Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
11. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Ez 17,22-24)
So spricht Gott, der Herr: Ich selbst nehme ein Stück vom hohen Wipfel der Zeder und pflanze es ein. Einen zarten Zweig aus den obersten Ästen breche ich ab, ich pflanze ihn auf einen hoch aufragenden Berg. Auf die Höhe von Israels Bergland pflanze ich ihn. Dort treibt er dann Zweige, er trägt Früchte und wird zur prächtigen Zeder. Allerlei Vögel wohnen darin; alles, was Flügel hat, wohnt im Schatten ihrer Zweige. Dann werden alle Bäume auf den Feldern erkennen, dass ich der Herr bin. Ich mache den hohen Baum niedrig, den niedrigen mache ich hoch. Ich lasse den grünenden Baum verdorren, den verdorrten erblühen. Ich, der Herr, habe gesprochen, und ich führe es aus. (Ez 17,22-24)
Ich bin voller Hoffnung. Ich habe fünf oder sechs, zwar ganz winzige, aber immerhin richtig grüne Blättchen gezählt. Vielleicht sind es auch nur Ansätze, aber sie sind immerhin grün.
Und das gibt mir ganz neuen Auftrieb, denn alle anderen hätten ihn beinahe schon entsorgt, meinen Ficus, oder das, was noch von ihm übrig ist. Denn mittlerweile hat er kein einziges Blatt mehr. Sie sind alle abgefallen, jedes einzelne. Er ähnelt jetzt mehr einem dürren Gestrüpp, als einer Pflanze.
Doch was sage ich, er hat ja mittlerweile wieder fünf oder sechs wenn auch ganz winzige, und kaum wahrnehmbare grüne Ansätze.
Liebe Schwestern und Brüder,
manchmal lassen Pflanzen ihre Blätter fallen. Manchmal verlieren sie sie auch. Und manchmal gehen sie auch ein. Und wenn wir ein Stück Geschichte mit diesen Pflanzen zusammen haben, dann werden wir zuweilen auch unendlich traurig darüber - so traurig wie man eben werden kann, wenn etwas Liebgewordenes von einem geht. Um meinen Ficus wäre es mir schon arg.
Da werde ich hellhörig, wenn der Prophet Ezechiel davon spricht, dass Gott den grünenden Baum verdorren lässt und den verdorrten erblühen. Will er es, dass mancher Baum tatsächlich eingeht? Den grünenden Baum lässt der Herr verdorren.
Offenbar kommt der Tag, an dem auch für einen Baum seine Zeit abgelaufen ist. So wie alles seine Zeit hat: Bäume, Menschen, ganze Nationen.
So manche große Nation musste schließlich auch schon den Tag erleben, an dem ihre Zeit zu Ende gewesen war. Wer spricht heute noch von Assur oder Babylon? Und wo ist das römische Weltreich geblieben? Reiche kommen und gehen. Und Gott lässt sie erblühen und er lässt sie offenbar auch wieder verdorren.
So, wie alles seine Zeit hat. Gehören da auch Gruppen und Gemeinschaften dazu? In unseren Gemeinden etwa? Manche Gruppe, manche Gemeinschaft, manchen Kreis kennen wir ja noch als blühenden Baum. Zu seiner Zeit war er richtig bedeutend. Mancher von ihnen ist schon wieder verdorrt, von vielen haben wir bereits Abschied genommen. Mancher wirft seine Blätter augenblicklich ab; und wir schauen traurig zu, wie ich auf meinen Ficus und wissen nicht so recht, wie wir helfen können.
Aber mancher dürre Stängel treibt dafür ganz zaghaftes Grün. Da kommen neue Triebe, welche, die vorher noch gar nicht da waren, und die offenbar ganz neu wichtig werden. Denn Gott lässt nicht nur zu, dass Bäume verdorren, er lässt verdorrte erblühen!
Und wie das Ezechiel schildert: Da wird Gott als Gärtner gezeichnet, und als ungemein zärtlicher Gärtner dazu. Vom hohen Wipfel der Zeder nimmt er ein Stück und pflanzt es ein. Einen zarten Zweig aus den obersten Ästen bricht er ab und pflanzt ihn auf einen hoch aufragenden Berg. Und er lässt ihn zur prächtigen Zeder werden, in dem allerlei Vögel wohnen und Schatten finden.
Dieses Bild stellt Ezechiel den Israeliten vor Augen, denen, die nach Babylon verschleppt worden waren und den Untergang des Tempels, ihrer Kultur, eines ganzen Volkes vor Augen hatten. Gott lässt Neues wachsen. Auch wenn mancher Baum seine Blätter verliert, er sorgt dafür, dass sein Baum immer dort grünt, wo es jetzt an der Zeit ist.
Was damals als Verheißung zu Israel gesagt worden war, das gilt nicht minder den Menschen heute, das gilt genauso uns. Ob es mein Ficus wirklich schaffen wird - ich bin mir nicht sicher, ich hoffe es, aber die grünen Zweige in unseren Gemeinden, die neuen Triebe und die neu eingepflanzten Setzlinge, die sind Weiss-Gott-nicht zu übersehen. Gott pflanzt neue Zweige ein, er macht noch niedrige Bäume zu hohen und mächtigen Zedern und er lässt Verdorrtes neu erblühen. Er hat gesprochen und er führt es aus.
Amen.
(gehalten am 18. Juni 2006 in der Paulus- und Antoniuskirche, Bruchsal)