Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
3. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 1,14-20)
Nachdem man Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium! Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihr Netz auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus; und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sofort rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach. (Mk 1,14-20)
Es waren erschütternde Bilder, die dieser Tage die Medien prägten. Da liegt eines dieser gigantischen Kreuzfahrtschiffe fast völlig auf der Seite und alle Welt schaut fassungslos wie am Ende die letzten Vermissten nur noch tot oder gar nicht geborgen werden können.
Mir selbst geht - neben vielen anderen Eindrücken - ein Bild momentan nicht aus dem Kopf: Nach der Evakuierung mussten Tausende Menschen ja kurzfristig untergebracht werden. Und neben den Hotels, Schulen und Turnhallen wurden auch die Kirchen geöffnet.
Eines der Bilder zeigt nun eine voll besetzte Kirche, voll mit den Geretteten, die nun in den Kirchenbänken saßen - und alle hatten ihre Schwimmwesten an.
Liebe Schwestern und Brüder,
selbstredend standen diese Menschen unter Schock und wahrscheinlich hatten sie auch kaum etwas anderes zum Anziehen dabei. Auch Schwimmwesten wärmen schließlich ein wenig.
Soweit dachte ich in diesem Augenblick aber nicht. Mich durchschoss zuallererst der Gedanke, warum die denn jetzt immer noch Schwimmwesten trugen. Sie waren doch mittlerweile längst an Land und auf trockenem Boden.
Und dann begann dieses Bild, bei all der Tragik des Geschehens, die ich zu keinem Augenblick vergessen möchte, bei mir eine ungeheure Symbolik zu entfalten. Diese Menschen saßen schließlich wieder in einem Schiff: in einem Kirchenschiff. Ein voll besetztes Kirchenschiff - und alle tragen Schwimmwesten.
Brauchen wir mittlerweile schon Schwimmwesten in der Kirche? Ist es schon soweit? Droht auch dieses Schiff zu kentern, zu sinken gar?
Im heutigen Evangelium hören wir von den ersten, die Jesus gefolgt sind. Das waren Menschen, die Schiffe zu lenken wussten, Fischer nämlich. Es waren keine riesigen Ozeandampfer, die man ihnen anvertraut hatte, aber mit den Mitteln der damaligen Zeit war der See Genesareth in stürmischer Nacht mit diesen kleinen Booten oftmals auch nicht viel ungefährlicher zu durchqueren. Dieser Simon und seine Gefährten, die nun den Auftrag erhielten Menschenfischer zu sein, waren es gewohnt Schiffe zu steuern. Und sie wussten, um die Verantwortung, die man bei deren Lenkung hat.
Es scheint, als wäre dieses kleine Kirchenschiff, das damals Fahrt aufnahm, in guten Händen gewesen. Mögen die Verantwortlichen auch heute umsichtig und vor allem vorausschauend handeln.
Die Ereignisse der letzten Tage haben erschreckend gezeigt, was da passieren kann, wenn ein Kapitän, die Menschen, die ihm anvertraut sind, aus dem Blick verliert, wenn er, um Kollegen oder irgendwelchen Brüdern zu imponieren, die nicht mehr mit an Bord sind, mal schnell den Kurs ändert, waghalsige Manöver unternimmt oder unvermittelt das Steuer herumreißt und wendet.
Natürlich sind Kurskorrekturen manchmal notwendig. Dann nämlich, wenn man vom ursprünglichen Kurs abgekommen ist. Das hat schließlich genauso fatale Folgen wie waghalsige Manöver. Dem eigentlichen Kurs nicht mehr zu folgen ist gefährlich, vor allem wenn es sich um den Kurs handelt, den dieser Jesus von Nazareth uns gewiesen hat.
Wenn das passiert, dann gilt es umgehend zu korrigieren. Aber nicht nach Gefühl und auch nicht durch Einstellungen der Instrumente von gestern oder vorgestern bei denen wir ja nicht wissen, ob nicht gerade sie es gewesen sind, die uns auf den falschen Kurs gebracht haben.
Wenn wir vom Kurs abgewichen sind, dann hilft nur noch der Blick in die Karten, der Blick auf diesen Jesus von Nazareth. Denn auch sein Kurs ist - wie in Karten - "eingezeichnet".
Manchmal sind die Linien verblasst und es gilt genau hinzusehen. Da und dort haben die Karten Patina angesetzt, von der man sich nicht blenden lassen darf. Und manchmal sind sie wohl auch ganz einfach verstaubt und man muss schon einiges wegwischen, will man die ursprüngliche Richtung wieder entdecken.
Selbst dem besten Kapitän wird seine Erfahrung, sein Gefühl, das was er so intuitiv als richtig erachtet nicht ausreichen. Er wird all das manches Mal hintanstellen müssen, um wieder richtig in die Karten zu blicken, um zu überprüfen, ob ihn sein Gefühl am Ende nicht doch trügt.
Und wenn es ganz kompliziert wird, dann wird auch der umsichtigste, der erfahrenste und beste Kapitän das Steuer aus der Hand legen, einem anderen das Ruder überlassen, einem Lotsen beispielsweise, der die örtlichen Gegebenheiten besser kennt, als kein anderer. Ihm überlassen selbst erfahrenste Kapitäne - in schwierigen Hafeneinfahrten zum Beispiel - das Ruder sehr gerne. Ohne ihn wäre eine sichere Passage letztlich nicht möglich.
Auf dem Bild, das mich in diesen Tagen in meinen Gedanken verfolgt, tragen die Menschen im Kirchenschiff allesamt Schwimmwesten.
Dieses Bild verfolgt mich - und ich spüre dabei, wie in mir gleichzeitig der Wunsch aufsteigt - gerade angesichts dieses Bildes -, der Wunsch, dass auch auf unserem Schiff ein Lotse das Steuer übernehmen möge, dass unser Herr Jesus Christus gerade jetzt, gerade in diesem schweren Wasser, dass er selbst als der erfahrenste Steuermann und Lotse überhaupt, dass er das Ruder bitte doch am besten selbst in die Hand nehmen möge.
Amen.
(gehalten am 21./22. Januar 2012 in der Paulus- und Peterskirche, Bruchsal)