Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Pfingstsonntag (Apg 2,1-11)

Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elsamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Lybiens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. (Apg 2,1-11)

Es muss in den Sechziger-Jahren gewesen sein. Unsere Nachbarn waren das erste Mal in Köln.

Gleich in der Nähe des Bahnhofes liegt ein Gasthaus - das "Alt Köln" - und dort wollten sie etwas bestellen. Den Dolmetscher hat man kommen lassen: "Speaken you English? Parlez vous français?"

An dieser Stelle ist unsere Nachbarin dann ausgerastet. Und voller Unverständnis und Wut hat sie gerufen: "Herr Gott noch mal, mir sind doch Ditschi!"

Liebe Schwestern und Brüder,

Deutsche und Deutsche - und vor allem Deutsch und Deutsch -, das ist halt schon zweierlei. Man kann die gleiche Sprache sprechen und wird trotzdem kein bisschen verstanden.

Und das muss jetzt nicht einmal zuerst an regionalen Unterschieden, an unterschiedlichen Dialekten, liegen. Man kann das reinste Hochdeutsch sprechen und kein Mensch versteht etwas.

Verstehen Sie immer alles, was Ihnen Ihr Arzt erklärt? Bei den vielen Fremdworten blick ich in den seltensten Fällen wirklich durch. Und ein Computerhandbuch, die Bedienungsanleitung vom Videorecorder, sie mögen in bestem Deutsch geschrieben sein, kapieren tu ich sie eigentlich nie. Und es gibt ja sogar Untersuchungen, die belegen, dass ein Großteil der Bundesbürger die Nachrichten, die Tagesschau im Ersten etwa, über weite Strecken hinweg nicht wirklich versteht.

Um sich wirklich verständlich zu machen, reicht es noch nicht aus, dass man die gleiche Sprache spricht. Und das scheint ein Problem zu sein, das in den letzten Jahrzehnten eher größer als kleiner geworden ist.

Eltern verstehen ihre Kinder nicht mehr, von den Großeltern ganz zu schweigen. Die Grenzen innerhalb der einzelnen sozialen Schichten und unterschiedlichen Milieus sind offenbar so dicht, dass man die Sprache, die man dort spricht, in einem anderen Milieu schon gar nicht mehr versteht.

Wenn sich das schon in wenigen Jahrzehnten in unserer Gesellschaft herausbilden konnte, um wie viel mehr muss das wohl für einen Bereich gelten, in dem man über Jahrhunderte hinweg kaum irgendwelchen Kontakt pflegte. Zig Generationen waren es schließlich, die jeden Kontakt beinahe peinlich genau vermieden haben: den Kontakt zwischen den christlichen Konfessionen nämlich. Die älteren unter Ihnen erinnern sich ja noch daran: Es galt ja sogar als Sünde, eine evangelische Kirche auch nur zu betreten.

Ist's da wirklich so verwunderlich, dass sich in den unterschiedlichen christlichen Konfessionen ganz unterschiedliche Ausdrucksweisen und ganz unterschiedliche Sprachen entwickelt haben? Nimmt's einen da wirklich wunder, dass wir uns weithin ganz einfach nicht mehr verstehen?

Da haben die einen wie die anderen das Gefühl, dass der jeweils andere etwas ganz anderes sagen, meinen und letztlich damit auch glauben würde. Tiefe Gräben, ganz unterschiedliche Auffassungen und diametral entgegengesetzte Glaubenslehren würden da vertreten. Wenn wir aber genau hinschauen, davon bin ich ganz tief überzeugt, werden wir am Ende entdecken, dass diese Unterschiede vor allem darin liegen, dass wir mittlerweile Sprachen sprechen, die wir ganz einfach gegenseitig nicht mehr verstehen. Wir verwenden die gleichen Worte, gebrauchen ähnliche Formulierungen - dahinter aber verbergen sich mittlerweile oftmals ganz andere Bedeutungen.

Zwischen den unterschiedlichen christlichen Kirchen gibt es inzwischen - bedingt durch die langen Jahrhunderte der Sprachlosigkeit -, eine Sprachverwirrung, die dem Sprachengewirr des alttestamentlichen Babel gar nicht so fern zu sein scheint.

Heute ist Pfingsten. Heute feiern wir den Geist Gottes, den Geist, der die Grenzen der Sprachen überwunden hat, der Verstehen gelehrt hat und Menschen zueinander führte, indem er ihnen die Herzen aufgeschlossen hat. Wir feiern den Geist des Verstehens und der Überwindung aller Sprachgrenzen.

Diesen Geist bitte ich heute. Ich bitte ihn um die Überwindung der Sprachverwirrung zwischen den christlichen Kirchen.

Es ist das größte Ärgernis, das die Geschichte der Christenheit begleitet, dass Christen, nicht weil sie nicht konnten, sondern weil sie nicht wollten, den Kontakt untereinander über Jahrhunderte hinweg vermieden haben. Christus will, dass alle eins sind und allem voran, dass seine Kirche eins ist. Darum müssen wir uns mühen. Und wir müssen alle Schritte, die nötig sind, aufeinander zugehen. Und zuallererst bedeutet das, dass wir einander wieder verstehen lernen müssen. Was meint der andere? Wovon spricht er? Und was denkt er? Und warum sagt er Dinge so und nicht anders?

Damit das alles aber überhaupt gelingen kann, dazu braucht es ein Klima, das frei sein muss von Argwohn, das geprägt sein muss von gegenseitigen Vertrauen. Wir müssen aufhören davon auszugehen, dass andere Formulierungen und andere Ausdrucksweisen immer gleich heißen müssen, dass hier jemand nicht nur anders, sondern auch falsch glauben würde. Wir müssen dem, der als Christ in einer anderen Konfession glaubt, zuerst einmal unterstellen, dass er vermutlich das Gleiche meint wie wir. Dann nämlich haben wir die Chance zu entdecken, dass wir Dinge lediglich anders zum Ausdruck bringen, dass wir uns - vielleicht von verschiedenen Seiten - ein und derselben Sache nähern, die wir mit unterschiedlichen Worten beschreiben, aber ein und dasselbe meinen. Dann können wir neu realisieren, dass wir ein und demselben Gott glauben und gemeinsam zu Jesus Christus gehören.

Möge der Geist des Pfingstfestes wirken, dass wir wieder neu entdecken, wie wir zwar in unterschiedlichen Sprachen, aber dennoch nichts anderes als Gottes große Taten verkünden.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 15. Mai 2005 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)