Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
28. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Hebr 4,12-13)
Lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens; vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden. (Hebr 4,12-13)
Wenn ich mir die heutige Lesung vor Augen halte, dann verstehe ich, warum es Kinderbibeln gibt: "Lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert."
Liebe Schwestern und Brüder,
klar, dass man für Kinder dann eigene Bibel-Ausgaben erstellen muss, denn wie ein scharfes Schwert, so ist das Wort Gottes. Messer, Gabel, Scher und Licht aber, sind für kleine Kinder nicht.
Wenn man Kinder mit der Schrift in Verbindung bringen möchte, dann muss man die Bibel offenbar entsprechend aufbereiten, manche Geschichten entschärfen, ein wenig umformulieren und vereinfachen, so dass sie von Kindern auch verstanden werden können. Wenn man Kindern die Bibel einfach in die Hand geben würde, sie würden sie nach wenigen Seiten ganz schnell wieder weg legen. Entweder sie würden sie nicht verstehen, langweilig finden oder aber sie wären schockiert und entsetzt, verstört und entgeistert über so manche Darstellung und manchen Bericht.
Das geht Erwachsenen manchmal ja nicht anders. Im Mittelalter gab es deshalb sogar eine Vorschrift für Mönche, dass bestimmte Abschnitte der Schrift nicht am Abend vor dem Schlafengehen gelesen werden sollten: Man könnte sonst ja auf dumme Gedanken kommen oder gar mit eigenartigen Träumen geplagt werden.
Der Umgang mit der Schrift scheint also nicht ganz ohne zu sein - so wie der Umgang mit scharfem Besteck, das man Kindern am Besten gar nicht erst in die Hand gibt. Die müssen das Essen mit Messer und Gabel erst langsam lernen, damit sie sich nicht weh tun.
Ich denke, dass Sie alle es mittlerweile beherrschen. Niemand von Ihnen wird mehr mit dem Schieberlein sein Essen auf eine stumpfe Gabel schieben. Und sie wissen um die Gefahren die von einem Steakmesser ausgehen, und dass man damit entsprechend behutsam hantieren muss. Das gehört bei uns zu einer reifen Persönlichkeit dazu.
Hoffentlich sind wir alle im Umgang mit der Schrift auch zu solch reifen Persönlichkeiten geworden. Aus dem Alter, in dem wir uns mit Kinderbibeln abgeben sollten, sind die meisten von uns schließlich längst heraus. Hoffentlich haben wir alle, den Umgang mit der Schrift inzwischen auch wirklich gelernt. Denn kraftvoll ist Gottes Wort, lebendig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert. Seine ganze Kraft entfaltet es erst, wenn man sich mit dem Original und nicht mit den biblischen Erzählungen der Kinderzeit beschäftigt. Seine ganze Schärfe zeigt es, wenn man sich den Worten stellt und den Herausforderungen, die Gottes Wegweisung an uns und unsere Gesellschaft bedeuten. Und wenn man den Umgang damit nicht eingeübt hat, dann kann man ganz schnell am Sinn des Gotteswortes vorbeigehn, es nicht verstehn oder gar nicht erst zur Kenntnis nehmen; dann kann munter drauf los springen, sich toll als Christ fühlen, aber sich dabei am Ende von Christus und seinem Wort immer mehr entfernen.
Wie oft ist das schon passiert! Wie oft schon in der Geschichte unserer Kirche hat selbst deren Leitung die Weichen völlig falsch gestellt, und wie schwierig und wie langwierig war es dann für einen Johannes XXIII. etwa und das Zweite Vatikanische Konzil, die biblischen Wurzeln unseres Glaubens wieder neu freizuschaufeln und ihnen zur Geltung zu verhelfen. Wie langwierig ist es dies in den Köpfen der Menschen, auch wirklich zu verankern, Magie und Aberglauben zu wehren, sich am Gotteswort und nicht am Menschenwillen zu orientieren. Es ist so mühsam, dass man manches Mal den Eindruck gewinnen kann, gar auf verlorenem Posten zu stehen.
Aber Gottes Wort will ernst genommen werden. Es fordert uns heraus. Und es stellt all unsere Religiosität auf den Prüfstand. Nicht alles, was wir für fromm halten, lässt sich von Gott her auch wirklich rechtfertigen. Nicht alles, was wir für richtig halten, ist auch im Sinne dieses wegweisenden Wortes. Und manches, was bei uns schon lange Gewohnheit ist, steht ihm sogar diametral entgegen.
Gottes Wort aber will Beachtung finden. Und es lässt sich nicht in die Ecke legen. Wo man sich ihm entgegenstellt, dort ist es, wie ein zweischneidiges Schwert. Und es liegt in der Natur der Sache von solch scharfen Gegenständen, dass man sich ganz gewaltig daran verletzen kann, wenn man sie nicht richtig handhabt.
Gottes Wort ist aber nicht nur scharf - es ist vor allem lebendig. Und es verstehen zu lernen, den Umgang mit ihm einzuüben, sich um dieses Wort zu mühen, ist aller Mühe Wert. Für Gottes Wort und seinen Willen einzutreten, ist aller Mühe wert, denn genau dieses lebendige und kraftvolle Wort und nur dieses Wort - allein dieses Wort führt zum Leben.
Amen.
(gehalten am 11. Oktober 2009 in der Pauluskirche, Bruchsal)