Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
9. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 2,23-3,6)
An einem Sabbat ging Jesus durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. Da sagten die Pharisäer zu ihm: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat nicht erlaubt. antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten, wie er zur Zeit des Hohepriesters Ábjatar in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? Und Jesus sagte zu ihnen: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. Als er wieder in die Synagoge ging, war dort ein Mann mit einer verdorrten Hand. Und sie gaben Acht, ob Jesus ihn am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn. Da sagte er zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte! Und zu den anderen sagte er: Was ist am Sabbat erlaubt – Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Sie aber schwiegen. Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz, und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und seine Hand wurde wiederhergestellt. Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen. (Mk 2,23-3,6)
Oh Gott, dachte ich, als ich den Vorraum jener Kirche betrat, oh Gott, da liegt jemand.
Liebe Schwestern und Brüder,
das war täuschend echt. In der Badia, der alten Abteikirche in der Innenstadt von Florenz, steht im Vorraum der Kirche eine Bank. Und auf dieser Bank liegt ein Mensch, eingehüllt in eine dicke Decke, die eine Ecke weit über den Kopf gezogen, bis tief ins Gesicht hinein.
Sie war täuschend echt, diese lebensgroße Skulptur aus dunklem Kupfer. Und es sah wirklich so aus, als hätte ein Obdachloser hier, vor der Kirche, sein Lager aufgeschlagen. Natürlich vor der Kirche, denn in ihr hatte er ja keinen Platz.
Oh Gott, dachte ich, als ich entdeckte, dass die Füße der Figur die Wundmale Christi trugen.
Was für eine niederschmetternde Aussage: Christus als obdachloser Bettler, ohne einen Platz, um wirklich menschenwürdig zu nächtigen, nur eine Bank nicht in, sondern vor der Kirche ...
Ganz klein stand unten auf dieser Skulptur der Hinweis auf Matthäus 25: "Ich war hungrig und ihr habt mir nichts zu essen gegeben. Ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben. Ich war fremd und ihr habt mich nicht aufgenommen."
Ich bin froh, dass mir dieser Tage diese Skulptur vor Augen stand. Sie hat mich nämlich daran gehindert, aus Anlass der heutigen Lesung über den Sinn und die Bedeutung des Sonntages zu sprechen. Sie hat mich davor bewahrt, anlässlich des Evangeliums darüber zu reden, welche Schwierigkeiten dieser Jesus von Nazareth mit den Religionsvertretern seiner Zeit bekam, weil er sich über das Sabbatgebot hinweggesetzt hatte. Ich kam nicht mehr in die Versuchung über die Rolle des Menschensohnes zu sinnieren, der selbst Herr über den Sabbat ist.
Letztlich konnte ich nur bei jenem Menschen bleiben, den dieser Jesus von Nazareth heute selbst in den Mittelpunkt stellt: Einen Menschen, der Hilfe braucht und dem nun einzig und allein sein ganzes Interesse galt.
Wer diesen Jesus von Nazareth wirklich ernst nimmt, der kann nicht umhin, klar und deutlich zu erkennen, dass es nichts Wichtigeres gibt, als wirklich den Menschen zu dienen und allem voran demjenigen, der jetzt gerade meine Hilfe braucht. Nichts gibt es Wichtigeres, als wahrhaft menschlich zu sein.
Denn genau das ist das Vermächtnis dieses Jesus von Nazareth: Alles, was wir einem seiner geringsten Brüder und Schwestern tun und antun, das tun wir ihm an.
Kein Lobpreis, keine Anbetung, keine noch so große Bußleistung - am Ende zählt nur das eine: Ich war in Not und ihr habt mir geholfen.
In diesen Monaten stellen unsere Gemeinden die Weichen für die Zukunft. Es werden Vereinbarungen getroffen. Es werden Schwerpunkte festgesetzt. Man müht sich wieder einmal, sich auf das Kerngeschäft von Kirche zu besinnen.
Ich fürchte, dass für viele der Verantwortlichen sich dieses Kerngeschäft in den Gottesdiensten manifestiert, in der Erstkommunion- und der Firmvorbereitung, der Verteilung der Gottesdienstzeiten und nicht zuletzt in der Erhaltung der Kirchen.
Nicht nur das heutige Evangelium sollte uns aber vor Augen führen, was eigentlich zentrale Aufgabe unserer Kirche ist. Es geht um nichts anderes, als den Menschen zu dienen - jenen Menschen, die dieser Jesus von Nazareth, dem wir doch letztlich folgen möchten, allein in den Mittelpunkt gestellt hat. Ich fürchte, dass genau das aber auch weiterhin vergessen werden wird.
Auch Kirche steht immer wieder in der Gefahr, völlig zu übersehen, dass wir Gott am ehesten dienen, indem wir diesem Gott in den Menschen dienen, in den Menschen, in denen er uns am unmittelbarsten begegnet. Wenn die Kirche aber nicht dient, dient sie zu nichts.
Gespannt bin ich darauf, wie die Weichen in den nächsten Monaten für unsere Gemeinden gestellt werden. Ich träume davon, dass diese Vereinbarungen so geartet sein werden, dass man da nur beeindruckt davor stehen kann und voller Zustimmung sagen muss: Amen - So sei es.
Warum fürchte ich nur, dass ich dann ein weiteres Mal denken werde: Oh Gott...
(gehalten am 2. Juni 2024 in der Kirche St. Maria, Bruchsal-Heidelsheim)