Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
23. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Jak 2,1-5)
Meine Brüder, haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei von jedem Ansehen der Person. Wenn in eure Versammlung ein Mann mit goldenen Ringen und prächtiger Kleidung kommt, und zugleich kommt ein Armer in schmutziger Kleidung, und ihr blickt auf den Mann in der prächtigen Kleidung und sagt: Setz dich hier auf den guten Platz!, und zu dem Armen sagt ihr: Du kannst dort stehen!, oder: Setz dich zu meinen Füßen! - macht ihr dann nicht untereinander Unterschiede und fällt Urteile aufgrund verwerflicher Überlegungen? Hört, meine geliebten Brüder: Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? (Jak 2,1-5)
Was wäre, wenn er heute käme? Würden wir es merken? Wenn Jesus von Nazareth etwa höchstpersönlich diesen Gottesdienst besuchen würde, würde er uns auffallen?
Liebe Schwestern und Brüder,
ich meine so, wie uns auffällt, wenn sonst irgend jemand wichtiges kommt: der Oberbürgermeister oder demnächst die Oberbürgermeisterin, einer der Kandidaten für die bevorstehenden Wahlen etwa, irgendwelche Amtsträger aus der Politik, oder Stars und Sternchen aus Medien und Wirtschaft.
Da würden sofort eine ganze Reihe von Menschen Gewehr bei Fuß stehen, um sie herumscharwenzeln und dafür sorgen, dass sie einen Platz bekommen - am Besten ganz vorne.
Würde er uns auffallen, dieser Jesus von Nazareth - vielleicht am Ende sogar unangenehm auffallen?
Vielleicht schon, weil er gar nicht wie einer von uns aussieht! Er ist immerhin im Nahen Osten aufgewachsen. Und er würde deshalb wohl auch viel eher an einen Palästinenser, an einen Araber erinnern, als an einen von uns.
Und was, wenn er unrasiert wäre oder gar stinken würde, weil er sich nicht gewaschen hat, nach mehreren Tagen und mehreren Nächten auf der Straße?
Wenn er heute hereinkäme, dieser Jesus von Nazareth, es könnte möglicherweise zu einer ganz peinlichen Begegnung werden.
Und vielleicht würden wir ihn ja sogar hinauswerfen lassen, weil er so gar nicht zu uns passen würde, sich an keinen unserer Bräuche und an keine unserer Konventionen halten würde; weil er ganz komische Auffassungen vertreten würde, weder mit Deutsch und noch viel weniger mit Latein anfangen könnte, Aramäisch und allerhöchstens noch ein wenig Griechisch verstünde; weil er nur noch den Kopf schütteln würde, über Theologen und Kirchenmänner etwa, die mittlerweile wieder die Auffassung vertreten, dass man sich erst dann wirklich Gott zuwenden würde, wenn man den Menschen den Rücken kehrt.
Was das wohl gäbe, wenn dieser Jesus leibhaftig hier auftreten würde.
Gottlob tut er uns das nicht an. Gott sei Dank bewahrt er uns vor dieser Peinlichkeit - vor der Peinlichkeit, dass endgültig herauskäme, dass wir ihn genauso ablehnen würden, wie es ihm zu seiner Zeit passiert ist, dass wir mit dem, was er wirklich wollte, mindestens genauso wenig anfangen könnten und dass wir ihn vermutlich nicht einmal wirklich erkennen würden.
Wie gut, dass er uns vor dieser Peinlichkeit bewahrt!
Gut? Freuen wir uns nicht zu früh! Ich fürchte, dass er es uns ganz so einfach gar nicht macht.
Es ist zwar richtig: Als Jesus von Nazareth tritt er jetzt leibhaftig, so wie er vor 2000 Jahren gelebt hat, nicht mehr unter uns auf. Das heißt aber nicht, dass er nicht trotzdem kommen würde - ganz real, heute, auch in diesen Gottesdienst! Und nicht nur im Sakrament, nicht nur in der Eucharistie, vor der wir ganz brav die Kniebeuge machen. Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist er zugegen - so hat er es selbst verheißen.
Und demnach ist er auch jetzt hier, jetzt, in diesem Augenblick. Er ist hier, in dem, der hinter ihnen, und in der, die neben ihnen sitzt. Und er will, dass wir ihn in diesen Menschen erkennen, entdecken und ehren - in den bedeutenden wie den einfachen, den Kirchenmännern wie den sogenannten Laien, in den Armen und nicht minder in den Reichen, in den Angesehenen wie den Verachteten.
Der Christus, der heute zu uns kommt, kommt nicht mehr als Jesus von Nazareth, denn seine Botschaft handelt nicht von einer einzelnen Person und sie wird deshalb auch überall missverstanden, wo sie in den Kult um Personen hineinmündet.
Christus ging es nie um sich selbst, es ging ihm um die Menschen. Und er will deshalb auch, dass wir ihn in den Menschen entdecken, dass wir ihn in allen Menschen entdecken. Wie oft haben wir ihn schon übersehen! Und wie oft haben wir ihn heute schon übersehen! Schauen Sie sich nur um - und entdecken Sie ihn dabei.
Amen.
(gehalten am 5./6. September 2009 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)