Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (Apg 4,8-12)
In jenen Tagen sagte Petrus, erfüllt vom Heiligen Geist: Ihr Führer des Volkes und ihr Ältesten! Wenn wir heute wegen einer guten Tat an einem kranken Menschen darüber vernommen werden, durch wen er geheilt worden ist, so sollt ihr alle und das ganze Volk Israel wissen: im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt und den Gott von den Toten auferweckt hat. Durch ihn steht dieser Mann gesund vor euch. Er - Jesus - ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen. (Apg 4,8-12)
Für seine lockeren Sprüche während der Vorlesung war einer unserer Professoren für Kirchengeschichte ganz besonders bekannt. Und solche Sprüche haben sich mir ganz tief in die Erinnerung eingegraben.
Einmal hatte er es von der Kaiserin Helena, die ja die unterschiedlichsten Reliquien im Heiligen Land aufgefunden hatte. Das Kreuz Christi hat sie gefunden, und auch die Windeln Christi, die in Wien aufbewahrt werden, gehen auf einen Fund dieser römischen Kaiserin zurück.
Das hat unser Professor damals folgendermaßen kommentiert: "Die Heilige Helena war eben wundersüchtig", hat er gesagt, "Sie war so wundersüchtig, dass sie am Ende sogar den Stein gefunden hat, den die Bauleute verworfen haben."
Liebe Schwestern und Brüder,
jetzt bin ich mir nicht sicher, ob das so ganz ernst gemeint war und dieser "Stein, den die Bauleute verworfen hatten", tatsächlich irgendwo als Reliquie verehrt wurde, aber zuzutrauen wäre es dieser Zeit, die so sehr nach Dingen und heiligen Gegenständen verlangte, dass man Reliquien in Tausende von Teilen zerschnitt und über die ganze damalige Welt verteilte.
Und ich wäre nicht überrascht, wenn irgendein amerikanischer Fernsehsender, so, wie sie sich mittlerweile auf die Suche machen, um die genaue Lage des Paradieses zu ermitteln oder die Reste der Arche Noah zu finden, eine großangelegte Expedition unternehmen würde, um den "Stein, den die Bauleute verworfen haben", neu zu entdecken.
Dass dies Blödsinn ist, ist uns hier allen klar. Dass der "Stein den die Bauleute verworfen haben", ein Bild für Jesus Christus ist, für den auferstandenen Herrn, der zum Eckstein für das ganze Gottesreich wurde, das wissen wir alle. Denn eigentlich liegt das ja auf der Hand. In diesem Stein etwas anderes sehen zu wollen, das kann nur dem passieren, der nicht rechts und nicht links liest und der auch nicht hinter den Sinn der Worte, hinter die Buchstaben des Textes fragt.
Immer mehr Menschen aber fangen wieder an, an den Buchstaben zu kleben. Und sie meinen, wenn nicht alles genau so, wie es in der Bibel beschrieben wird, stattgefunden hat, dann würde unser ganzer Glaube zusammenbrechen.
Ich kann es fast nicht glauben, dass die Mehrheit der Amerikaner schon wieder völlig überzeugt davon ist, dass die Welt in genau sechs mal 24 Stunden geschaffen worden sei und alle Erkenntnisse der Naturwissenschaft eben Unsinn wären. Ich kann es gar nicht glauben, dass all das, was Menschen auf dem Gebiet der Erforschung der Schrift in den letzten beiden Jahrhunderten an Ergebnissen zutage gefördert haben, plötzlich wie weggewischt sein soll. Ich kann es mir eigentlich gar nicht vorstellen, weil unser Glaube dadurch um so viel ärmer würde.
Was nützen mir die versteinerten Balken einer Arche Noah, wo es doch darum geht, was Gott mir mit dieser Erzählung sagen möchte. Was nützt mir das Wissen um die Entstehung der Welt, wenn es doch darum geht, dass Gott mir klar machen möchte, was es für mich bedeutet, Geschöpf zu sein und diese Schöpfung als hohes Gut von meinem Schöpfer anvertraut bekommen zu haben.
Es ist doch genau das Großartige am Christentum der Gegenwart, dass wir das Mittelalter und sein enges Denken überwunden haben. Waren es nicht genau diese wörtlichen Missverständnisse der Bibel, die uns dazu gebracht haben, zu glauben Gott könne das Verbrennen von Ketzern gutheißen, uns in heilige Kriege schicken und uns zu Kreuzzügen aufrufen?
Ist es nicht fatal, dass das Sprechen vom Kreuzzug genau dort wieder fröhliche Urständ feiert, wo das wörtliche Missverstehen der Schrift wieder ganz neu um sich zu greifen beginnt?
Es geht um den Sinn, nicht um das Wort. Und wer am Wort klebt, verliert ab und an den Sinn aus dem Blick.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, und diese bissige Bemerkung unseres Professors über die Expedition der Kaiserin Helena auf der Suche nach diesem Stein ist für mich ein ganz eigenes Bild geworden. Denn wer am Buchstaben kleben bleibt, steht immer in der Gefahr, am Ende nach Steinen zu suchen, wo es doch Christus zu finden gilt.
Amen.
(gehalten am 2. Mai 2009 in der Peterskirche, Bruchsal)