Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
32. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 12,38-44)
In jener Zeit lehrte Jesus eine große Menschenmenge und sagte: Nehmt euch in acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, leben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Aber um so härter wird das Urteil sein, das sie erwartet. Als Jesus einmal im Tempel dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle anderen. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt. (Mk 12,38-44)
"Denke daran, was dem in Purpur gekleideten Reichen begegnet ist: nicht deshalb ist er verdammt worden, als hätte er Fremdes an sich gerissen, sondern weil er dem nothleidenden Armen nicht von dem Seinigen gegeben hat; in die Hölle gestürzt kam es dahin mit ihm, dass er um das Allermindeste bitten musste, weil er hier selbst das Wenige verweigert hat."
Liebe Schwestern und Brüder,
Sie können sich sicher denken, dass diese Sätze nicht von mir stammen, sie gehen auf Augustinus von Hippo zurück. Und ich fand sie in dieser etwas altertümlichen Übersetzung in einem Handbuch zur Vorbereitung von Predigten aus dem Jahre 1862. Aufgeführt sind diese Sätze dort bei den Kirchenväter-Zitaten, die sich angeblich vortrefflich für eine Predigt über das Almosengeben eignen.
Und ich kann mir die Ansprachen, die mit diesem Material entstanden sind, ganz gut vorstellen. Sie haben ihre Wirkung mit Sicherheit nicht verfehlt. Ich seh' es direkt vor mir, wie die Hörer unter der Kanzel bei den Worten "... in die Hölle gestürzt..." zusammenzuckten und die Geldbörse bei der anschließenden Kollekte nur um so bereitwilliger öffneten.
Ich möchte die damalige Zeit nicht im Nachhinein vom hohen Ross herunter verurteilen, und ich will hier auch gar nichts lächerlich machen. Ich sehe ganz deutlich, dass durch die Opferbereitschaft der Menschen damals, eine Fülle von großartigen Dingen in Angriff genommen werden konnte. Und es ist mir auch klar, dass dadurch, dass Pfarrer in ihren Gemeinden die Spendentrommel immer wieder auf das eindringlichste gerührt haben, dass dadurch der Bau von Krankenhäusern, kirchlichen Schulen, Waisenhäusern und Heimen vielerorts überhaupt erst möglich geworden ist.
Eines stößt mir allerdings trotz allem ganz bitter auf. Was haben die Lehrer der Theologie, was haben die Prediger und Seelsorger in den damaligen Jahren, was hat man in den Köpfen der Menschen mit solchem Reden angerichtet? Was für ein Denken wurde durch diese Art der Verkündigung in unseren Gemeinden gezüchtet! Und was für ein Bild von Gott mussten die Menschen damals fast zwangsläufig bekommen.
Und solche Anfragen verstärken sich nur noch mehr, wenn ich in jenem alten Handbuch für Prediger weiterblättere, wenn ich dann ein, zwei Seiten weiter, gar noch ein Zitat von Johannes Chrysostomus finde. Wenn ich dort lese, wie der einmal über das Almosengeben geschrieben hat: "Das ist ein gutes Handelsgeschäft, in welchem billig eingekauft, und theuer verkauft wird."
Billig eingekauft nämlich, weil ich einige Mark an Almosen gebe, und teuer verkauft, weil ich dafür das ewige Leben erhalte. Das wurde gepredigt! Das wurde als Motivation weitergegeben, die Armen zu unterstützen und Almosen zu geben. Ich denke Sie können sich vorstellen, dass es mich schüttelt, wenn ich diesen Gedanken durchspiele.
Wie wenn die Botschaft Jesu, wie wenn das, was er gesagt hat, unterm Strich nichts anderes wäre als eine Marktstrategie für den Erwerb des Himmelreiches. Wie wenn ich mir nur ausrechnen müsste, was mein Guthaben bei Gott am stärksten anwachsen lässt, um es dann am Ende mit Zins und Zinseszins einstreichen zu können. Wie wenn ich mich letzten Endes selbst erlösen müsste, indem ich mir den Himmel verdiene, ja, wie wenn ich mich letztendlich selbst erlösen könnte.
