Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr B (Eph 2,4-10)
Brüder! Gott, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht. Aus Gnade seid ihr gerettet. Er hat uns mit Christus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben. Dadurch, dass er in Christus Jesus gütig an uns handelte, wollte er den kommenden Zeiten den überfließenden Reichtum seiner Gnade zeigen. Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt -‚ nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann. Seine Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat. (Eph 2,4-10)
Beim Katholikentag in Karlsruhe war im Studentischen Begegnungszentrum der damalige Bundestagspräsident, Wolfgang Thierse, zu Gast. Diskutiert wurde mit Studenten über die Wiedervereinigung und ihre Folgen - besonders für die Christen in Deutschland.
Es war eine spannende Diskussion und sie deckte vieles auf, vor allem vieles, was sich nachteilig entwickelt hatte - nachteilig insbesondere für die Menschen im Osten Deutschlands. Es wurden an diesem Nachmittag so viele Schattenseiten ans Tageslicht gezerrt, dass einer der Studenten nach einiger Zeit, ganz irritiert meinte: "Heißt das denn jetzt, dass in Ihren Augen fast alles schlechter geworden ist, dass die Wiedervereinigung vielleicht sogar ein Fehler war?"
Wolfgang Thierse schaute den Studenten daraufhin ganz entsetzt an und sagte völlig überrascht: "Gott bewahre, nein! Dass der Fall der Mauer ein Segen für uns alle war, das ist doch selbstverständlich, daran gibt es ja gar keinen Zweifel."
Es war so selbstverständlich, dass man offenbar kein Wort mehr darüber verlieren musste.
Liebe Schwestern und Brüder,
manchmal sollte man mehr Worte verlieren. Manchmal wäre es gut, auch das Selbstverständliche immer wieder ausdrücklich zu betonen. Sonst besteht die Gefahr, dass alles in eine Schieflage gerät. Das, worüber man eigentlich keine Worte mehr verliert, das gerät am Ende nämlich ganz unweigerlich immer mehr in Vergessenheit.
Wie soll man auch noch spüren, dass da jemand begeistert ist von einer neuen Zeit, wenn er nur noch über deren Nachteile spricht? Das Selbstverständliche ist halt ganz schnell nicht mehr selbstverständlich, wenn niemand mehr davon spricht und letztlich dann auch niemand mehr daran denkt. Wenn nur noch anderes im Vordergrund steht, gibt es am Ende oft ein ganz schiefes Bild.
Ein solch schiefes Bild kann auch in diesen Wochen entstehen. Und zwar ein ganz schiefes Bild von uns Menschen und unserem Verhältnis zu Gott.
Es wird in diesen Tagen in den Texten der Liturgie so viel von Schuld und Sünde, so viel von Fasten und Buße und von allen möglichen Werken gesprochen, die der Christ zu vollbringen habe, dass man am Ende meinen könnte, im Christentum gehe es nur um Schuld und darum, was die Menschen alles machen müssten und welche Leistungen zu erbringen seien, um vor Gott einigermaßen ordentlich dazustehen. Die Fastenzeit erweckt manchmal den Eindruck, als ginge es bei uns um religiöse Höchstleistungen. Nur derjenige, der genügend leistet, seine Aufgaben ordentlich macht, und alle Bußwerke zur Zufriedenheit erledigt hat, nur derjenige steht am Ende gerechtfertigt vor Gott.
War da nicht noch etwas anderes? Ging es im Christentum wirklich um Leistung? War da nicht einmal die Rede davon, dass wir gar nichts machen können, dass uns alles geschenkt wird? Fast könnte man es in diesen Tagen vergessen.
Es ist wohl wie die selbstverständliche Freude Wolfgang Thierses über den Fall der Mauer, die man an diesem Nachmittag aber beinahe vergessen hätte, weil über alles andere gesprochen wurde, nur nicht über das, was so selbstverständlich war, dass man darüber ja keine Worte mehr verlieren musste.
Manchmal ist es gut, wenn man Worte verliert - auch und gerade über das Selbstverständliche. Es ist wichtig, damit kein schiefes Bild entsteht, und das Selbstverständliche nicht am Ende zum Vergessenen wird.
Die heutige Lesung ist wie solche Worte. Sie rückt das Bild dieser Zeit wieder gerade und sie ist deshalb auch so ungeheuer wichtig. Erinnern Sie sich?
"Gott, der voll Erbarmen ist, hat uns, (...) zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht." Er macht es und zwar aus reinem Erbamen.
"Aus Gnade seid ihr gerettet. Er hat uns mit Christus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben." schon jetzt ist uns unser Platz im Reich Gottes gesichert.
"Aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft." Die Rettung ist uns geschenkt worden. Wir haben sie nicht verdient und können sie mit all unseren Werken auch nie erleisten.
"Gott hat es geschenkt -‚ nicht aufgrund eurer Werke," - das sagt das Neue Testament, das ist so wichtig, das kann man nicht oft genug wiederholen! - "Gott hat es geschenkt -, nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann."
Und selbst alles, was wir in unserem Leben wirklich vollbringen, hat er uns im voraus mitgegeben. Wir setzen eigentlich nur um, was wir von ihm empfangen haben - oder mit den Worten des Epheserbirefes: "Seine Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat."
Nichts müssen wir leisten, alles Wesentliche ist Gottes Geschenk an uns Menschen. Diese so selbstverständliche Grundwahrheit unseres Glaubens droht gerade in diesen Tagen etwas ins Hintertreffen zu geraten.
Sie ist so selbstverständlich, dass es ganz wichtig ist, sie wieder einmal ganz deutlich auszusprechen. Und es ist gut, dass die Bibel uns heute wieder daran erinnert. Es könnte sonst am Ende ein ganz schiefes Bild entstehen.
Amen.
(gehalten am 25./26. März 2006 in der Peters- und Antoniuskirche, Bruchsal)