Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
23. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 7,31-37)
In jener Zeit verließ Jesus das Gebiet von Tyrus und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekápolis. Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren. Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit, und er konnte richtig reden. Jesus verbot ihnen, jemand davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt. Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen. (Mk 7,31-37)
Ich bin der Doktor Eisenbarth, Widewidewid, bumbum
Kurier' die Leut' nach meiner Art, Widewidewid, bumbum
Kann machen, dass die Blinden geh'n
Und dass die Lahmen wieder seh'n
Gloria, Viktoria, Widewidewid, juch-hei-ras-sa!
Liebe Schwestern und Brüder,
vielleicht kennen Sie diese Zeilen. Sie stammen aus dem Lied über den legendären Doktor Eisenbarth, der als großer Scharlatan durch die Lande und den Menschen dabei das Geld aus der Tasche zog.
Wir haben das Lied früher, im Lager häufig gesungen. Und ich gebe zu, dass ich einige Zeit gebraucht habe, bis mir wirklich klar geworden ist, was da in der ersten Strophe eigentlich gesagt wurde: Der macht, dass die Blinden gehen können und die Lahmen sehen! Als ob Blinden damit geholfen wäre, gehen zu können! Wieder Sehen zu können, danach sehnen sie sich. Gehen können sie in der Regel ganz alleine.
Aber das ist ja gerade das Faszinierende an diesem Doktor Eisenbarth: Er wird berühmt damit, dass er Menschen dort behandelt, wo ihnen gar nichts fehlt, und er macht sein Geld dadurch, dass er sich für Erfolge bezahlen lässt, die bei Licht betrachtet überhaupt keine sind. Um Lahmen das Sehen zu lehren, dafür braucht man keinen Wunderdoktor.
Aber komischerweise fallen die Menschen auf solche Scharlatane immer wieder herein. Da verspricht jemand etwas und weist vermeintliche Erfolge vor, die eigentlich gar keine sind, und alles schreit "Oh und Ah!"
Mit solchen Methoden kann man sogar Wahlen gewinnen.
Mehr als häufig sogar geht Politik mit den Menschen genau so um, wie dieser Doktor Eisenbarth. Man tritt an mit großen Versprechungen, müht sich mit ungeheuren Getöse und produziert ein Ergebnis, das als großartige Leistung verkauft wird und für das die Menschen dann sogar bereit sind noch tiefer in die Taschen zu greifen, als man es zuvor schon musste - und am Ende bleibt nichts anderes als heiße Luft.
Sich feiern zu lassen - eigentlich für nichts - das ist eine Kunst, die immer noch mit Bravour beherrscht wird.
Aber es ist eine sehr kurzlebige Kunst und ihr Ruhm ist ein sehr zweifelhafter. Denn letztlich müssen sich alle, die mit Menschen zu tun haben und mit ihnen umgehen immer daran messen lassen, ob ihr Tun für die Menschen auch wirklich hilfreich gewesen ist oder nicht.
Politik, die nach Art eines Doktor Eisenbarth Gehhilfen an Blinde und Brillen an Lahme verteilt, wird vor der Geschichte keinen Bestand haben. Und Sonntagsreden wandern Montags bereits in den Müll. Ob Menschen wirklich geholfen wird, daran misst sich der Erfolg einer jeden Politik.
Und nicht nur der Politik! Auch Kirche muss sich daran messen lassen.
Ob Kirche wirklich im Sinne des Evangeliums handelt, erweist sich letztlich daran, ob sie dem Wohl der Menschen dient. Feierlichkeiten können noch so feierlich sein und Papstbesuche noch so trefflich inszeniert, ob Kirche die Fragen der Menschen ernst nimmt, ihre Sorgen versteht, die Menschen wirklich versteht, und ob sie dem Vorbild Jesu entsprechend den Menschen in den Mittelpunkt stellt - und nicht irgendwelche Prinzipien und Vorschriften -, das entscheidet darüber, ob Kirche wirklich Kirche Jesu Christi ist oder nicht.
Wie wohltuend muss das gewesen sein, diesen Jesus von Nazareth zu erleben, einen, der nicht vom Blauen im Himmel sprach, sondern davon, was die Menschen wirklich bewegte. Und der nicht nur redete, sondern auch tat! Und das nicht in der Manier der übrigen Wunderheiler, die sich für nichts feiern ließen.
Wie heißt es im Evangelium? Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.
Und das ist aufgeschrieben worden, in der Überzeugung, dass dies nicht nur für die Menschen damals gilt, dass Jesus auch mein Leben erleichtern will, dass er auch in meinem Leben wirken wird, was gut für mich ist und mir wirklich hilft.
Das will ich als Verheißung mitnehmen. Daran will ich mich halten. Auch wenn die konkreten Lebensumstände oftmals anders aussehen, auch wenn es da und dort ganz guten Grund dafür gibt, an Gottes Güte zu zweifeln, auch wenn uns Politik und zugegebenermaßen auch die amtliche Erscheinung von Kirche manchmal an den Rand der Verzweiflung treiben, daran will ich mich halten, an die Hoffnung, nein, an die Verheißung, dass auch ich über diesen Jesus am Ende sagen darf: Er hat gemacht, dass ich mein Leben leben konnte, er hat nicht nur versprochen, er hat wirklich alles gut gemacht!
Amen.
(gehalten am 9./10. September 2006 in den Kirchen der Seelsorgeeinheit St. Peter, Bruchsal)