Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


2. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr B (Mk 9,2-10)

In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose, und sie redeten mit Jesus. Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen. Da kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören. Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemand mehr bei sich außer Jesus. Während sie den Berg hinabstiegen, verbot er ihnen, irgend jemand zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. Dieses Wort beschäftigte sie, und sie fragen einander, was das sei: von den Toten auferstehen. (Mk 9,2-10)

Es war irgendwo in den Alpen, früh am morgen, eigentlich noch fast dunkel, da brach sie auf, jene kleine Gruppe von Wanderern, die sich vorgenommen hatte, den Weg bis zum Gipfel jenes Berges zurückzulegen. Eine Bergtour sollte es werden, nicht zu schwer, auf einem ausgebauten Weg, den unzählige andere zuvor auch bereits gegangen waren, aber doch so, dass es eine Herausforderung war; kein Spaziergang etwa, eine Bergtour eben, und deshalb alles andere als ein Zuckerschlecken.

Anfangs war es noch ganz einfach, aber als dann die Sonne aufgegangen war, der Weg steiler wurde, die ersten Druckstellen im Schuhwerk sich bemerkbar machten, als so der erste Schwung verflogen war, da begannen die Beine dann schon etwas schwerer zu werden, und der ein oder die andere begannen sich auch zu fragen, ob das denn wirklich so eine gute Idee gewesen war, unbedingt auf diesen blöden Gipfel steigen zu wollen.

Nach drei, vier Stunden war der tote Punkt dann erreicht, für die meisten war es nun eigentlich nur noch eine Qual. Sie dachten fast nur noch daran, wann denn bloß endlich die nächste Rast gemacht würde. Dann aber kamen sie an die berühmte Stelle, an jene Stelle, an der Weg das lange Bachtal verließ und nach einer langgezogenen Kurve zum ersten Mal - und das im vollen Sonnenlicht - den Blick auf den vor ihnen liegenden Gipfel freigab. Nur ganz kurze Zeit, auf einem Abschnitt von nicht einmal hundert Metern, war dieser freie Blick auf den Gipfel möglich. Aber allein dies, allein dieser kurze Blick reichte aus, um allen klar zu machen, wofür sich die Mühe lohnte, weshalb es sich wirklich lohnte auch den Rest des Weges, trotz aller Mühe voller Erwartung weiterzugehen. Und zumindest die nächste halbe Stunde wirkte das Bild vom Gipfel im Sonnenlicht in jener kleinen Wandergruppe so weiter, dass kaum noch jemand merkte, dass der Weg selbst immer noch genauso beschwerlich war wie zuvor.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich weiß nicht, ob Sie Bergtouren machen, wenn nicht, vielleicht können Sie es sich trotzdem ganz gut vorstellen. Das Erleben auf einer solchen Bergwanderung - für mich ist das das trefflichste Gleichnis für unser menschliches Leben überhaupt.

Sie sind schön, solche Touren, und kaum jemand denkt im Nachhinein ungern an sie zurück, aber keiner wird bestreiten, dass es alles in allem eine ganz schöne Plackerei ist, ein ganzes Stück Arbeit, bis man endlich den Gipfel erreicht hat, mit manchen schmerzenden Blasen und - nicht selten - mit ganz schön Muskelkater. Schon verständlich, dass man sich da mehr als einmal fragt, warum man diese Schinderei denn auch noch freiwillig auf sich nimmt.

Für mich das trefflichste Gleichnis für unseren Lebensweg überhaupt. Auch unser Leben kennt ja schließlich solche langen und steinigen Täler. Blödsinn, wenn manche Menschen sagen, dass das Leben nur schön sei. Es ist nicht immer nur schön, es ist manchmal sogar ganz schön hart. Es gibt schließlich so manche, - wenn auch zum Glück meist kleine - Sorge, Sorgen aber, die es uns trotzdem oft recht schwer machen, einfach rundum nur glücklich und zufrieden sein zu können.

Und was ist mit denen, auch in unseren Gemeinden, die ganz ernsthafte Probleme haben, etwa so unter Schmerzen leiden, dass sie selber eigentlich nur noch darauf warten, endlich sterben zu dürfen? Und dann ist da ja auch noch unser Shaunessy, den wir mit neuen Jahren vor wenigen Wochen zu Grabe getragen haben. Leben ist nicht immer nur schön, Leben ist manchmal ganz schön hart, so hart eben, wie beispielsweise eine anstrengende Bergtour, eine lange Wanderung, die eben ihre steinigen Anstiege und tiefe geröllhaltigen Täler hat; Wegstrecken, um die man aber einfach nicht herumkommt, wenn man sich dem Ziel nähern möchte, auch wenn es nur zu verständlich ist, dass einem das Vorwärtsgehen gerade in solchen Abschnitten manches Mal verleidet.

Auf einer Bergtour ist es dann mehr als nur hilfreich, wenn einem zwischendrin, so ganz ab und zu zumindest ein kurzer Blick auf den Gipfel geschenkt wird, wenn man das Ziel wieder vor Augen geführt bekommt, wenn man sehen darf, warum sich das Weitergehen eigentlich lohnt. Und im konkreten Leben ist das gar nicht anders.

Gott sei Dank, gibt es auch hier solche Augenblicke. Augenblicke, in denen man das Ziel wieder spüren darf. So wie die Jünger aus dem heutigen Evangelium, auf dem sorgenvollen Weg nach Jerusalem, gleichsam einen Blick auf das vollendete Glück werfen durften. Sie kennen solche Augenblicke, es gibt sie nämlich ganz sicher auch in Ihrem Leben.

Augenblicke, in denen wir das Gefühl haben, das Glück gleichsam in den Händen zu halten. Momente, in denen auch wir, genauso wie der Petrus damals, am liebsten Hütten bauen würden, Stunden, die wir am liebsten festhalten wollten, und von denen wir uns wünschen, dass sie nie vorübergehen würden.

Noch lassen sie sich nicht festhalten, noch sind es meist kurze Momente, wenige Stunden, in denen ein Glück in unserem Leben aufleuchtet, das unser Alltag normalerweise kaum kennt. Aber es sind Augenblicke, die uns, wie der Ausblick auf den Gipfel mitten auf einer beschwerlichen Wanderung, die uns genauso deutlich machen wollen, auf welches Ziel wir zugehen, und warum es sich lohnt weiterzugehen, warum es sich, allen Tälern und Steinen zum Trotz, im Letzten zu leben lohnt.

Ich wünsche Ihnen, gerade in diesen Tagen vor Ostern viele solcher Verklärungserlebnisse, viele von diesen Stunden, in denen ein Stück von dieser Glückseligkeit, auf die hin wir unterwegs sind, in denen ein Stück davon in ihrem Leben aufleuchtet. Solche Stunden helfen nämlich, sie helfen den nächsten Wegabschnitt, auch dann, wenn er ganz besonders steinig sein sollte, sie helfen das nächste Stück Weg voll Zuversicht zu gehen.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 22./23. Februar 1997 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)