Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


7. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (1 Joh 4,11-16)

Liebe Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben. Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet. Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt: Er hat uns von seinem Geist gegeben. Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt. Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott. Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm. (1 Joh 4,11-16)

Das war wohl nichts. Dieses Projekt ist wohl gründlich danebengegangen.

Davon, dass man Christen an der Liebe erkennen würde, dass sich die Christen durch die Liebe auszeichnen würden, davon kann wohl wirklich nicht die Rede sein.

Liebe Schwestern und Brüder,

und dabei haben die Johannesbriefe, aus denen wir eben einen Abschnitt gehört haben, die Messlatte ja schon deutlich niedriger gehängt.

Da geht es schon nicht mehr um den Universalismus, der einen Jesus von Nazareth ausgezeichnet hatte. Die Forderung, andere zu lieben, wird da ja schon deutlich eingeschränkt. Da reicht es ja bereits, wenn wir die Brüder und Schwestern, wir uns innerhalb der christlichen Gemeinde, wirklich lieben.

Aber selbst das ist ja offenbar nichts anderes als ein Wunschtraum. Auch davon kann doch absolut keine Rede sein. Christen hauen andere genauso übers Ohr, wie es Nicht-Christen tun. Es gibt bei uns nicht weniger Gerichtsverfahren als anderswo. Und Streit und Lieblosigkeiten sind an der Tagesordnung.

Und auch diejenigen, die von Berufswegen christlich sein müssten, die sogenannten Kleriker, Priester und Bischöfe, machen da keine Ausnahme. Man spricht zwar nicht einmal nur von Brüdern, sondern sagt sogar "Mitbrüder", aber der Umgang ist meist bei weitem nicht geschwisterlich. Neid und Missgunst beherrschen auch da das Bild. Und ein mancher bastelt so sehr an der eigenen Karriere, dass alles andere dabei auf der Strecke bleibt.

Natürlich darf man das jetzt nicht verallgemeinern, natürlich gibt es auch hier viele Ausnahmen. Aber das ist ja genau der Punkt: Es sind Ausnahmen, rühmliche Ausnahmen, die uns Vorbild sind und für die wir nicht genug danken können.

Aber Christus hat eben nicht gewollt, dass wir ausnahmsweise die anderen lieben. Wenn er uns so geliebt hat - sagt dieser Johannesbrief - dann müsste es eigentlich der Normalfall sein, Grundzug unseres Wesens, das, was uns auszeichnet und woran man uns sogar erkennen kann: Dass wir nämlich - nicht nur uns - dass wir die anderen wirklich lieben.

Diese anderen aber sind ganz konkret der und diejenige, die uns gerade gegenüberstehen. Und das meint bei Jesus eben mehr als nur die Mitglieder der eigenen Gemeinde, der eigenen Konfession oder selbst der eigenen Religion.

Wer die Johannesbriefe so versteht, dass es ausreichend wäre, wenn wir uns nur der eigenen Brüder und Schwestern, nur der anderen Christen annehmen würden, der hat das Evangelium und vor allem diesen Jesus von Nazareth völlig missverstanden.

Ein Missverständnis, das gar nicht so selten ist. So musste ich letzthin jemandem Rede und Antwort stehen, der mich fragte, warum ausgerechnet unsere Caritas jetzt, nach dem schrecklichen Erdbeben, Geld nach Nepal überweisen würde, denn dort gäbe es doch gar keine Christen.

Wenn wir unser Christensein nur darin erschöpft sähen, Christen zur Seite zu stehen, dann würden wir am Kern der christlichen Botschaft absolut vorbeigehen.

Genauso wie es mit dem Geist Christi aber auch gar nichts zu tun hat, wenn Menschen den Vorschlag machen, muslimische Staaten wie Saudi-Arabien mögen sich doch um muslimische Flüchtlinge kümmern. Wir würden uns dann entsprechend der Christen, die auf der Flucht sind, annehmen.

Einen Menschen, der in Not ist, zuerst zu fragen, ob er denn auch den vermeintlich richtigen Glauben habe, das hat nicht nur mit Christsein nichts mehr zu tun. Das weiß auch ein Atheist, dass das letztlich nicht nur nicht christlich, dass das zutiefst unmenschlich ist.

Sicher, es sind viele, die momentan vor unseren Türen stehen. Sicher, keiner muss mehr Hilfe leisten, als er zu helfen in der Lage ist. Aber bei einem Land wie dem unseren - bei uns hier -, da ist noch verdammt viel Luft nach oben; viel Luft, bis wir an die Grenze dessen gelangen, was uns möglich ist, ohne dass wir uns auch nur imGeringsten einschränken müssten.

Aber da hapert es halt häufig schon an der Menschlichkeit, ganz zu schweigen von dem, was Jesus von Nazareth mit Liebe, mit Liebe zum Nächsten gemeint hat. Diesem Anspruch Jesu werden wir tatsächlich nie und nimmer gerecht.

Wenn wir aber hinter der Aufforderung, andere wirklich zu lieben, so weit zurückbleiben, wenn wir uns schon nicht wirklich als Christen erweisen, dann sollten wir zumindest in punkto Menschlichkeit nicht auch noch versagen, dann sollten wir wenigstens Menschen bleiben, die Menschlichkeit in den Mittelpunkt stellen. Und vor allem denjenigen gegenüber, die uns ganz direkt begegnen.

Wenn wir es schon nicht fertig bringen, all die anderen wirklich zu lieben, wenigstens menschlich sollten wir handeln, und zwar genau an denen, die gerade vor uns stehen.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 16. Mai 2015 in der St. Bernhardskirche, Karlsruhe)