Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Dreifaltigkeitssonntag - Lesejahr A (Ex 34b. 5-6. 8-9)
In jenen Tagen stand Mose am Morgen zeitig auf und ging auf den Sinai hinauf, wie es ihm der Herr aufgetragen hatte. Der Herr aber stieg in der Wolke herab und stellte sich dort neben ihn hin. Er rief den Namen Jahwe aus. Der Herr ging an ihm vorüber und rief: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue. Sofort verneigte sich Mose bis zur Erde und warf sich zu Boden. Er sagte: Wenn ich deine Gnade gefunden habe, mein Herr, dann ziehe doch mein Herr mit uns. Es ist zwar ein störrisches Volk, doch vergib uns unsere Schuld und Sünde, und lass uns dein Eigentum sein! (Ex 34b. 5-6. 8-9)
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch frei - einen einzigen. Stellen Sie sich vor, Gott stünde vor Ihnen, und Sie könnten ihm einen Wunsch vortragen und er würde ihn auch erfüllen; so hätte er es versprochen. Was wäre es? Was würden Sie sich wohl wünschen?
Liebe Schwestern und Brüder,
ich hätte ganz große Schwierigkeiten: Ich könnte jetzt tausenderlei aufzählen, manchen hehren und ganz großen Wunsch, genauso wie Hunderte von banalen Kleinigkeiten. Ich glaube, ich könnte mich gar nicht entscheiden.
Umso erstaunlicher finde ich, dass Mose, von dem wir eben in der Lesung gehört haben, da offenbar überhaupt keine Schwierigkeiten hat. Er steht vor Gott, er sieht ihn vorüber gehen, er erkennt: 'Jetzt hab' ich die Chance', und er fällt auf die Knie und bringt seinen Wunsch vor, ohne lange überlegen zu müssen: "Herr, zieh doch mit uns! Geh mit uns, Herr!"
All die vielen Möglichkeiten, tausend mögliche Wünsche - und ohne zu zögern, wünscht er nur das eine: "Herr, wenn du willst, dann zieh mit uns!"
Wie kommt man ausgerechnet auf diesen Wunsch? Ist Mose nichts Besseres eingefallen?
Nun, vielleicht konnte ihm gar nichts Besseres einfallen. Auf dem Hintergrund der Erfahrung, die er mit Göttern gemacht hatte, konnte es vielleicht gar keinen besseren Wunsch geben. Mitgehen, mitwandern, die Menschen begleiten, das tun Götter nämlich normalerweise nicht. Mose wusste von all den Völkern, die er kennengelernt hatte, dass Götter normalerweise an einem Ort wohnen. Und wenn man etwas von ihnen wollte, dann musste man zu ihnen kommen. Und wenn man zu weit von ihnen entfernt war, dann konnten sie einem auch nicht helfen.
So waren alle anderen Götter. Die mächtigen Götter der Ägypter wirkten nur in Ägypten und von all den Gottheiten des Zweistromlandes war wenige hundert Kilometer weiter nichts mehr zu spüren. Die Götter der anderen Völker wohnten auf Bergen, in Bäumen und dann natürlich auch in Tempeln.
Mose bittet den Gott, der ihm erscheint, um etwas ganz Außergewöhnliches: Geh mit uns. Begleite uns.
Und Gott lässt sich darauf ein! Das ist einzigartig unter allen Religionen der damaligen Zeit. Israels Gott ist anders, anders als alle Götter, die sich Menschen jemals vorgestellt haben. Er wohnt an keinem Ort. Auf den Berg Sinai, auf dem Mose ihm begegnet, fährt er hernieder - er wohnt dort nicht. Er erscheint dem Mose lediglich hier, so wie er überall erscheinen könnte. Auf dem Berg genauso wie am Meer, in der Wüste wie im Wald, im Lärm der Stadt wie in der Einsamkeit des weiten Landes. Er ist ein Gott, der überall sein kann, weil er überall ist und deshalb auch überall mächtig und wirksam ist. Und deshalb kann er auch mitgehen, egal wohin die Menschen ziehen. Er ist der einzige Gott, von dem es je geheißen hat, dass er sein Volk begleitet.
Wir müssen uns vielleicht wieder neu vor Augen halten, was dies für uns Menschen bedeutet: Weil Gott so ist, deshalb muss man nicht erst an einen Ort kommen, um ihm nahe zu sein. Wenn ich zur Arbeit gehe, geht Gott mit. Wenn ich im Krankenhaus bin, steht er an meiner Seite. Wenn ich Angst habe, hält er meine Hand, und wenn ich falle, fängt er mich auf. Das kann er, weil er nicht an einem Ort wohnt, nicht auf dem Sinai und auch nicht in einer Kirche; das kann er, weil er mich begleitet.
Mose hat das offenbar geahnt. Und deshalb bittet er nur um eines: darum nämlich, dass Gott an seiner Seite steht, egal wo es auch ist. Denn, wenn Gott dort steht wo ich bin, dann kann passieren was will, dann kann ich Fragen haben, noch und nöcher, ich kann Dinge nicht verstehen, ich kann in noch so undurchsichtige Situationen geraten - wirklich passieren kann mir dann nichts, denn Gott ist bei mir.
Mose weiß offenbar instinktiv, dass das weit wichtiger ist als alles andere. Was würden mir alle Antworten auf alle Fragen der Welt helfen, wenn ich ansonsten alleine wäre. Was würden mir alle Mittel und Möglichkeiten nützen, wenn ich mit ihnen auf mich selbst gestellt wäre.
Mose scheint dies zu spüren. Deshalb wählt er keine Antworten, keine Zustände und erst recht keine Dinge. Mose wählt das, was alles andere umgreift: Er wählt Gott selbst. Und er tut dies, weil er weiß: wenn er ihn bei sich hat, wenn Gott bei ihm ist, dann hat er weit mehr, als er jemals wird brauchen können.
Geh mit uns, sei bei uns, lass uns nicht allein - um nichts anderes bitte ich dich!
Und die Antwort auf seine Bitte hat Gott bereits geben. Noch bevor Mose seinen Wunsch formuliert, hat Gott ihm bereits die Erfüllung versprochen. Allem voran ruft Gott selbst, so dass es nicht zu überhören ist: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue.
"Jahwe", ruft er aus; und bereits da hat er den Wunsch des Mose schon erfüllt, denn Gott ist Jahwe. Er ist der "Ich bin da für dich!" Er geht mit, er begleitet und er steht zur Seite, denn er ist Jahwe, der, der ganz einfach da ist, wann, wo und wie es auch sei.
Amen.
(gehalten am 25./26. Mai 2002 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)