Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
2. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (1 Sam 3,3b-10. 19)
In jenen Tagen schlief der junge Samuel im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes stand. Da rief der Herr den Samuel, und Samuel antwortete: Hier bin ich. Dann lief er zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen! Da ging er und legte sich wieder schlafen. Der Herr rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen! Samuel kannte den Herrn noch nicht, und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden. Da rief der Herr den Samuel wieder, zum drittenmal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben gerufen hatte. Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich wieder ruft, dann antworte: Rede, Herr; denn dein Diener hört. Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder. Da kam der Herr, trat zu ihm heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört. Samuel wuchs heran, und der Herr war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten unerfüllt. (1 Sam 3,3b-10. 19)
Das kann passieren.
Wenn man sich als junger Student mit seiner Angebeteten um viertel eins an der Mensa verabredet, dann kann das schon mal passieren, dass man eine Stunde lang warten muss: Dann nämlich, wenn dieselbe zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen kommt und mit "viertel eins" absolut nichts anzufangen weiß.
Da passiert es dann schon einmal, dass sie davon ausgeht, dass er "eine Viertelstunde nach ein Uhr" gemeint haben muss, während alle Welt - zumindest die ganze badische Welt - doch genau weiß, dass das Treffen um 12 Uhr 15 angesetzt ist.
Liebe Schwestern und Brüder,
manchmal reicht es eben nicht aus, dieselbe Sprache zu sprechen und die gleichen Worte zu verwenden. Manchmal muss man diese Worte eben auch auf dieselbe Art und Weise deuten, um sich wirklich zu verstehen.
Der kleine Samuel aus der heutigen Lesung kann davon ein Lied singen. Er hat das Wort zwar gehört - es zu deuten aber war er nicht in der Lage. Das Endergebnis war, dass Eli drei Mal in dieser Nacht aus dem Schlaf gerissen wurde.
Ein Glück für Samuel - und letztlich für uns alle - dass Eli ihm helfen konnte, dass er, zumindest beim dritten Mal, die Worte recht zu deuten wusste. Wäre dem nicht so gewesen, dann hätte die Geschichte - auch unsere Geschichte - einen ganz anderen Verlauf genommen.
Eli konnte Samuel aber den rechten Tipp geben, und Samuel sprach daraufhin die berühmten Worte, "Rede, Herr, dein Diener hört."
Im Laufe seines Lebens hat Samuel große Fortschritte gemacht. Er brauchte am Ende keine Elis mehr, um Worte des Herrn zu deuten. Er wurde selbst zum Propheten und hat Gottes Wort nicht nur gehört, sondern auch richtig einzuordnen gewusst. Er hörte nicht nur, er verstand nun auch.
Für uns wird es, wenn wir Gottes Wort verstehen wollen, im Grunde keine andere Möglichkeit geben, als uns an Samuel zu orientieren. Entweder wir werden gleichsam zu Propheten und hören nicht nur, sondern können auch deuten, oder - was wohl für nahezu alle von uns der einzige Weg bleiben wird - wir suchen uns einen "Eli", den wir um Rat fragen können, der uns hilft, das, was Gott von uns möchte, auch wirklich zu entdecken.
Dazu muss man nicht erst auf einen Menschen treffen, der Eli heißt. Meist reicht es schon, wenn mehrere sich gegenseitig stützen, durchsprechen, was dieses oder jenes der Gottesworte, wie sie uns in der Schrift zum Beispiel überliefert sind, für uns heute zu sagen hat, gemeinsam überlegen, was Gott wohl von uns heute braucht. Häufig werden die Dinge dann bereits klarer. Und im Laufe der Zeit lernt man dann selbst, das ein oder andere nicht nur zu lesen, nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen.
So wie die beiden Studierenden damals, die sich, nachdem er dann glücklicherweise die ganze Stunde gewartet hatte, zumindest was die Uhrzeit anging, gegenseitig verstehen gelernt haben und sich vermutlich nie mehr verfehlten, wenn man sich wieder einmal um viertel eins an der Mensa verabredet hatte.
Amen.
(gehalten am 17./18. Januar 2009 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)