Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
Die Feier der Osternacht (Mk 16,1-7(.8))
Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Mágdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Sálome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wohin man ihn gelegt hat. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat. (Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich.) (Mk 16,1-7(.8))
Wahrscheinlich wissen sie das: Heiligenfeste und Gedenktage feiert man normalerweise nicht am Geburtstag von Heiligen. Der Heiligen gedenkt man in aller Regel an ihrem Todestag. Und man tut dies, weil der Todestag so etwas wie der "Geburtstag für den Himmel" ist.
Liebe Schwestern und Brüder
das ist ein schönes Bild. Den Tod mit der Geburt zu vergleichen, das ist ein gutes Bild.
Dann wäre der Tod so etwas wie eine Geburt in ein neues Leben hinein. So wie ein Kind vom Leben im Schoß der Mutter in das jetzige Leben hineingeboren wird, so gehen wir durch den Tod hindurch in eine ganz neue Form des Lebens.
Ich glaube, das ist ein gutes Bild. Ich finde das Bild auch deshalb so schön, weil es einiges verdeutlichen kann.
Schauen Sie sich nur einmal die Geburt an. Oder besser die Zeit vor der Geburt. Ich weiß ja nicht, was ein Kind im Mutterleib denkt oder was für eine Vorstellung von Leben es hat. Wir alle haben daran ja keinerlei Erinnerung. Aber können Sie sich vorstellen, dass ein Kind vor seiner Geburt auch nur die geringste Ahnung von dieser Welt hat?
Versuchen Sie einmal einem Kind im Mutterleib etwas von Bäumen zu erzählen, von Tieren, Flüssen und Seen oder dem Blau des Himmels. Wer so etwas noch nie gesehen hat, dem kann man das nicht erklären.
Und so unvorstellbar diese Welt für ein ungeborenes Kind sein muss, so unvorstellbar ist für uns vermutlich auch das Leben das nach dem Tod auf uns Menschen wartet. Selbst wenn man es wollte, man wird es uns vermutlich überhaupt nicht beschreiben können.
Und all unsere Bilder vom zukünftigen Leben, egal ob wir jetzt von einem Garten sprechen oder einem immerwährenden Fest, sie sind vermutlich nur stammelnde Versuche, über etwas zu reden, was sich letztlich gar nicht beschreiben lässt.
Das ist aber nicht das einzige, was mit diesem Bild vom Geboren-Werden zum Ausdruck gebracht werden kann. Ich glaube auch das Heranwachsen eines ungeborenen Kindes an sich lässt sich sehr schön mit dem vergleichen, was auch jetzt wieder mit uns geschieht.
Ein Kind wächst im Mutterleib zu einem Wesen heran, das in dieser Welt lebensfähig ist. Gut, es braucht anfangs noch viel Hilfe, aber nach der Geburt ist es mehr und mehr ein immer selbständigerer Mensch.
Im Mutterleib ist so ein Kind in aller Regel völlig allein. In dieser Welt leben wir mit vielen anderen Menschen zusammen. Und wir müssen lernen mit ihnen zusammen zu leben. Und vielleicht ist es eine unserer großen Aufgaben in diesem Leben, zu lernen mit anderen Menschen glücklich zu leben.
Denn auch das geht nicht von selbst, das muss man einüben. So wie wir im Mutterleib zu lebensfähigen Menschen herangewachsen sind, so werden wir im Laufe unseres Lebens zu gemeinschaftsfähigen Menschen. Und im besten Fall zu Menschen, die das Leben mit anderen zusammen genießen können.
Wer dies in diesem Leben nicht lernt, wer nicht lernt, mit anderen zusammen glücklich zu sein. Wer andere hasst, verabscheut oder ständig mit Füßen tritt, der wird vermutlich schon gar keine Hölle mehr brauchen. Für den wäre das neue Leben nach dem Tod ein Leben mit all den anderen Menschen zusammen, vermutlich bereits Bestrafung genug.
Aber bestenfalls reifen wir in diesem Leben zu gemeinschaftsfähigen Menschen - so ähnlich wie wir in der Schwangerschaft erst einmal zu lebensfähigen Menschen herangewachsen sind.
Damals wurden wir in diese Welt hinein geboren, zukünftig werden wir noch einmal in eine für uns heute unvorstellbare, unbeschreibbare, noch einmal ganz andere Welt geboren werden.
Und da kommt dann das dritte zum Tragen, was an diesem Bild des Geboren Werdens für mich noch zusätzlich großartig ist. Das ist nämlich dann die Geburt selbst. Denn schön ist die nicht, nicht für die Mutter und vermutlich genauso wenig für das Kind.
An unsere eigene Geburt haben wir ja auch alle keinerlei Erinnerung mehr. Und das ist vermutlich auch gut so. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Geboren Werden einem Kind Freude macht. Das ist eine Tortur, das ist eine Qual. Und ich würde mich nicht wundern, wenn Kinder im Mutterleib sich davor fürchten, ja, sogar Angst davor haben.
So, wie viele von uns auch Angst vor dem Sterben haben. So wie ich mich davor fürchte, weil ich nicht weiß, was da auf mich zukommt, weil ich mir nicht vorstellen kann, was mich da erwartet und weil ich jetzt nur die Strapazen sehe, die da noch vor mir liegen.
Nicht selten, ist es da ein nur schwacher Trost, wenn man mir erklärt, dass ich mich halt einfach vertrauensvoll in die Hand eines gütigen Gottes fallen lassen muss. Denn Zuversicht und Trost stehen beim Sterben nicht in vorderster Reihe.
So war ja auch die erste Reaktion der Frauen am leeren Grab Furcht und Entsetzen. Angesichts des Sterbens ist das häufig die einzige Reaktion zu der Menschen fähig sind. Und das ist mehr als verständlich. Die Freude über die Auferstehung, die brauchte ihre Zeit. Und selbst das Evangelium macht klar, dass es nicht wenig Zeit brauchte, bis sich diese Freude Bahn gebrochen hat.
Das wird im Blick auf unser eigenes Sterben gar nicht so viel anders sein. Furcht und Entsetzen, die überwiegen augenblicklich vermutlich bei den meisten von uns.
In der Osternacht geht es deshalb noch nicht so sehr um die Freude, noch viel weniger um Gewissheit. In der Osternacht geht es einzig und allein um dieses Hoffnungszeichen, das Hoffnungszeichen für die Frauen am leeren Grab, genauso wie das Hoffnungszeichen für uns, dieses Zeichen der Hoffnung, dass die Botschaft dieser Nacht eine gute Nachricht ist, eine Nachricht, die auch uns gilt - Evangelium auch für uns.
Amen.
(gehalten am 30. März 2024 in der Nikolauskirche, Ettenheim-Altdorf)