Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
33. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 13,24-32)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: In jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit aus den Wolken kommen sehen. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels. Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr all das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. (Mk 13,24-32)
Sie können keinen größeren Fehler machen: Wenn sich die ersten Anzeichen einstellen und Sie dann nicht umgehend reagieren, dann wird alles nur noch sehr viel schlimmer! Wenn eine Erkältung im Anzug ist, dann gilt es bei den ersten Symptomen die Konsequenzen zu ziehen. Es gibt kaum schlimmeres, als solche Krankheiten zu verschleppen. Dann hat man weit länger damit zu tun, als wenn man dem Körper eben die paar Tage gibt, die er braucht, um sich zu regenerieren. Erkältungen darf man unter keinen Umständen verschleppen, man hat sie sonst wochenlang am Hals. Und im schlimmsten Fall bekommt man die Langzeitfolgen überhaupt nicht mehr los.
Liebe Schwestern und Brüder,
es gibt Symptome, die gilt es eben, wirklich sehr ernst zu nehmen. Das ist schon bei Erkältungen so. Und wenn dann wirklich wichtige Organe betroffen sind, wenn sich etwa das Herz mit irgendwelchen Beschwerden meldet, dann gilt das um so mehr. Bei solchen Geschichten darf man absolut keine Zeit verlieren. Wer da die ersten Anzeichen nicht ernst nimmt, und wer nicht mit aller Sorgfalt seine Konsequenzen daraus zieht, der hat meist schon von vorneherein verloren.
Das sagt einem jeder Arzt, schon der gesunde Menschenverstand und Jesus Christus sagt es auch. Der Text aus dem Markusevangelium, den wir gerade eben gehört haben, der ermahnt uns geradewegs dazu, schon auf die Symptome zu achten, erste Anzeichen wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Aber dieser Text hat noch etwas mehr im Blick, als lediglich unseren eigenen Körper und unsere Gesundheit. Denn was hier, für diesen Organismus gilt, das gilt mindestens genauso für alle anderen Zusammenhänge in unserer Welt.
"Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum," sagt Jesus. Lernt die Zeichen der Zeit nicht nur zu sehen sondern auch zu verstehen. Denn nicht nur in unserem Körper, auch in unserer Gesellschaft, genauso in unserer Kirche, auch dort deutet sich ein Kollaps etwa bereits an, schon lange bevor er sich ereignet. Kaum eine Krankheit überfällt einen aus heiterem Himmel. Man muss nur die Symptome kennen, dann kann man rechtzeitig reagieren.
Und es ist ein Symptom, wenn immer weniger Menschen beispielsweise Wert darauf legen, was Kirche rät, für gut oder schlecht befindet und an Orientierung mitgeben möchte. Wenn die Äußerungen von Kirche, auf dem Gebiet der Sexualmoral etwa, selbst von Katholiken nicht nur nicht beachtet werden sondern eigentlich schon gar nicht mehr interessieren, dann ist das ein ganz deutliches Symptom - Symptom eines schleichenden Autoritätsverlustes, das einfach nicht ignoriert werden darf.
Da reicht es dann eben nicht auf solche Zustände, einfach nur zu schimpfen. Das wäre, als ob man auf das Fieber, das man immer deutlicher spürt, einfach nur schimpft, ohne wirklich zur Kenntnis zu nehmen, dass Fieber ja Ursachen hat, und dass die zuerst einmal angegangen werden müssen, um solche Erscheinungen wirklich zu verhindern.
Wer feststellt, dass Menschen nicht einmal mehr hören, auf das, was man so von sich gibt, der muss sich doch fragen, ob er nicht tatsächlich gute Antworten auf Fragen gibt, die nur kein Mensch gestellt hat. Und er muss sich fragen, ob er die Fragen, die die Menschen wirklich haben, überhaupt noch kennt, oder ob er aus einem Elfenbeinturm heraus Antworten formuliert, die gar nicht mehr verstanden werden können, weil sie weitab von jeder Lebenswirklichkeit der Menschen mit allem zu tun haben, nur nicht mehr mit dem Leben, für das sie ja eigentlich Hilfe und Orientierung bieten wollen. Es gilt die Zeichen der Zeit zu erkennen und sie auch wirklich zu deuten!
Hinzuschauen und die Wirklichkeit nicht auszublenden, sondern zu begreifen. Nicht mit Scheuklappen nur einen Teil des Lebens überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, sondern genau hinzusehen und zu entdecken, was tatsächlich ist. Und wer dies tut, der wird von vorneherein auf manche dumme Idee erst gar nicht kommen.
Er wird zum Beispiel gar nicht auf die Idee kommen, als würde bei unseren evangelischen Brüdern und Schwestern etwa, Nachfolge Christi auch nur um ein Jota weniger gelebt, als das bei uns der Fall ist.
"Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum!" das gibt uns Jesus heute mit. Lernt die Zeichen der Zeit zu erkennen, lernt sie zu deuten. Und lernt vor allem dann die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Das ist Jesu Rat für unsere Zukunft.
Wenn wir ihn wirklich beherzigen wollen, dann muss sich noch einiges tun. Manchmal erinnert mich die gegenwärtige Situation nämlich, an jenen Lokomotivführer, dem es langsam dämmert, dass er auf ein falsches Gleis geraten ist. Er sagt sich gleich: "Gott im Himmel, ich muss irgendetwas tun!" Aber nach allem Überlegen, fällt ihm nur eines ein: "Erhöhen wir halt mal ein wenig die Geschwindigkeit!" Auf die Idee, dass man nun einige Weichen anders stellen müsste, auf diese Idee ist - zumindest jener Lokomotivführer aus dieser Geschichte - offensichtlich noch nicht gekommen.
Amen.
(gehalten am 18./19. November 2000 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)