Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Fest der Taufe des Herrn - Lesejahr B (Mk 1,7-11)
In jener Zeit trat Johannes in der Wüste auf und verkündete: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren. Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen. In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. (Mk 1,7-11)
"Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer." (Mt 11,11)
Liebe Schwestern und Brüder,
so urteilt Jesus selbst über seinen Vorläufer: Keinen größeren als ihn hat es gegeben.
Auf solch ein Urteil kann man sich etwas einbilden, darauf kann man stolz sein. Es gibt, denke ich, keine größere Auszeichnung als solch ein Wort aus dem Mund des Meisters selbst.
Und was tut Johannes? Von wegen den Kopf hoch tragen, von wegen sich daran erfreuen, dass Kinder einen Knicks machen und sich Erwachsene verbeugen - "Ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren."
Das spricht der, von dem Jesus selber sagt, dass es damals keinen größeren unter den Menschen gab. Davon hätte man sich bis heute ruhig eine Scheibe abschneiden können.
Wenn ich mir vorstelle, dass man heute noch davon erzählt, wie die Mädchen einen Knicks machen mussten, wenn der Pfarrer vorbeikam, wenn ich daran denke, dass man um die Ecke verschwunden ist, nur um ihm nicht zu begegnen, wenn ich die Bezeichnung Hochwürden schon lese und an all die Eminenzen und Exzellenzen denke, an Sänften und Ringe, die geküsst werden...
"Ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren."
Natürlich, auch wir reden vom Diener sein und wir sprechen sogar vom Diener der Diener Christi. Davon reden wir - die Praxis aber ist eine andere.
Und das liegt jetzt nicht nur daran, dass Kirchenmänner, wie alle anderen Menschen auch, versessen sind auf Ehrenbezeichnungen und Titel auf Macht und Ansehen, es liegt jetzt nicht nur daran, dass Kleriker sich schon so daran gewöhnt haben, auf dem Sockel zu stehen, dass wir nicht mehr herunter wollen - und freiwillig schon gar nicht -, es liegt auch daran, dass dieses Denken in den Köpfen der Menschen so verbreitet ist, dass man, selbst wenn man anders wollte, es sehr schwer hat, gegen diese Strömungen anzukommen.
Ich erinnere mich noch an meine ersten Monate in Breisach, als man mich, den neuen Vikar mit den Worten empfing, "Herr Vikar, bei uns ist noch aus jedem, der einmal hier gewesen ist, etwas Besseres geworden!"
Warum ist es aus unseren Gemeinden nicht auszutreiben, dass ein Amt zu bekleiden, in der Hierarchie aufzusteigen, an einem Schreibtisch in einem Ordinariat oder Generalvikariat zu landen etwas Besseres und auch noch erstrebenswert sein soll. Warum müssen wir auch nach zweitausend Jahren noch überhaupt darüber nachdenken, ob es in der Nachfolge Christi etwas Besseres geben kann als unmittelbar bei den Menschen zu sein?
Solange uns noch bei Amts- und Titelbezeichnungen die Augen glänzen, solange wir auch in der Kirche Personenkult und Starrummel betreiben, solange wir Menschen für besser und wertvoller als andere halten, nur weil sie entsprechende Kittel und Mäntel tragen, solange sind wir noch ziemlich weit entfernt, weit entfernt von dem was Jesus Christus wirklich wollte.
Der, der ein wenig von dem begriffen hatte, was Johannes der Täufer im heutigen Evangelium sagt, der dieses: "Ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren." ein wenig umzusetzen verstanden hat, war einer, der sich auch Johannes nennen ließ. Es war Johannes XXIII. der mir als Papst mit einem seiner Sätze ganz besonders imponiert.
"Giovanni", soll er zu sich selbst gesagt haben, "Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!"
Das ist die moderne Übersetzung des heutigen Evangeliums. Und sie sei allen ins Stammbuch geschrieben, die heute vermeintlich wichtig, so furchtbar bedeutend sind, und die sich insgeheim, ganz tief drinnen auch dafür halten.
Nimm dich nicht so wichtig. "Ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren."
Amen.
(gehalten am 11./12. Januar 2003 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)