Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Umgang mit Tradition in der Apokalypse des Johannes und Erlebnisechtheit ⋅1⋅

1. Der Umgang mit den apokalyptischen Tradtionen

Neben all diesen Kennzeichen, die die neutestamentliche Apokalypse von den jüdischen Vorgängern unterscheiden, gibt es - wie bereits erwähnt - natürlich eine große Gemeinsamkeit. Der Verfasser greift schließlich die Traditionen der jüdischen Apokalyptik prinzipiell auf. Wie aber geht er nun mit diesen Traditionen um? Darauf möchte ich an dieser Stelle noch einmal gesondert eingehen.

a. Christliche Überarbeitungen von Traditionen

Wenn der Verfasser der neutestamentlichen Apokalypse alte apokalyptische Traditionen aufgreift, dann muss man dabei natürlich berücksichtigen, dass er sie nicht einfach übernimmt. Er bearbeitet die ihm vorliegenden Elemente natürlich im Sinne des Christentums. Er vermischt sie beispielsweise.

b. Der Gehalt der Bilder

Hier sei am Rande darauf hingewiesen, dass in der Forschung zur Zeit darüber diskutiert wird, in welcher Form der Verfasser diese Traditionen aufgreift. Warum etwa verwendet er das ein oder das andere Bild? War ihm tatsächlich der ursprüngliche Gehalt der alttestamentlichen Bilder noch bewusst? Diese Frage wird heute ganz unterschiedlich beantwortet.

So wird etwa gefragt, ob der Verfasser noch wusste, dass das Bild der Sonnenfrau mit dem Kranz der Sterne aus Offb 12 ursprünglich etwas mit der Astrologie zu tun hatte. Möglicherweise hatten sich die Bilder schon so verfestigt, dass der ursprüngliche Sinn gar nicht mehr bekannt gewesen ist. Vielleicht hat der Verfasser gar nicht gewusst, woher das ein oder andere Bild ursprünglich einmal gekommen ist.

Solch etwas müsste bei der Auslegung dann aber berücksichtigt werden. Wenn man heute den anfänglichen Aussagegehalt eines Bildes eruieren kann, muss das nämlich noch lange nicht heißen, dass auch der Verfasser der Apokalypse diese Aussage bei der Verwendung des Bildes mitgedacht hat.

c. Freier Umgang mit der Tradition

Bei vielen Bildern lässt sich darüber hinaus nicht einmal auf den Ursprung der Tradition zurückgreifen. Der Verfasser der Apokalypse geht teilweise recht frei mit seinen Traditionen um. Dies erschwert den Rückgriff auf die jeweiligen Ursprünge.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass kaum Zitate zu finden sind. Zwar wird auf Formulierungen des Alten Testaments über 580 mal angespielt, so etwa auf Ezechiel, Deutero-Jesaja, Sacharja und Daniel, direkte alttestamentliche Zitate fehlen aber beinahe völlig.

d. Die Eigenart der Bilder

Wenn die neutestamentliche Apokalypse alttestamentliche Sprache und Bilder aufnimmt, dann tut sie es meist auch sehr eigenartig. So werden die Bilder, die im alttestamentlichen Zusammenhang sehr wohl verständlich sind, durch ihre Einordnung in den Zusammenhang der Johannes-Apokalypse meist beinahe unverständlich.

Ez 1,18 beschreibt beispielsweise ein Wesen. Und es beschreibt dieses Wesen so, dass es durchaus im Bereich der Vorstellbarkeit bleibt. Wenn Offb 4,8 dieses Bild aufnimmt, so tut diese Stelle es jedoch auf eine Art und Weise, dass das beschriebene Wesen völlig unvorstellbar bleibt. Dies scheint gewollt zu sein. Offenbar geht es hier lediglich um eine symbolische Assoziation der Bilder, also nicht um eine direkte Übernahme der alttestamentlichen Bildwelt.

Ein weiteres Beispiel in dieser Reihe ist die Übernahme des Bildes vom versiegelten Buch aus Ez 2,1 in Offb 5,1. In der Offenbarung des Johannes wird nun nämlich nach jedem Siegel, das erbrochen wird, ein weiterer Teil des Buches lesbar. Dies ist absolut unlogisch. Ein siebenfach versiegeltes Buch wird logischerweise erst nach Erbrechen aller Siegel lesbar. Vorher kann das Buch gar nicht geöffnet werden.

Weitere Bilder, die in sich nicht vorstellbar sind, finden sich etwa in Offb 19, wo von einem Reiter gesprochen wird, der auf einem weißen Ross sitzt und dem ein zweischneidiges Schwert aus dem Mund hervorkommt.

Auch die vierundzwanzig Ältesten, die jeweils ein Rauchfass schwingen und gleichzeitig Zither spielen, aus Offb 5,8 sind ein nur schwer vorstellbares Bild.

Die Offenbarung verwendet demnach vorgeprägte Metaphern, ohne dass dieselben im einzelnen genau aufeinander abgestimmt sein müssen. Sie geht dabei ganz ähnlich vor, wie beispielsweise die moderne Musik, die ja auch ganz bewusst Dissonanzen einsetzt, um ihren Ausdruck zu erreichen. Es handelt sich alles in allem demnach um ein Buch mit hoher symbolischer Qualität.

2. Die Erlebnisechtheit

Dies beantwortet im Grunde auch schon die Frage nach der Erlebnisechtheit der hier geschilderten Visionen, eine Frage, die in der Vergangenheit viel diskutiert wurde. Kann man davon ausgehen, dass ein Mensch diese Visionen wirklich gehabt hat?

Früher versuchte man dem Verfasser tatsächlich solche ekstatischen Visionen zuzuschreiben. Dies ist aber zu einfach. Natürlich steckt zwar auch in der Johannes-Apokalypse echtes, visionäres Erleben. Das ganze Buch aber auf diesem Hintergrund betrachten zu wollen, verkennt die kunstvolle Struktur der Schrift. Die Visionen, die der Verfasser durchaus gehabt haben mag, werden hier nämlich im Horizont der damaligen Tradition kunstvoll verarbeitet.

Ein Hinweis auf diese kunstvolle Komposition sind schon die zeitgeschichtlichen Anklänge, die die Offenbarung des Johannes aufweist. Mittels der Bilder wurde auf zeitgenössische Zusammenhänge angespielt, etwa auf die Verfolgungen und Personen des Kaisers Nero und eines Domitian.

Hier gilt es aber gleich vorsichtig zu sein. Denn nicht alles, was in der Offenbarung des Johannes begegnet, ist auf die Zeitgeschichte anzuwenden. Man darf die Texte nicht vergewaltigen.

Auch kann man nicht jede Vision allein aus den verwendeten Traditionen erklären. Man muss bei der Auslegung immer auch den endzeitliche Aspekt hinzuziehen. Es geht dem Verfasser nicht nur darum, an alte Verheißungen und Vorstellungen anzuknüpfen. Er schreibt in und für die begonnene Endzeit. Er schreibt eine Endgeschichte.

Aber auch hier gilt wiederum die Einschränkung mitzudenken, dass sich die Zeit- und die Endgeschichte in dieser Schau nicht gegenseitig ausschließen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders vermerkt folge ich meinem Lehrer Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament II - nicht autorisierte Vorlesungsmitschrift des WS 1980/81 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.). Zur Anmerkung Button