Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


15. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A (Röm 8,18-23)

Schwestern und Brüder! Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Gewiss, die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin: Denn auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber nicht nur das, sondern auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, auch wir seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. (Röm 8,18-23)

"In China ist ein Sack Reis umgefallen."

Und wen interessiert das?

Liebe Schwestern und Brüder,

die Redewendung, "wenn in China ein Sack Reis umfällt..." war einmal der Inbegriff für absolut unbedeutende Nachrichten, die letztlich niemanden interessieren. Spätestens seit 2019 wissen wir, dass jede Kleinigkeit, die in China passiert, am Ende auch uns betreffen kann.

Da erkrankt in China jemand an einem winzigen Virus und wenige Monate später haben wir wochenlangen Lockdown in Deutschland und weitgehenden Stillstand rund um die Welt. Spätestens seit Corona wissen wir alle, dass das Sprichwort, dass es niemanden interessiert, wenn in China ein Sack Reis umfällt, ausgedient hat.

An seine Stelle müsste eigentlich das Bild vom Schmetterlingseffekt treten: In Brasilien schlägt ein Schmetterling mit seinen Flügeln und am Ende der Kettenreaktion die dadurch ausgelöst wird, gibt es in Texas einen Tornado.

Die letzten Jahre haben uns sehr drastisch vor Augen geführt, wie sehr auf dieser Welt alles miteinander verflochten ist.

Vor einigen Jahrzehnten konnte man sich noch vorstellen, dass Leid auf der anderen Seite der Welt uns hier ja nicht betrifft. Spätestens seit sich Menschen zu Zehntausenden auf den Weg machen, um der Perspektivelosigkeit zu entfliehen, wissen wir, was für ein Irrtum das ist. Und wenn uns nicht interessiert, dass für Palmöl und billiges Fleisch, die Regenwälder gerodet werden, nehmen wir eben in Kauf, dass die Temperaturen bei uns immer weiter steigen.

Dabei kennen wir diese Zusammenhänge doch schon seit Jahrzehnten. Wir agieren weltweit seit Jahrhunderten. Und Paulus macht in den Zeilen aus der heutigen Lesung deutlich, dass wir das alles eigentlich ja auch schon seit Jahrtausenden erahnen.

Paulus kleidet das in das Bild, dass die ganze Welt, die ganze Schöpfung mit allem was dazu gehört, gleichsam in Geburtswehen liegt. Für mich ist das eine der beeindruckendsten Stellen der Bibel. Eine, die unendlich viel über diesen Gott und seine Schöpfung aussagt.

Es geht nicht nur um ein auserwähltes Volk. Es geht auch nicht um eine alleinseligmachende Kirche. Es geht nicht einmal allein um die Menschheit. Es geht letztlich um die gesamte Schöpfung, um die ganze Welt.

Dieser Gott, der Herr der ganzen Welt ist, gibt sich nicht mit ein paar wenigen Menschen zufrieden. So nach dem Motto: an Euch habe ich mein Wohlgefallen und alle anderen interessieren mich letztlich überhaupt nicht.

Die Schrift ist voll von Zeugnissen dafür, dass es Gott um alle Menschen geht, dass keines seiner Geschöpfe ihm gleichgültig ist. Und die heutige Stelle aus dem Römerbrief ist ein Belege dafür, dass Gott es nicht einmal bei der Menschheit bewenden lässt. Schöpfung bedeutet weit mehr als nur uns Menschen.

Wenn wir das nicht endlich begreifen, und wenn wir daraus nicht endlich die richtigen Konsequenzen ziehen, werden die Geburtswehen, von denen Paulus spricht, nur noch größer werden. Wenn wir unser Leben nicht fundamental ändern, unseren Wohlstand nicht wirklich zu teilen beginnen, selbst deutliche Abstriche machen, werden diese Geburtswehen am Ende unerträglich werden.

Es wird kein gedeihliches Miteinander auf dieser Welt geben, wenn wir Menschen nicht wirklich zusammenrücken und begreifen, dass wir letztlich alle in ein und demselben Boot sitzen.

Und dazu reichen nette Sonntagsreden oder das Umarmen von Bäumen bei weitem nicht aus. Dazu braucht es eine Politik, die wirklich global denkt. Dazu braucht es Gesellschaften und Staaten, die das Gemeinwohl über die eigenen Interessen stellen. Und dazu braucht es letztlich nicht minder Religionen, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken, die endlich Gewahr werden, dass es diesem Gott, der Herr der ganzen Welt ist, dass es ihm um mehr geht, als die eigene kleine Gruppierung.

Solange Religionen die Welt prägen, die davon überzeugt sind, dass sie allein die Wahrheit mit Löffeln gefressen haben, wird es weltweit keinen Frieden geben.

Und unsere eigene Kirche hat da noch einen großen Berg an Arbeit vor sich.

Möge allen Verantwortlich ein Licht aufgehen, mögen sich alle Kirchenmänner doch endlich für den Geist Gottes öffnen, der aus der heutigen Lesung spricht. Und mögen die Gläubigen in den Gemeinden ihre eigenen engen Grenzen des Denkens wirklich weiten.

Gott ist weit größer als unser Herz. Folgen wir ihm wirklich. Tun wir es, letztlich auch um unserer selbst willen.

Vieles ist mittlerweile weltweit schon so verfahren, dass wir um die Wehen von denen Paulus spricht, sicher nicht mehr herumkommen. Aber vielleicht lassen sich diese Wehen, wenn wir uns wirklich ändern, wenn wir endlich umkehren und die unseligen Trampelpfade verlassen, vielleicht lassen sich diese Wehen noch ein wenig lindern, noch ein wenig erträglicher machen.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 15. Juli 2023 in der Kirche St. Martin, Karlsruhe)