Predigten aus der Praxis
Ansprachen für Sonn- und Festtage
4. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 1,21-28)
In Kafarnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. In ihrer Synagoge saß ein Mann, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen. um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Da befahl ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei Da erschraken alle, und einer fragte den andern: Was hat das zu bedeuten? Hier wird mit Vollmacht eine ganz neue Lehre verkündet. Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa. (Mk 1,21-28)
Es war einmal...
Es war einmal ein junger Mann, der unternahm vor langer, langer Zeit eine Reise in den fernen Osten. Dort traf er eine junge Frau, in die er sich Hals über Kopf verliebte. Wie verzaubert kehrte er in seine Heimat zurück. Und er wusste ganz instinktiv, dass er sein ganzes Leben, ja seine ganze Zukunft fortan seiner Angebeteten zu Füßen legen wollte.
Es vergingen lange, qualvolle Wochen des Wartens, da kam aus dem fernen China der erste Brief der Geliebten an. Natürlich konnte unser Mann kein Wort dieser geheimnisvollen Zeichen entziffern, aber allein der Brief sagte ihm ganz deutlich, dass er unvergessen war und dass sie an ihn dachte.
Von einem Dolmetscher ließ er sich jedes Wort übersetzen und er erfuhr dabei, was er im Grunde bereits wusste: dass sie ihn nämlich genauso liebte wie er sie.
Unverzüglich machte er sich daran, ein Antwortschreiben zu verfassen. Aber es bedrückte ihn, dass er nur mittels eines Dolmetschers mit seiner Geliebten in Kontakt treten konnte. Deshalb beschloss er, Chinesisch zu lernen, um wirklich selber einen eigenhändigen Brief an seine Geliebte schicken zu können.
Er lernte jede freie Minute. Jedes Wort und jedes Zeichen dieser fremden Sprache sog er ungeduldig in sich auf, denn es erinnerte ihn ja an die junge Frau.
Als nach vielen Wochen der zweite Brief der Geliebten ankam, konnte er ihn schon beinahe selbst lesen. Es drängte ihn richtiggehend danach, jetzt die Antwort auch selber zu schreiben. Aber er fühlte sich noch nicht weit genug. Deshalb wartete er Woche um Woche mit seiner Antwort und lernte was er nur konnte.
Aber er je mehr er lernte, desto mehr hatte er das Gefühl, noch viel mehr lernen zu müssen. Er meinte, dass er die Sprache noch viel schlecht zu beherrschen würde, um wirklich das ausdrücken zu können, was er fühlte. Und so vergingen Monate und es vergingen Jahre.
Bald waren schon über sechs Jahre ins Land gezogen. Mittlerweile war der Mann ein Meister der chinesischen Sprachen geworden. Er war bewandert in der Kunst der asiatischen Lyrik und er kannte die Geschichte des fernöstlichen Denkens bis in alle Details. Er war inzwischen ausgestattet mit hervorragenden Zeugnissen, und besten Noten und er hatte großartige Aussichten auf den Erwerb eines akademischen Titels. Ja, es war sogar höchst wahrscheinlich, dass er demnächst einen Lehrstuhl in Chinakunde angeboten bekäme.
Nur seine Geliebte, die junge Frau von einst, an die dachte er immer weniger, ja eigentlich hatte er sie mittlerweile so gut wie vergessen. Und den Brief, den er immer schreiben wollte: er hatte ihn nie geschrieben.
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist eine Geschichte; die Geschichte eines Mannes, der zum Gelehrten wird, zu einem im wahrsten Sinne des Wortes Schriftgelehrten. Sicher, es ist nur eine Geschichte, aber eine Geschichte, die mir geholfen hat, ein wenig zu verstehen, warum Schriftgelehrte im Evangelium meist so schlecht wegkommen.
An sich sind Schriftgelehrte ja nichts schlechtes. Ganz im Gegenteil. Wir würden heute "Theologen" zu ihnen sagen. Und Theologen, Schriftgelehrte, das sind Menschen, die sich mit der Schrift, der Bibel, und dem Glauben beschäftigen.
An sich ist das ja höchst ehrenwert! Aber es birgt anscheinend eine ganz große Gefahr in sich.
Bei jedem guten Theologen steht ganz am Anfang eine ganz persönliche Ergriffenheit, eine Begeisterung für diesen Gott. Wer sich nun aber daran macht, diesen Gott und den Glauben mit dem Verstand zu erforschen, wer sich der Möglichkeiten der Wissenschaft bedient, um Gott dann ins Wort zu bringen und umschreiben zu können, der muss ganz arg aufpassen, dass aus seiner ersten Liebe, nicht immer mehr eine reine, aber kalte und nackte Lehre zu werden beginnt. Denn eine solche reine Lehre, die droht dann recht rasch von einer Lehre, die man mit "h" schreibt, zu einer Leere zu werden, die wir gemeinhin mit zwei "e" zu schreiben pflegen.
Nicht umsonst sagt man ja, dass wer Theologie zu studieren beginnt arg aufpassen muss, dass er nicht den Glauben dabei verliert.
Glaube ist nämlich alles andere als Wissenschaft. Glaube hat mit dem zu tun, was dieser Mann aus jener Geschichte durch all sein Studieren verloren hat, mit Liebe nämlich. Glauben heißt in lebendigem Kontakt stehen, in lebendigem Kontakt zu diesem liebenden Gott.
Schriftgelehrte, wie das Evangelium sie anprangert, das wären dann Menschen, die diesen lebendigen Glauben verloren haben, denen die Liebe über all ihr Studieren, Hinterfragen und vermeintliches Wissen am Ende abhanden gekommen ist.
Wie anders musste da Jesus auf die Menschen wirken.
Seine Verkündigung hatte wenig mit Wissenschaft zu tun, seine Botschaft entsprach nicht den Regeln der schriftgelehrten Kunst, aber es war eine Verkündigung, hinter der zu spüren war, dass hier einer aus dem Herzen spricht, einer, der von diesem Gott, von seinem Vater; durch und durch angerührt war, und der aus diesem persönlichen Bezug heraus von seinem Gott sprach.
Er sprach nicht wie einer von diesen Schriftgelehrten, die einmal Liebende waren aus denen aber nur noch Lernende geworden sind, nicht wie einer, der aus Liebe lernte und dabei die Liebe verlernte.
Die Menschen spürten, dass Jesus anders sprach. Sie spürten, da spricht jemand, der liebt. Und so jemand - offensichtlich spricht was den Glauben angeht, nur so jemand, wie einer der wirklich Vollmacht hat.
Amen.
(gehalten am 30. Januar 2000 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)