Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


29. Juni - Hochfest Peter und Paul

 

Vor einigen Wochen hatten wir eine Unmenge von Isolierung für das Pfarrhaus-Dach auf den Speicher zu transportieren. Und was macht man, wenn es drei Stockwerke zu überwinden gilt, man aber zu faul ist, jeden Ballen einzeln durchs Treppenhaus zu tragen? Richtig, man zieht das Ganze außen hoch und holt es dann durch das Dachfenster rein.

Genauso haben wir es gemacht. Als Zwischenstation bot sich das Vordach an. Es musste nur jemand hinaufklettern und von dort die Pakete weiterreichen.

Eine tolle Aussicht - das war mein erster Gedanke, als ich hinaufgeklettert war. Es war großartig, über allem gleichsam drüberzuschweben und von oben hinunterzuschauen. Das war durchaus verlockend.

Nur war mir gleichzeitig etwas schwindelig zumute. Es war schließlich kein besonders gesichertes und auch ein recht ungewohntes Terrain.

"Nur nicht viel bewegen!" dachte ich mir. Ja nicht viel bewegen, auf diesem unsicheren und doch recht wackeligen Grund, am besten nur die notwendigsten Bewegungen machen.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich denke, das ist eine ganz normale Reaktion. Nur wenigen ist es schließlich gegeben, sich in schwindelerregender Höhe genauso sicher zu bewegen wie auf festem Boden. Mir geht das schon so, wenn ich ein paar Meter hoch steige. Wie mag es da erst sein, wenn man wirklich hoch hinaufsteigt?

Wer nicht absolut schwindelfrei ist, der wird ganz schön Schwierigkeiten haben, hoch droben zu agieren. Wenn so jemand an exponierter Stelle angekommen ist, dann bleibt er am besten ganz ruhig stehen. "Ja nicht viel bewegen!" das ist dann für einen selbst das Beste, was man machen kann.

Vielleicht ist das ja genau der Grund dafür, dass sich immer dort, wo Menschen irgendwelche Höhen erklommen haben, wo sie dann Spitzenpositionen einnehmen, dass sich genau dort oft so wenig bewegt. Nicht nur Vordächer, Gerüste, Türme oder Berggipfel sind ja schwindelerregende Höhen, auch manche berufliche Position, manche exponierte gesellschaftliche Stellung und vor allem manches kirchliche Amt gleichen einem solchen Gipfel, auf dem sich viele offenbar nicht mehr so unbefangen bewegen können wie auf festem Grund.

Wahrscheinlich bewegt sich genau deshalb ganz oben oft so wenig.

Gerade aus diesem Grund wird mir die Gestalt des Paulus heute immer wichtiger. Während Petrus und Jakobus schon am Anfang der Geschichte des Christentums offenbar die ganze Last der Verantwortung spürten und in ihrer exponierten Position alle Schwierigkeiten hatten, mit der nötigen Flexibilität auf die Herausforderung durch die neuen heidenchristlichen Gemeinden zu reagieren, stand Paulus immer mit beiden Beinen auf dem Boden.

Er war in keinen der damals schon bestehenden Ämterkreise eingebunden, hatte kein besonderes Amt und auch keine herausragende, langsam erklommene Position inne. Sein Ansehen lag einzig und allein in seiner Person begründet. Und er hatte es sich dadurch erworben, dass er seine Gemeinden kannte, dadurch, dass er wusste, wie die Menschen dachten und was sie bewegte.

Er hat nie begonnen, abgehoben über den Leuten zu schweben. Er ist auf dem Boden geblieben und deswegen ist er auch beweglich geblieben.

Wenn Spannungen aufkamen, hat er vor Ort nach Lösungen gesucht. Wenn Probleme auftauchten, hat er pragmatisch einen gangbaren Weg gefunden, einen Weg, der sich nicht an überkommenen Traditionen und auch nicht an weltfremden Theorien orientierte, sondern an den Menschen und an den Gegebenheiten der ganz konkreten Gemeinde vor Ort.

Paulus hat keine Karriereleiter erklommen, er hat nicht den Weg in schwindelerregende Höhen gesucht. Aber wahrscheinlich hat er genau deshalb so vieles in und für unsere Kirche bewirkt.

Solche Menschen brauchen wir auch heute, Menschen, die nicht auf irgendwelche Posten schielen, die sich nicht verbiegen lassen, nicht anderen nach dem Mund reden, um ihrem eigentlichen Ziel, nämlich einem Schreibtisch im Vorzimmer der Macht, ein wenig näher zu kommen.

Unsere Kirche braucht Menschen, denen nicht Titel, sondern die Menschen wichtig sind, die vor Ort sind und wissen, was unsere Gemeinden bewegt, was Sache ist und wie die Leute denken.

Und unsere Kirche braucht Gemeinden, die solch einen Weg mitgehen, die mutig und voller Experimentierfreude auf die Zukunft blicken, die nicht zuerst nach oben schauen und sich dann ganz klein und unbedeutend vorkommen, die nicht zuerst danach fragen, ob irgendjemand durch irgendeine Bescheinigung, irgendein Zertifikat oder sonst eine Beauftragung etwas genehmigt oder erlaubt bekommen hat, die vielmehr voller Dankbarkeit den Menschen begegnen, die den Mut haben, Dinge in die Hand zu nehmen, sie nicht einschüchtern, sondern vielmehr ermutigen und so mithelfen, in einer veränderten Zeit neue Lösungen zu suchen; Lösungen, die pragmatisch und praktikabel sind und nichtsdestoweniger auf dem Boden des Evangeliums stehen.

Unsere Kirche braucht Gemeinden, die mutig genug sind, solche Lösungen dann auch zu verwirklichen und damit dem Evangelium und dem Geist Christi neuen Raum und eine neue Chance in unserer Zeit und unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Solche Gemeinden und solche Menschen braucht es heute.

Wer nach oben schielt, dem wird leicht schwindelig. Und wem es schwindelig wird, der bekommt leicht Angst. Angst aber ist ein schlechter Ratgeber und in aller Regel nimmt sie einem auch noch den letzten Halt, den man hat.

Bleiben wir auf dem Boden, bleiben wir beweglich, bleiben wir (- und das auch in St. Peter -) lebendige und bewegliche Gemeinde Jesu Christi, im Geist des Heiligen Paulus.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 17./18. Juli 1999 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)