Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
17. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr C (Lk 11,1-13)
Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung. Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann etwa der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch; Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange gibt, wenn er um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten. (Lk 11,1-13)
In den Tagesthemen letzter Woche wurde davon berichtet, dass das amerikanische Magazin "Time" Deutschland als Land, in dem man investieren sollte, weltweit an dritter Stelle nennt. Aber das Magazin berichtet auch, dass Deutschlands größtes Problem "Zukunftsangst" sei. Und interessanterweise steht im amerikanischen Magazin dieses Wort auf Deutsch. Offenbar ist dieses Phänomen eine so stark deutsche Erscheinung, dass es kein richtiges englisches Wort dafür gibt.
"Zukunftsangst", das scheint typisch Deutsch zu sein.
Liebe Schwestern und Brüder,
dann aber wären wir Deutschen alles andere, als gute Christen.
"Dein Reich komme." beten wir - und das tagtäglich. Und wir beten es nicht nur: Jesus Christus selbst hat uns verheißen, dass wir genau darauf letztlich zugehen.
Gottes Reich ist unsere Zukunft, eine Zukunft, von der wir sagen dürfen, dass dann alles gut sein wird. Vor welcher Zukunft wollen wir dann Angst haben?
Gut, dass es keinen Himmel gäbe, davor haben wir keine Angst. Das nehmen wir Gott schon irgendwie ab. Dass er uns den Himmel schenken wird, dass wir bei ihm die Erfüllung finden werden und dass unsere Toten in Gottes Hand geborgen sind, das glauben wir. Oder wir denken zumindest nicht allzu oft darüber nach.
Das alles ist schließlich noch weit weg. Die Frage nach der Rente aber, die brennt auf den Nägeln; und die Sozialversorgung, die Frage nach den Kassen der öffentlichen Hand und der Zukunft unserer sozialen Abfederung, das sind die Fragen, die die Menschen bewegen. Welche Versicherungen brauchen wir denn noch, um im Falle von Krankheit, Erwerbslosigkeit, Unfall, Diebstahl, Feuer oder Wasser optimal geschützt zu sein.
Und ich gebs ja zu: Geht mir ja auch nicht anders. Ich mach mir da auch meine Gedanken, wenn es um die Sicherheit im Alter geht, die Rücklagen, die Vorsorge in Sachen Gesundheit und was sonst noch alles - da bekomme ich nicht minder ein mulmiges Gefühl. Und wenn ich mir die finanzielle Zukunft unserer Pfarrgemeinden anschaue, dann verfalle ich wie alle anderem ins Stöhnen.
Gott trauen wir vielleicht noch zu, dass er uns am Ende in seine Herrlichkeit aufnimmt. Ansonsten aber, wäre uns eine richtige Versicherung schon lieber.
So sind wir ja auch erzogen worden. So sind wirs von klein auf gewohnt und so arbeiten bei uns alle - allen voran Kirche. Manchmal könnte man glauben, dass es bei der Kirche am wenigsten Gottvertrauen gibt. Was Handwerker da alles an Papieren und Sicherheiten bringen müssen, bevor das Ordinariat einen Vertrag genehmigt. Und wenn ich jetzt sagen würde, wir fangen einfach mal an, das Dach der Peterskirche zu sanieren, im Vertrauen darauf, dass die Bruchsaler das mit Gottes Hilfe hinbekommen werden - da würde mir das Ordinariat was husten. Bevor der Finanzierungsplan nicht völlig wasserdicht ist, wird's da keine Genehmigung geben. Und was unsere Zukunft der Gemeinden angeht, kommt in den Pastoralplänen und Strategiepapieren das Wort Gottvertrauen an keiner Stelle vor.
"Bittet, und es wird euch gegeben", sagt Jesus. Und das heißt doch im Klartext nichts anderes als: Vertraut auf Gott und es wird nichts schief gehen. Es kann euch gar nichts passieren. Es mag anders laufen, als ihr euch das ausrechnet, es mag anders kommen, als ihr plant, aber es wird auf jeden Fall recht. Am Ende wird alles gut sein.
Darauf gilt es zu bauen, dem gilt es zu trauen und darauf dürfen wir hoffen.
Aber mit der Hoffnung habens wir Christen zumindest in unseren Breiten, offenbar nicht so. Über einen Satz von Heinrich Schlier bin ich da in diesem Zusammenhang wieder einmal gestolpert. Wie sagt er doch so treffend?
"Wir sind es gewohnt, das Leben des Christen als ein Leben des Glaubens zu bezeichnen. Die Christen sind die Gläubigen. Wir halten auch fest, dass das Leben der Christen ein Leben der Liebe sein soll. Christ sein, ohne Liebe zu üben, das will uns kaum in den Sinn. Aber dass das Christsein wesentlich dadurch bestimmt ist, dass die Christen hoffen, das liegt uns ferner, ja das ist uns vielfach fremd.
Und doch ist es so. Jedenfalls nach dem Neuen Testament kann man das Leben der Christen schlechthin als ein Leben der Hoffnung beschreiben."
Das müssen wir wieder neu lernen.
Und es braucht da gar keine Kurse. Wir müssen uns lediglich fallen lassen. Wir müssen einfach den Mut aufbringen, uns in Gottes Hand fallen zu lassen - nicht erst am Sankt Nimmerleins Tag, schon heute und Morgen erst recht. Einfach auf Gott zu vertrauen.
Und verzeihen sie mir, wenn ich das so flapsig sage: So sicher wie die Rente, ist Gottes Beistand allemal.
Einfach fallen lassen - in Gottes Hand. Aus dieser Hoffnung zu leben, diese Hoffnung wiederzuentdecken. Das Gottvertrauen wieder zu entdecken, das wäre Medizin - Medizin gegen alle Zukunftsangst.
Amen.
(gehalten am 24./25 Juli 2004 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)