Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
9. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Dtn 5,12-15)
So spricht der Herr: Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat. Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du. Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm dort herausgeführt. Darum hat es dir der Herr dein Gott, zur Pflicht gemacht, den Sabbat zu halten. (Dtn 5,12-15)
Liebe Schwestern und Brüder,
das war so etwas, wie eine Revolution. Das hatte es zuvor in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben.
Freizeit für alle, für den Herrn und die Herrin, für Sohn und Tochter, für Sklave und Sklavin, ja selbst für den Fremden, der sich im Ort aufhielt. Das war ein absolutes Novum: Ein Tag, an dem jeder, ohne Unterschied, ruhen konnte, ausruhen und Kraft schöpfen.
Für Israel war das, das allerdeutlichste Zeichen dafür, dass das Volk aus der Knechtschaft befreit worden war. Als man in Ägypten weilte, als Israel noch in der Knechtschaft lebte, da konnte man von so etwas nur träumen! Von wegen Ruhetag. Die Ägypter hätten dem Sklavenvolk etwas gehustet, wenn es auch nur auf den Gedanken gekommen wäre, so etwas wie einen Ruhetag zu beanspruchen.
Deshalb war der Sabbat, für Israel auch zuallererst ein Zeichen der Befreiung, ein Zeichen der Freiheit, ein Zeichen dafür, dass Israel zu einem freien Volk geworden war, Gott hatte sein Volk befreit, er hatte ihm die Möglichkeit geschenkt, zu ruhen, etwas, was in der Antike ansonsten nur den Göttern und den Herren vorbehalten war.
Heute können sich das viele zugegebenermaßen nur noch schwer vorstellen. Was für eine ungeheure Bedeutung dieser Tag für die Menschen damals gehabt haben musste, das ist für viele mittlerweile nur noch schwer zu verstehen. Freie Zeit, das ist für uns schließlich schon beinahe etwas selbstverständliches geworden. Da denkt man nicht mehr d'rüber nach. Wer neben dem Sonntag, regelmäßig auch den Samstag und aufgrund von Arbeitszeitverkürzung oftmals auch den Freitag-Nachmittag als Freizeit zur Verfügung hat, von der Vielzahl der Ferientage ganz zu schweigen, dem ist oft nur sehr schwer begreiflich zu machen, was das für ein ungeheurer Schritt gewesen sein muss, einen regelmäßigen Ruhetag zu etablieren und zwar unterschiedslos für alle im Land.
Wir verfügen schließlich mittlerweile bereits über ein solches Maß an Freizeit, dass viele schon genau das gegenteilige Problem haben, dass viele schon gar nicht mehr wissen, was sie mit dieser Zeit eigentlich anfangen sollen. Wir brauchen ja schon eine richtiggehende Industrie, die nichts anderes tut, als sich zu überlegen, was Menschen in dieser Freizeit denn noch alles tun könnten. Hätte man so etwas den Israeliten damals erzählt, die hätten das nicht begriffen. Unvorstellbar wäre das für sie gewesen.
Aber noch viel unvorstellbarer wäre es wohl für sie, wenn man ihnen davon berichten würde dass die Menschen heute bei all dieser Freizeit dann nicht weit glücklicher und vor allem viel zufriedener sind als damals. Wenn man den alten Israeliten davon erzählen würde, was das heute oftmals für ein Stress ist, wenn es auf irgendwelche Feiertage zugeht; dass man manchmal schon gar wieder froh ist, wenn der Feiertag dann wieder vorbei sind; wenn man ihnen erzählen würde, wie geschafft so manche Familie am Urlaubsort ankommt, nach den Strapazen des Einpackens und den kilometerlangen Staus auf den Autobahnen; wenn man davon berichten würde, dass man am Sonntag Abend zum Teil weit geschaffter ist, als nach einer ganzen Arbeitswoche, weil man ja im Winter-Kurzurlaub, 'zig Kilometer und 'zig Abfahrten hinter sich zu bringen hatte, wenn man so etwas den Israeliten damals erzählt hätte, ich denke, sie würden nur kopfschüttelnd dastehen. Das alles wäre absolut nicht zu vermitteln.
Und irgendwo ist es doch auch wirklich verrückt. Auf der einen Seite wollen wir alle mehr Freizeit haben, auf der anderen Seite aber, dann, wenn wir sie endlich haben, dann wissen die einen schon nichts mehr mit ihr anzufangen, und die anderen, die machen sich so einen Stress daraus, dass es beinahe erholsamer gewesen wäre, wenn sie in dieser Zeit gearbeitet hätten. Irgendwie ist es doch schon verrückt, dass wir mit dieser ungeheuren Errungenschaft, die uns in Israel zum ersten Mal begegnet, dass wir mit diesem gewaltigen Gut der regelmäßigen Freizeit anscheinend einfach nicht mehr recht umzugehen wissen.
