Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
3. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (Apg 3,12a. 13-15. 17-19)
In jenen Tagen wandte sich Petrus an das Volk: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr verraten und vor Pilatus verleugnet habt, obwohl dieser entschieden hatte, ihn freizulassen. Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und die Freilassung eines Mörders gefordert. Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Dafür sind wir Zeugen. Nun, Brüder, ich weiß, ihr habt aus Unwissenheit gehandelt, ebenso wie eure Führer. Gott aber hat auf diese Weise erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten im Voraus verkündigt hat: dass sein Messias leiden werde. Also kehrt um, und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden. (Apg 3,12a. 13-15. 17-19)
Ja, die Gefahr besteht. Man kann die Texte des Neuen Testamentes so lesen - auch den Text aus der Apostelgeschichte, den wir gerade eben gehört haben. Und man hat die Texte Jahrhunderte lang auch so gelesen: Als Anklage an die Juden nämlich.
"Ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und die Freilassung eines Mörders gefordert."
Liebe Schwestern und Brüder,
dieses Denken hat unsägliches Leid verursacht. Jahrhunderte lang wurden Juden bei uns als Gottesmörder beschimpft. Und lange vor den antisemitischen Gräueltaten der Nationalsozialisten gab es antijüdische Pogrome in der abendländischen Christenheit.
Ansätze dafür gibt es durchaus schon in den Schriften des Neuen Testamentes. Schon dort kommen die Juden durchweg schlecht weg. Alle christlichen Schriftsteller der Anfangszeit sind nämlich ungeheuer bemüht gewesen, die römische Besatzungsmacht von aller Schuld am Tod Jesu von Nazareth freizusprechen. Nach Ende des jüdischen Krieges im Jahre 70 versuchten die Christen nämlich, ganz klar zu machen, dass sie nicht zu denen gehörten, die den Aufstand gegen die Römer vom Zaun gebrochen hatten, dass sie keine jüdische Gruppe seien, mit den Juden nichts zu tun hätten und immer schon auf der Seite der Römer gestanden wären.
Von daher sind Stellen wie die aus der heutigen Lesung, dass Pilatus ja sogar entschieden habe, Jesus freizulassen, nicht selten. Schon das Neue Testament ist ungeheuer bemüht, jeden Zweifel auszuräumen, als könnten Christen irgendetwas gegen die Römer haben.
Als Schuldige bleiben dann immer der Hohepriester und die Juden übrig. Und so steht man tatsächlich in der Gefahr, die Texte der Passion und der Apostelgeschichte durch eine antijüdischen Brille zu lesen.
Das hat man getan, und da und dort tut man es immer noch. Und man zeigt dabei auf die, die doch offenbar die Schuld für den Tod Jesu auf sich geladen haben.
Aber Achtung: Wer mit dem Finger auf Andere zeigt, sollte immer bedenken, dass drei Finger der gleichen Hand auf ihn selbst zurückweisen.
Wer die Texte der Bibel nur als Dokumente einer längst vergangenen Zeit liest, liest nämlich nur den kleinsten Teil. Die biblische Botschaft spricht zu mir und sie spricht in meine Lebenswirklichkeit hinein und dorthin muss ich sie auch übersetzen.
Deshalb geht es nicht zuerst um die Juden zur Zeit Jesu, wenn wir den Text heute lesen. Das wird schon deutlich, wenn wir darauf schauen, zu wem die Apostelgeschichte Petrus denn sprechen lässt! Petrus wendet sich an sein Volk! Und wenn die Bibel vom Volk spricht, dann meint sie das Volk Gottes. Aber zu diesem Volk Gottes gehören auch wir. Gottes Volk, das sind wir. Und alle Kritik des Alten wie des Neuen Bundes am Volk Gottes, alle Kritik am Verhalten gottesfürchtiger Menschen, das ist Kritik am Verhalten der Menschen heute, Kritik an der Kirche und Kritik an uns.
Bilden wir uns denn etwa ein, dass ein Jesus von Nazareth, so er heute kommen würde, von seiner Kirche nur begeistert wäre? Meinen wir denn wirklich, dass er an uns, an unseren Feiern, unserem Leben und den Amtsträgern unserer Kirche weniger auszusetzen hätte, als an den Funktionären von Religion zu seiner Zeit?
Und bilden wir uns denn wirklich ein, dass er heute mit Begeisterung aufgenommen würde? Nein, ans Kreuz schlagen würde man ihn vermutlich nicht mehr, hat mir vor einigen Jahren eine Viertklässlerin einmal gesagt, aber in eine Irrenanstalt, da würde man ihn hineinsperren.
Lesen wir die Stellen des Neuen Testamentes, die alle an den Pranger stellen, die für den Tod Jesu verantwortlich sind. Aber lesen wir sie als für uns geschrieben. Lesen Sie die Passion, und setzen sie überall dort, wo von den Juden die Rede ist, einfach einmal "die Christen" ein - und der Text wird eine ganz eigene Brisanz erhalten: Die frommen Christen aber schrieen: "Ans Kreuz mit ihm!" Und setzen Sie überall, wo Jesus die Schriftgelehrten angeht, das Wort Pfarrer ein. Und wenn vom "Hohepriester" gehandelt wird, dann lesen Sie "Papst" - und dann beginnen die Texte der Bibel ganz neu in unsere Gegenwart hineinzusprechen.
Und niemandem, aber auch wirklich niemandem wird dann mehr einfallen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Denn wenigsten drei Finger derselben Hand weisen dabei auf uns zurück.
Amen.
(gehalten am 25. April 2009 in der Antoniuskirche, Bruchsal)