Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
3. Adventssonntag - Lesejahr B (Joh 1,6-8. 19-28 mit 1 Thess 5,16-24)
Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles; denn das will Gott von euch, die ihr Christus Jesus gehört. Löscht den Geist nicht aus! Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles, und behaltet das Gute! Meidet das Böse in jeder Gestalt! Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid, wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt. Gott, der euch beruft, ist treu; er wird es tun. (1 Thess 5,16-24)
Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias. Sie fragen ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst? Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. Sie fragen Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet? Er antwortete ihnen: ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte. (Joh 1,6-8. 19-28)
"Mitten unter Euch steht der, den Ihr nicht kennt!"
Ich glaube, das galt nicht nur vor 2000 Jahren!
Liebe Schwestern und Brüder,
wir glauben heute zwar, besser dran zu sein, wir halten uns für die, die Gottes Willen erkannt und den Glauben an ihn wirklich angenommen haben. Und manche von uns maßen sich deshalb sogar an, den Glauben von anderen beurteilen und da und dort sogar als falschen Glauben verurteilen zu können. Würde es uns aber auch nur einen Deut besser gehen als den ungezählten Menschen zur Zeit eines Johannes des Täufers, die Jesus von Nazareth leibhaftig erlebten? Würden wir wirklich etwas anderes in ihm sehen als einen Träumer, Querulanten oder gar linken Kritiker?
Wie viele haben ihn denn zeitlebens wirklich erkannt? Wie viele würden ihn heute erkennen? Wäre er überhaupt dort anzutreffen, wo wir uns normalerweise aufhalten? Und hätte er heute, unter uns, ein anderes Schicksal zu gewärtigen, als es ihm damals zugedacht war?
Vor einigen Jahren hat einmal eines unserer Erstkommunionkinder gesagt: "Nein, ans Kreuz schlagen würde man ihn heute vermutlich nicht mehr, aber in eine Irrenanstalt einweisen, das würde man wohl tun."
Mitten unter Euch steht der, den Ihr nicht kennt!
Wenn wir ihn schon nicht einfach übersehen würden, wir würden uns vermutlich über ihn ärgern, über ihn aufregen und einige würden ganz sicher dafür sorgen, dass seine Stimme verstummen und er mundtot gemacht würde: weil er uns und unser Leben, weil er unsere Selbstgerechtigkeit - heute wie damals - einfach in Frage stellt. Und weil er - heute wie damals - von uns verlangt, dass wir uns ändern, in unserem Verhalten, in unserem Denken, in unserer Einstellung und auch in unserem Glauben.
Liebe Schwestern und Brüder,
eigentlich hört man das in jeder Adventszeit, nicht wahr? Wenn wir der Gestalt Johannes des Täufers begegnen, dann kommt man fast zwangsläufig auf diesen Punkt. Und man kann sich des Gedankens kaum erwehren, als gehöre dies irgendwie zur Bilanz unseres Christseins einfach dazu, als könne man da kaum etwas machen.
Jesus von Nazareth, der wirkliche Christus, der menschgewordene Gottessohn, der scheint es ungeheuer schwer zu haben, wirklich bei den Menschen anzukommen.
Und anscheinend nehmen wir das jedes Jahr zur Kenntnis, bedauern es aufrichtig und ändern nichts.
Dabei wäre es so einfach. Es bräuchte eigentlich gar nicht viel. Wir müssten nur das beherzigen, was Paulus seiner Gemeinde in Thessaloniki so ans Herz gelegt hat.
"Löscht den Geist nicht aus!" sagt Paulus. Habt den Mut, die eigenen, festzementierten Vorstellungen immer wieder neu zu hinterfragen. Habt den Mut, Euch von diesem Jesus von Nazareth immer wieder in Frage stellen zu lassen. Lasst Euch auf ihn ein, auf Christus, nicht auf die Vorstellungen, die man sich über ihn gemacht hat.
Und: "Verachtet prophetisches Reden nicht!" Lasst Euch wachrütteln von denen, die den Finger in die Wunde legen. Und klebt vor allem nie an liebgewordenen Gewohnheiten, vor allem dann nicht, wenn sie sich immer deutlicher als falsch erweisen.
Stellt Altes wie Neues auf den gleichen Prüfstand. "Prüft alles, und behaltet das Gute!"
Das ist eigentlich alles, was wir tun müssen, damit wir den, der mitten unter uns ist, nicht übersehen, damit wir ihn wirklich erkennen und - vor allem - damit wir ihm, und wirklich nur ihm folgen.
Amen.
(gehalten am 10./11. Dezember 2011 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)