Damit freie Zeit mir gut tut, dazu braucht es anscheinend mehr, als allein den Umstand, dass ich sie halt habe. Damit Freizeit mir gut tut, dazu muss ich anscheinend erst wissen, wie ich sie füllen kann - und vor allem, wie ich sie sinnvoll füllen kann! Und offensichtlich können die wenigsten das von allein, offensichtlich muss man auch das halt erst lernen, ganz offensichtlich braucht man auch dazu eine Anleitung.
Und ich denke, wir haben solch eine Anleitung gerade eben in der Lesung gehört. Genau davon spricht dieser Text aus dem Buch Deuteronomium nämlich. Er sagt schließlich: Hier ist ein Tag in der Woche, und dieser Tag wird dir geschenkt. Ein Tag, der dir geschenkt wird, damit er Dir gut tut. Halte ihn heilig. Halte diesen Tag heilig!
Das ist die Anleitung, die uns die Schrift gibt: Behandle diesen Tag als heiligen Tag. Und das heißt ganz konkret, wenn wir dem dahinterstehenden hebräischen Wort auf den Grund gehen: trenne ihn heraus. trenne ihn aus dem Alltäglichem heraus, sondere diesen Tag aus, und mache ihn damit zu etwas besonderem. Heilige diesen Tag, mach' ihn schlicht und ergreifend zu einem besonderen Tag, zu einem Tag, der sich auszeichnet unter allen anderen Tagen, der sich von ihnen unterscheidet, an dem du eben genau das nicht tust, was du sonst auch immer tust. Halte ihn heilig.
Zu einem heiligen, zu einem besonderen Tag wird ein Tag aber nicht von alleine. Ein besonderer Tag, der braucht auch einen besonderen Akzent. Israel hat dies gewusst. Und es hat diesen Tag deshalb auch ganz eng mit dem Besonderen schlechthin, mit dem Heiligen selbst, mit Gott nämlich, verbunden. Der Sabbat wurde der Tag, an dem man sich ganz besonders auf seinen Gott besonnen hat, an dem man sich von Neuem vor Augen geführt hat, dass Gott es war, der seinem Volk die Freiheit geschenkt hat, dass er es war, der seinem Volk die Möglichkeit gegeben hat, die Woche hindurch nicht als Sklaven auf fremden Feldern, sondern als freie Menschen, für sich selbst und die eigene Gemeinschaft zu sorgen.
Und der Sabbat wurde dadurch zu einem Tag, der die Menschen wirklich zur Ruhe kommen ließ, der ihnen auf der einen Seite neue Kraft und auf der anderen Seite erneuerte Orientierung gab, ein Tag, der deshalb ausstrahlen konnte, in die ganze Woche hinein.
Vielleicht müssen wir das wieder ganz neu von Israel lernen. Vielleicht müssen wir uns das wieder ganz neu bewusst machen. Wenn unser Tag, der erste Tag der Woche, der Sonntag, wenn der Tag, an dem Jesus Christus auferstanden ist, wieder zu einem besonderen Tag werden soll, einem heiligen Tag, einem Tag, der uns wirklich gut tut, dann braucht dieser Tag einen Akzent, dann braucht dieser Tag einen Ort an dem wir dem Besonderen, dem Heiligen an dem wir Gott ganz bewusst einen Raum geben; dann braucht dieser Tag den Gottesdienst.
Nicht deswegen weil uns dort soviel geboten würde, oder weil dort eine glänzend inszenierte Show abginge, und auch nicht deswegen, weil ich dort soviel Neues und Interessantes erfahren würde. Es braucht den gemeinsamen Gottesdienst, weil wir damit dem Besonderen dem Heiligen, Gott selbst in unserem Leben einen Raum geben, weil wir damit zum Ausdruck bringen können, dass wir mit ihm verbunden bleiben möchten, dass wir ihm an diesem Tag eine ganz zentrale Rolle in unserem Leben einräumen möchten, und dass wir möchten, dass dieser Tag durch ihn für uns zu einen besonderen Tag wird, einem heiligen Tag, einem Tag der uns Ruhe schenken kann, der uns zur Ruhe und zu uns selbst kommen lassen kann.
Ich weiß es ja nicht, vielleicht erreichen das einige ja auch im Wald. Mag ja durchaus sein. Ich wage aber zu behaupten, dass es nirgendwo so gut gelingt, wie in Gemeinschaft. Ich wage zu behaupten, dass es keine bessere Möglichkeit gibt, den Sonntag zu einem Tag werden zu lassen, der mir gut tut, der mir in rechter Weise Orientierung verleiht und der deshalb auch in die nächste Woche ausstrahlt, ich behaupte ganz einfach, dass es keine bessere Möglichkeit gibt, als die gemeinsame Feier des gemeinsamen Glaubens an den gemeinsam Gott.
Sie brauchen mir das nicht zu glauben, ich zwinge Sie nicht dazu. Ich kann es nur empfehlen. Was Sie tun, das müssen Sie schon selber wissen; denn schließlich ist es ja Ihr Leben.
Amen.
(gehalten am Sonntag, 12. Juni 1994 in der Schlosskirche Mannheim)