Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr B (Joh 3,14-21)
In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus: Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat. Denn mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind. (Joh 3,14-21)
Schauen Sie, gerade in diesen Tagen einmal in das Buch Jona hinein, ein kleines Büchlein in der Bibel, in dem es um den Propheten Jona geht, den Gott nach Ninive schickt.
Ninive ist eine Stadt im heutigen Irak, eine Stadt, in der durch und durch das Böse herrschen soll. Und Jona will, dass Ninive bestraft wird, dass das böse Regime im Zweistromland dem Erdboden gleich gemacht wird. Feuer soll der Herr vom Himmel regnen lassen. Aber der Herr tut es nicht - und Jona ist zornig auf Gott, weil er offenbar so ungerecht ist, dass er die Sünder wieder einmal verschont und am Leben lässt.
Wie antwortet ihm Gott?
"Mir sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können - und außerdem so viel Vieh?"
Liebe Schwestern und Brüder,
selbst um die Tiere ist es ihm leid! So schnell lässt Gott kein Feuer vom Himmel fallen, nicht auf die Ungerechten und schon gar nicht auf die Unschuldigen.
Das mögen Menschen nicht verstehen. Menschen verlangen nach Gerechtigkeit. Gott muss die Menschen doch nach ihren Taten beurteilen. Und er muss denjenigen, der schlechtes tut auch bestrafen. Und wenn er es schon nicht in diesem Leben macht, dann muss die ausgleichende Gerechtigkeit doch wenigstens nach dem Tod erfolgen.
"Das hat was mit dem Hunger nach Gerechtigkeit zu tun!'" hat mir letzthin jemand hier aus unseren Gemeinden geschrieben.
Ich kann alle nur warnen, sich zu sehr von solch einem ausgeprägten Gerechtigkeitshunger leiten zu lassen. Wer nach dieser Gerechtigkeit verlangt und Gott dazu zwingen möchte, Menschen, und damit letztlich auch sich selbst, nach diesen Kriterien zu urteilen - es tut mir leid, ich muss das so drastisch sagen -, der wird sich in der Hölle wiederfinden.
Wie kommen Menschen denn dazu, sich auf ihre eigene Gerechtigkeit so viel einzubilden? Die Schrift bezeugt eindeutig, und ohne dass es etwas daran zu deuteln gäbe, dass keiner - nicht einer - auf dem Weg der Gebotserfüllung, durch das Bauen auf seine eigenen Gerechtigkeit das Heil erlangen wird. Dieser selbstherrliche Weg führt für keinen Menschen letztlich zum Ziel. Paulus sagt es ganz klar: Das Gesetz spricht am Ende jedem den Tod zu.
Alle, die von Gott verlangen, dass er nach Recht und Gesetz zu urteilen habe, mögen sich das endlich einmal vor Augen halten.
Hören wir auf damit, unsere Leistung in den Vordergrund rücken zu wollen. Hören wir damit auf, nach dem beurteilt werden zu wollen, was wir tun und was in uns steckt. Machen wir uns klar, wie blamabel die Bilanz für uns aussehen würde!
Gott sei Dank ist Gottes Gerechtigkeit eine andere, als die unsere. Die Geschichte von Jona und der Stadt Ninive macht dies deutlich. Und das heutige Evangelium sagt es nicht minder unverblümt.
Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Er leidet mit jedem Menschen, er fühlt für jeden einzelnen und er will keinen verlieren. Weder Sie, noch mich, kein Kind, keinen Soldaten auf den Straßen von Bagdad, nicht einmal die Tiere.
Und das einzige, was wir Menschen wirklich tun müssen, das ist, dies Gott auch wirklich abzunehmen, Gott zu glauben, dass er unser Heil möchte, dass er uns das Leben schenkt und es gut mit uns meint. Wer glaubt, wird nicht gerichtet, sagt das heutige Evangelium ganz ausdrücklich.
Gott beurteilt uns nicht zuerst nach dem, was wir tun oder nicht tun. Gott beurteilt uns nach seinem Kriterium. Und dieses Kriterium ist seine Liebe.
Sie erinnern sich an das etwas dümmliche Fasnachtslied: "Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel"? Weil wir so brav sind - sicherlich nicht. Aber weil Gott uns liebt, und weil wir es ihm abnehmen, weil wir uns von ihm an der Hand nehmen und zu sich führen lassen, deshalb könnte es tatsächlich so sein.
Und wenn es nach Gott geht, dann wird es auch so sein.
Amen.
(gehalten am 29./30. März 2003 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)