Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
16. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 6,30-34)
In jener Zeit versammelten sich die Apostel, die Jesus ausgesandt hatte, wieder bei ihm und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange. (Mk 6,30-34)
Man stelle sich vor: da steht man an der Bushaltestelle und wartet. Und dann kommt der Bus - und fährt einfach durch.
Liebe Schwestern und Brüder,
das spart Zeit - für den Bus. Wenn er nicht hält, dann ist er viel schneller. So verliert er keine Zeit mit Ein- und Aussteigen der Fahrgäste und kann seinen Fahrplan viel besser einhalten. Und am schnellsten ist so ein Bus, wenn er überhaupt nicht anhält, wenn er einfach seine Runden nonstop, ohne zu halten, immer wieder aufs Neue dreht. So wäre der Bus geschwindigkeitstechnisch am effektivsten.
Besonders praktisch wäre es allerdings nicht. Und irgendwie ginge das ja auch am Sinn des Öffentlichen Personennahverkehres vollkommen vorbei. Ein Bus muss anhalten. Und manchmal muss er sogar länger halten: damit ein Anschluss erreicht werden kann, damit ein Kinderwagen oder ein Rollstuhlfahrer bequem und sicher einsteigen können.
Natürlich ist die Fahrzeit nicht unerheblich, aber ohne die entsprechenden Haltepunkte verfehlt ein Bus seine Bestimmung und er verfehlt damit sogar sein eigentliches Ziel.
Wir sind zwar keine Omnibusse, aber in einem Punkt sind wir ihnen durchaus ähnlich: Es wäre höchst effektiv, wenn wir durchgängig auf Hochtouren laufen würden, wenn wir unserer Tätigkeit nachkämen, ohne anzuhalten und ohne Unterbrechung. Aber es würde nicht nur nicht funktionieren, weil wir so über kurz oder lang ohne Frage zusammenbrechen würden, es wäre unserem Leben auch absolut nicht entsprechend.
Ich glaube dass Haltepunkte, Ruhezeiten, Verweilen und Zurrruhekommen nicht nur notwendig sondern auch konstitutiv für unser Leben sind. Es braucht solche Zeiten und es braucht sie, um wirklich Mensch sein zu können.
Unser Tun und Arbeiten gehört zu unserem Menschseins dazu, aber genauso gehören Zeiten der Ruhe und der Muße dazu. Und wir gehen, denke ich, an der Bestimmung unseres Lebens vorbei, wenn wir das ignorieren.
Nicht umsonst wusste sich Israel von Gott auf einen Ruhetag verpflichtet. Und das nicht aus praktischen Erwägungen, weil Durchschnaufen halt notwendig ist. Dieser Ruhetag war grundgelegt in der Schöpfungswirklichkeit, er gehörte von Anfang an zum Menschsein dazu und er gehört so sehr dazu, dass er nicht an die Grenzen von Religion und Glaube gebunden war.
Der Sabbat galt in Israel nicht nur für die Angehörigen des Volkes, er galt genauso für die Dienerschaft, die Sklaven und sogar für die Fremden im Land - Und das aus gutem Grund: Wer nämlich nicht anerkennt, dass Ruhe und Besinnung genauso zum Leben gehören, wie Arbeiten und Tun, wer solche Auszeiten für sich selbst nicht mehr genießen kann, der wird auf die Dauer selbst ungenießbar.
Und manchmal wird er so sogar zur Gefahr - nicht nur für sich sondern auch für andere. Bei Kraftfahrern ist das so selbstverständlich, dass Ruhezeiten zwingend vorgeschrieben sind. So, wie der Ruhetag in Israel vorgeschrieben, immer Bestandteil der göttlichen Wegweisung, Teil der Thorah, des verbindlichen Gesetzes, gewesen ist.
Manchmal erwecken Menschen ja den Anschein, als sei es schon fast eine Schande einfach einmal nichts zu tun. Manchmal erwecken Menschen den Anschein, als würden sie immer und überall im Dienst sein, vor allem im Dienst an den anderen, weil das ja so wichtig ist, weil es ohne ja gar nicht geht und weil sie sich ja ganz für andere aufopfern würden.
Jesus würde da wohl zwingend eine Ruhepause vorschreiben, damit man sich nicht - und das im wahrsten Sinne des Wortes - verrennt, dem Leben gar davonläuft, sondern dieses Leben wirklich lebt.
Selbst für Jesus gehörte zur Ruhe Kommen und Auftanken ganz einfach zum Leben dazu. Es ist für ihn selbstverständlich. "Kommt mit ... und ruht ein wenig aus", sagt er den Jüngern, die nach getaner Arbeit heimkehren.
Wenn Sie jetzt am Wochenende also zur Ruhe kommen, wenn Sie dieser Tage Oasen der Ruhe suchen oder eine Auszeit im Urlaub nehmen, Sie brauchen sich dafür nicht zu entschuldigen. Denn zu diesem Leben gehören die Haltepunkte, die Ruhephasen, konstitutiv dazu.
Würde man sie auslassen, man würde am Leben genauso vorbeigehen, wie ein Bus, der seine Bestimmung völlig verfehlt, wenn er einfach alle Haltestellen überfährt. Müßiggang mag - für sich allein genommen - vielleicht aller Laster Anfang sein. Aber Dauerbetrieb auf Hochtouren, das ist nicht minder ein Anfang: manchmal sogar der Anfang vom Ende, zumindest vom Ende eines sinnerfüllten Lebens.
Amen.
(gehalten am 21. Juli 2012 in den Kirchen der Pfarrei St. Peter, Bruchsal)