Herrlichkeit des Libanon wird ihr geschenkt, die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. Man wird die Herrlichkeit des Herrn sehen, die Pracht unseres Gottes. Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest! Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott! Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung; er selbst wird kommen und euch erretten. Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des Stummen jauchzt auf. Die vom Herrn Befreiten kehren zurück und kommen voll Jubel nach Zion. Ewige Freude ruht auf ihren Häuptern. Wonne und Freude stellen sich ein, Kummer und Seufzen entfliehen. (Jes 35,1-6a. 10)

Die Rache Gottes wird kommen und seine Vergeltung - das soll frohe Botschaft sein?

Liebe Schwestern und Brüder,

manchmal scheint die Bibel schon komische Vorstellungen zu haben: Rache und Vergeltung! Und so etwas wird auch noch im Gottesdienst vorgetragen, wo Jesus doch Sanftmütigkeit und Versöhnung gepredigt hat.

Wenn dieser Text nicht völlig neben der Spur sein soll, dann muss es irgend einen Schlüssel geben, der auf den ersten Blick nicht zu entdecken ist; irgend etwas, was uns das Verständnis für dieses - an Jesus gemessen - doch recht eigenartige Wort richtig erschließt.

Und diesen Schlüssel gibt es tatsächlich. Es liegt nämlich - wie so oft - wieder einmal an der Übersetzung; oder daran, dass man die Worte, die da im hebräischen Text stehen, im Deutschen gar nicht adäquat wiedergeben kann.

Wenn wir von "Rache" sprechen, dann meinen wir etwas anderes, als das hebräische Wort "naqam" oder "neqamah" eigentlich sagen möchte. Das aber, das, was dieses Wort wirklich meint, ist letztlich nur ganz schwer in einem einfachen deutschen Wort wiederzugeben.

Das wird schon deutlich wenn man die Übersetzung anschaut, die Martin Buber versucht hat. Er hat sich ja darum bemüht, nicht nur wörtlich, sondern sinn- und wortgemäß zugleich zu übertragen. Und da kommt er zur Lösung: "Fürchtet euch nimmer, da: euer Gott, Ahndung kommt…"

Das ist zwar letztlich auch kein Deutsch, aber es macht schon ein wenig deutlich, dass es hier kaum um grausame Rache gehen kann. "Ahndung" ist etwas ganz anderes als "Rache". Hier wird nicht einfach gerächt, hier soll ein Vergehen geahndet werden.

Und genau das ist es auch, was beim biblischen Wort für "Rache" im Hintergrund immer mitschwingt. Es ist ein Wort aus der Gerichtssprache, ein Wort, das damit zu tun hat, dass Dinge wieder in Ordnung gebracht werden sollen, Unrecht wieder gut gemacht und Verbrechen gesühnt werden.

Für all diejenigen, denen Unrecht widerfahren ist, die Opfer von Gewalt wurden, für all diejenigen ist aber genau das eine Verheißung. Gott selbst wird auftreten und für Gerechtigkeit sorgen. Er sorgt dafür, dass Unrecht geahndet und Vergeltung geübt wird.

Und das Wort, das hier im Deutschen mit "Vergeltung" wiedergegeben wird, hat im hebräischen Sprachgefühl auch keineswegs die Aura von Gräuel und Gewalt. Und selbst in unserer Sprache hat dieses Wort ja durchaus auch noch eine positive Seite. Ich denke da nur an den Wunsch "Vergelts Gott!"

Und genau diese Bedeutung des Wortes kommt dem hebräischen Sprachempfinden letztlich am nächsten. Da geht es darum, Menschen ihr Tun zu vergelten. Es geht darum, dass Gott den Opfern zur Seite steht und den Tätern endlich das Handwerk legt - nicht in einem Willkürakt, sondern als Folge eines gerechten Urteils. Denn um nichts anderes geht es: um den gerechten Ausgleich nämlich. Darum, dass endlich Gerechtigkeit herrscht und der Arme und Unterdrückte, der Ausgebeutete und Rechtlose zu genau diesem seinem Recht kommt.

Wenn das keine gute Nachricht ist, Evangelium, frohe Botschaft für alle, die am Rand stehen, für alle, die auf Gott hoffen, und für die er, die letzte Hoffnung ist.

Das ist Frohbotschaft, für all die Kinder, deren einziger Fehler es ist, in Familien hineingeboren zu sein, in denen niemand bei den Hausaufgaben helfen kann oder kein Geld für teure Nachhilfe übrig ist; gute Nachricht für alle, die nicht Unsummen erben und von daher keine Probleme mit dem Durchstarten in die gesellschaftliche Oberschicht haben; Evangelium für die, die jenseits der Grenzzäune der Festung Europa geboren werden und nur unter Einsatz ihres Lebens ein Stück vom Kuchen des Wohlstandes, der doch letztlich für alle Menschen gebacken wurde, abzubekommen versuchen.

Gott steht auf ihrer Seite. Er wird nicht nur kommen, er ist bereits da. Seht, hier ist euer Gott! Er tritt ein für Gerechtigkeit, er spricht das rechte Urteil und sorgt dafür, dass es schon hier und heute greift. Und er vergilt alles, was an Gutem getan oder auch an Gutem unterlassen wurde. Er selbst wird kommen und euch erretten.

Für all die Opfer unserer globalisierten Welt ist das Verheißung.

Bedrohlich klingt es nur für die Täter.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 14./15. Dezember 2013 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)