Kann man Jesus so gründlich missverstehen?
Hatte man damals etwa völlig vergessen, was Paulus geschrieben hat, dass es nämlich zuerst einmal überhaupt nicht darauf ankommt, was ich tue, dass egal was ich tue, dass alles vergebliche Liebesmüh ist, wenn die Einstellung, die dahintersteht, nicht stimmt?
Sie kennen das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes: "Wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht," - kann ich vergessen - "es nützte mir absolut nichts."
Wenn ich das im Hinterkopf behalte, dann muss mir doch klar sein, dass es Jesus z. B. bei dieser Frau am Opferkasten im Tempel aus dem heutigen Evangelium, dass es Jesus da nicht etwa darum geht, dass diese Witwe ihren ganzen Lebensunterhalt weggegeben hat, dass die Quintessenz des heutigen Evangeliums eben nicht heißen kann, nur vom Überfluss zu geben ist zu wenig, man muss eben alles geben.
Es müsste doch eigentlich einleuchtend sein, dass es Jesus um etwas ganz anderes geht.
Was lobt er denn an dieser Frau? Er sieht eine Witwe, die in den Tempel kommt, er sieht eine Frau, die etwas Gutes tun möchte, und er sieht eine Frau, die jetzt ohne zu rechnen, ohne auf sich selbst zu schielen, ohne jetzt doch nur wieder an sich selbst zu denken, einfach gibt. Und das ist es, das lobt er.
Er lobt sie, weil anscheinend genau das, diese Frau von all den anderen Menschen in dieser Perikope unterscheidet. Es ist, wie wenn Jesus anhand dieser Frau sagen wollte: Wenn Du jemandem etwas schenken willst, wenn Du etwas geben willst, dann mach es nicht so, wie die vielen anderen Menschen hier das jetzt getan haben. Schenke nicht deshalb, damit man sich bei Dir bedankt. Gib nicht deshalb, damit andere es sehen und Dich loben. Und schenke auch nicht mit dem Hintergedanken, dass dann dies oder jenes dabei für Dich herauskommt. Du kannst das Schenken dann nämlich gleich bleiben lassen, ein Geschenk ist so etwas nicht! Letztendlich denkst Du dabei schließlich doch wieder nur an Dich.
Wenn Du schenkst, dann tu es so, wie diese Frau. Denn sie hat beim Schenken jetzt nicht zuerst an sich gedacht, hat nicht gerechnet, ob sie sich das eigentlich leisten kann, ob Kosten und Nutzen im rechten Verhältnis zueinander stehen. Sie wollte geben, und sie gab was sie hatte. Und das heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes als, sie gab ein Stück von sich.
Das bedeutet schenken im Sinne Jesu Christi, etwas zu geben, und dabei dann tatsächlich mit meinen Gedanken auch bei dem zu sein, dem ich etwas gebe, nicht wieder nur mich selbst, den anderen wirklich im Blick zu haben, ihm zu geben und zwar ein Stück von mir.
Nehmen Sie sie ruhig mit, nehmen Sie diese Witwe aus dem Markusevangelium ruhig mit, wenn Sie sich in den kommenden Wochen daran machen Geschenke zu besorgen.
Und ich darf Ihnen obendrein ein Gedanken mitgeben, den Joachim Ringelnatz formuliert hat. Denn dieser Text scheint mir nichts anderes zu sein, als eine moderne Umschreibung dessen, was Jesus am Beispiel dieser Witwe deutlich zu machen versuchte, nichts anderes als eine moderne Umschreibung dafür, was schenken im Sinne Jesu bedeutet.
"Schenke groß oder klein, aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten die Gaben wiegen,
sei dein Gewissen rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei,
was in dir wohnt
an Meinung, an Geschmack und Humor,
so dass die eigene Freude zuvor
dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk, dass dein Geschenk du selber bist."
Amen.
(gehalten am 10. November 1991 in der Schlosskirche Mannheim)