Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
29. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 10,35-45)
In jener Zeit traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu Jesus und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen. Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, der soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Mk 10,35-45)
"Da liegt San Pablo", meinte Padre Gabriel, als wir 2001 unsere Partnergemeinden in Peru besucht haben, "San Pablo liegt da drüben im Norden!" Und er zeigte in Richtung der Sonne, die jetzt Mittags um 12 Uhr hoch am Himmel stand.
"Moment, das ist doch Süden," meinte ich, "die Sonne steht doch jetzt im Süden!"
"Die Sonne steht im Norden!" meinte Padre Gabriel und sah mich ganz verwundert an.
Liebe Schwestern und Brüder,
natürlich steht die Sonne am Mittag im Norden. In Peru ist das noch nie anders gewesen. Peru liegt schließlich südlich des Äquators und da steht die Sonne Mittags im Norden.
Daran hätte ich zuletzt gedacht. Wäre ich allein unterwegs gewesen, ich wäre wohl in die völlig falsche Richtung gefahren.
Ich bin von Kind auf gewohnt, die Sonne Mittags im Süden zu suchen. Und ich war mir deshalb auch ganz sicher, dass Gabriel in die falsche Richtung gezeigt hatte - so sicher, dass ich ihm sogar widersprochen habe.
Jesus wollte ich auch schon widersprechen. Jesus zeigt schließlich, genau wie Padre Gabriel damals, in die völlig falsche Richtung.
Wo oben ist, das weiß ich doch genau. Von Kind an haben wir gelernt uns nach oben zu orientieren. Dort, wo die hohen Einkommen sind, dort, wo Menschen Erfolg haben, zu Macht und Ansehen und dem entsprechenden Einfluss gekommen sind, dort spielt die Musik, dorthin muss man sich orientieren.
So funktioniert unsere Gesellschaft, so funktioniert unsere Welt und Kirche funktioniert auch so. Auch in der Kirche sprechen wir schließlich von Karrieren. Und wir haben Würdenträger, hochwürdige und sogar hochwürdigste Herren. Und je purpurner die Mäntel werden, desto größer der Respekt, die Achtung und das Ansehen.
Und da sagt Jesus, es ginge nicht um die Herren, es ginge um die Diener. Und am Ende sei der Sklave der größte. Und der Mammon sei ungerecht, obwohl jeder und jede von uns weiß, dass man ohne ihn nicht auskommt, obwohl jede und jeder von uns von ein klein wenig Reichtum und finanzieller Unabhängigkeit träumt. Und wir sichern unseren Besitz, wir wappnen uns vor Einbrechern und verteidigen uns gegenüber Feinden und Jesus kommt und sagt: liebt Eure Feinde und tut Gutes denen, die Euch hassen.
Dieser Jesus stellt doch alles auf den Kopf, was wir gewohnt sind, alles, was für uns Menschen normal ist.
So wie Padre Gabriel, auf die Sonne zeigt und davon spricht, dass sie im Norden stünde - wo doch jedes Kind bei uns weiß, dass sie Mittags im Süden steht.
Aber genau das scheint mir das Problem zu sein: Ich kann mein Leben lang gewohnt sein, es anders zu sehen. Meine Welt kann wunderbar funktionieren. Ich kann immer nach Süden gelangen, wenn ich mittags der Sonne folge. In Peru ist es eben andersherum. Und wenn ich mich nicht darauf einstelle, dann verirre ich mich ganz gewaltig, komme überall hin, nur nicht an mein Ziel.
Jesus zeigt heute wieder wo bei ihm oben ist, welche Richtung bei ihm zum Ziel führt.
Ich kann ihn jetzt als Spinner abtun, kann mir sagen, alle Erfahrung dieser Welt spricht dagegen, und ich kann ihm sogar vorrechnen, dass die Welt halt anders funktioniert. Es wird nichts daran ändern, dass es bei ihm so ist!
Und wenn ich nach oben strebe, nach Karriere, Erfolg und Ansehen giere, dabei aber jene Richtung einschlage, die ich von früh an gewohnt bin, dann werde ich am Ende wohl dumm aus der Wäsche gucken.
So wie alle, die in die falsche Richtung marschieren. Denn wer wirklich nach oben möchte, muss Jesu Richtung einschlagen, er wird sonst nie dort ankommen. Er wird sein ganzes Leben lang vermeintlich steigen, um dann am Ende einzusehen, dass das die ganze Zeit ein Irrtum war.
Das wäre dann wirklich mehr als dumm gelaufen.
Amen.
(gehalten am 18. Oktober 2009 in der Paulus- und Antoniuskirche, Bruchsal)