Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
25. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 9,30-37 mit Jak 3,16-4,3)
Brüder! Wo Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. Doch die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht. Wo Frieden herrscht, wird von Gott für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut. Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Ihr begehrt und erhaltet doch nichts. Ihr mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in eurer Leidenschaft zu verschwenden. (Jak 3,16-4,3)
In jener Zeit zogen Jesus und seine Jünger durch Galiläa. Jesus wollte aber nicht, dass jemand davon erfuhr; denn er wollte seine Jünger über etwas belehren. Er sagte zu ihnen: Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen. Aber sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, ihn zu fragen. Sie kamen nach Kafarnaum. Als er dann im Haus war, fragte er sie: Worüber habt ihr unterwegs gesprochen? Sie schwiegen, denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei. Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat. (Mk 9,30-37)
Versuchen Sie sich mal in Jesus hineinzuversetzen.
Das muss schrecklich gewesen sein. Er ahnt, dass er sterben muss. Ihm wird klar, dass sie ihn töten werden. Und er weiß, dass dies Schmerzen und unendliches Leid bedeuten wird. Und er spricht darüber. Er sagt es ihnen ganz offen.
Und was machen sie? Sie schwätzen - wie in der Schule! Sie hören gar nicht zu.
Und dann fragt er sie auch noch: Worüber habt ihr denn unterwegs gesprochen? Und was dann kommt, das muss wie ein Schlag ins Gesicht gewirkt haben.
Liebe Schwestern und Brüder,
während Jesus klar wird, dass er sterben muss, während er versucht, das in Worte zu fassen und mit ihnen über diese Ahnung zu sprechen, reden sie darüber, wer von ihnen wohl der Größte sei.
Das muss niederschmetternd gewesen sein!
Ein traurigeres Zeugnis über die Jünger Jesu gibt es im ganzen Evangelium nicht. Hier ist noch nichts zu spüren von der Glorifizierung der Apostel in späteren Zeiten. Hier treten Züge zu Tage, die sich in den jüngeren Berichten verlieren werden. Und hier wird noch ein klein wenig deutlich, was für Beweggründe so mancher Jünger wohl gehabt haben mag, als er sich diesem Jesus anschloss.
Nur fromm, nur lauter, nur selbstlos scheinen die ja nicht gewesen zu sein. Diesem Jesus zu folgen, hieß ja nicht nur, für eine hehre Sache alles zurückzulassen. Sie ließen ihr armseliges Fischerdasein ja nicht "für nichts" zurück.
Sie waren ja davon überzeugt, dass dieser Zimmermannssohn aus Nazareth der Messias ist. Der Messias war der König. Und das hatte zunächst nichts mit einem jenseitigen Reich Gottes zu tun. Für die Juden zur Zeit Jesu ging es dabei um einen sehr diesseitigen König. Es ging um die Souveränität Israels, um die Befreiung vom römischen Joch. Das war Jesu Aufgabe - davon waren wohl die meisten der Jünger überzeugt. Und deshalb folgten sie ihm.
Sie waren nun seine engsten Vertrauten, die Vertrauten des zukünftigen Königs, des neuen politischen Führers. Und wenn sie Erfolg hatten, dann ruhte auf ihren Schultern auch die politische Zukunft des Landes. Sie waren die neuen Herren Israels!
Allein die Rangfolge unter ihnen selbst galt es dann noch zu klären, wer von ihnen wohl der Größte wäre, das war noch zu fragen. Und darüber redeten sie, die Jünger Jesu - Und sie tun es noch heute.
Denn daran hat sich kaum etwas verändert. Selbst nach 2000 Jahren geht es schließlich auch unter den Christen um kaum etwas anderes: Um Ansehen, um Ämter, Positionen, Einfluss und Macht - kurz: darum, wer der Größte ist.
Schneller, höher, weiter und Steigerung des Umsatzes, das sind die Schlagworte, die das Leben in unserer Gesellschaft bestimmen - und wir halten das auch noch für das Erbe einer christlichen Kultur. Und es wird nicht besser dadurch, wenn man darauf verweist, dass das schließlich alle so machen, und wir im globalen Kampf der Kräfte einfach mittun müssen, um nicht selber unter die Räder zu kommen. Es wird dadurch kein bisschen besser.
Christen müssten nämlich wissen, dass sich dieses Denken - das Streben nach Macht und reiner Übertrumpfung der anderen, nach Ausschalten von Konkurrenten und an die Wand fahren der Schwächeren - dass so etwas mit Christus nicht zu machen ist, letztlich sogar das genaue Gegenteil von christlicher Gesellschaft bedeutet.
Schon der Jakobusbrief macht dies doch auf unnachahmlich einfache und entwaffnende Weise deutlich. "Woher kommen denn die Kriege bei euch," fragt er, "woher die Streitigkeiten? Doch nur von diesem Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Wo Eifersucht und Ehrgeiz, wo Eifer und Selbstsucht herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art."
In dieser ungeschminkten Sprache brandmarkt die Bibel Gesellschaften in der die Ellenbogen regieren und Hauen und Stechen an der Tagesordnung sind - ein Phänomen, unter dem die Glaubwürdigkeit der Christen nicht nur heute leidet, ein Phänomen, das offenbar schon zur Zeit Jesu bei seinen ersten Anhängern recht verbreitet war.
Hätte Jesus seine Jünger nicht schon damals einfach in die Wüste schicken müssen?
Nach menschlichem Ermessen, hätte er doch spätestens an diesem Tag diese nur auf sich und ihren Einfluss schielende Gesellschaft "stante pede" entlassen müssen. Kann man denn noch schwerer enttäuscht werden? Da spricht einer von Leiden und Tod und sie verteilen währenddessen die Posten in seinem Reich.
Es spricht für diesen Jesus von Nazareth und seine schier grenzenlose Geduld, dass er angesichts dieses Treibens nicht aus der Haut fährt, ja, dass er den Spieß geradezu herumdreht und aus diesem unmöglichen Verhalten der Jünger auch noch eine allzeit gültige Lehre formuliert.
Es spricht für ihn, dass er nicht einmal jetzt seinen Jüngern über den Mund fährt und sie in ihre Schranken weist. Er tadelt sie nicht einmal. Letztlich bestärkt er sie sogar noch in ihrem Tun.
Ihr wollt Karriere machen? - fragt er -, dann macht sie! Ihr seid ehrgeizig? Dann strengt euch an.
Aber legt euch so ins Zeug, dass es was bringt. Denn alle Throne der Welt, alles Ansehen der Menschen und alle Ehrungen und Positionen zählen letztlich nichts in den Augen dessen, der am Ende den Maßstab festlegt.
Kümmert euch um die Kleinen, dann seid ihr wirklich groß. Vergesst Ämter, Rangstufen und Abzeichen. Reicht den Menschen eure helfende Hand, und in ihren Augen, in den Augen der Menschen, in den Augen der Kleinsten - in ihren Augen, werdet ihr eure wahre Größe entdecken können.
Amen.
(gehalten am 24. September 2006 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)