Die Bibel
Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...
Der Osterglaube als Interpretationsfolie ⋅1⋅
- 1. Vorösterliche und nachösterliche Tradition
- 2. Die nachösterliche Brille der Evangelien
- 3. Auslegung der Worte Jesu auf neue Situationen hin
All die Erinnerungen an Jesus und sein Wirken sind durch einen bestimmten Filter hindurchgegangen. Die Verfasser der Texte und diejenigen, die das Traditionsgut gesammelt haben, waren alle davon überzeugt, dass dieser Jesus von den Toten auferstanden war. Der Glaube an die Auferstehung Jesu von den Toten, der Osterglaube, prägt jede Zeile der Überlieferung.
1. Vorösterliche und nachösterliche Tradition
Wir können zwar vermuten, dass schon während des vorösterlichen Wirkens Jesu eine Traditionsbildung einsetzte und Berichte über ihn im Umlauf waren. Auch ist wahrscheinlich, dass Jesus seinen Jüngern seine Lehre oder substantielle Elemente seiner Lehre einprägte. ⋅2⋅ Zur eigentlichen christlichen Verkündigung aber kam es erst nach Ostern.
Diese nachösterliche Weitergabe der Lehre Jesu, ist nun aber anders, als alles was vorösterlich von ihm berichtet wurde. Er selbst wird nämlich nun in seine Predigt miteinbezogen. Er ist nicht mehr nur der Verkündiger, sondern er wird zum Verkündigten. Es ging nun nicht mehr nur darum, dass er etwas gesagt und getan hatte. Das, was er gesagt und getan hatte, wurde nun weitergegeben als etwas, was vom auferstandenen Herrn gesagt und getan worden war.
2. Die nachösterliche Brille der Evangelien
Das heißt nun aber, dass der irdische Jesus im Licht von Ostern gesehen wird. Machtvolle Züge des erhöhten Kyrios werden jetzt aus dem nachösterlichen Blickwinkel bereits auf Jesus von Nazaret übertragen.
Die Konzeption und Darstellungsweise des Johannes-Evangeliums ist für diese Sicht wahrscheinlich das anschaulichste Beispiel. Die nachösterliche Brille bestimmt aber auch die anderen drei Evangelien in einem prägenden Sinn.
- Manche Wundergeschichten sind so gestaltet, dass Jesu Kyriostum in ihnen epiphan wird (Seesturm).
- Für manche Geschichten, die im Leben des irdischen Jesus spielen, hat man gefragt, ob sie nicht eigentlich Ostergeschichten sind, so etwa die Verklärung auf dem Berg oder der Wandel über den See. Selbst wenn man dies verneint, sind diese Geschichten ohne die österliche Perspektive nicht denkbar.
- Manche Geschichte lässt es aufgrund ihrer unterschiedlichen Einordnung in der Schwebe, ob sie vor- oder nachösterlich aufgefasst sein will. So etwa schildert Lukas die Erzählung vom reichen Fischfang (Lk 5,1ff) als Berufungsgeschichte. In Joh 21,1ff wird sie aber als Ostergeschichte, als Erscheinung des Auferstandenen, dargeboten.
Das ist nun vielleicht auf den ersten Blick verwunderlich und hat manchen schon zu dem entsetzten Aufschrei geführt, dass dann ja möglicherweise alles verfälscht worden sei. Bei genauer Betrachtung ist der Prozess, der hier abgelaufen ist, aber gar nicht so schwer zu verstehen.
Die Christen damals haben sich schließlich nicht einfach Begebenheiten aus dem Leben Jesu weitergesagt. Sie haben zum Glauben daran gefunden, dass der gekreuzigte Christus auferweckt worden ist und lebt. Diesen Glauben - und nicht biographische Berichte -, diesen Glauben erzählten sie sich weiter. Und indem der irdische Jesus in den Glanz des erhöhten Christus eingetaucht wird, verschafft sich der die Gemeinde tragende Glaube Ausdruck, dass eben der gekreuzigte Christus auferweckt worden ist und lebt.
Die Evangelien sind darum nicht bloß die Erinnerung an das Gewesene. Sie sind zuallererst Zeugnis für den lebendigen Christus, sie sind Bericht und Kerygma, Bericht und Verkündigung zugleich, sie sind die Geschichte von einem Lebenden.
3. Auslegung der Worte Jesu auf neue Situationen hin
Genau in diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bedenken, dass die Worte Jesu, die man nun weitergab, für die Gläubigen nicht zuerst die Worte des einmal auf der Erde gelebt habenden Jesus von Nazaret waren. Sie waren für sie das Wort des nun erhöhten, bei Gott lebenden und der Gemeinde zugewandten Christus.
So erst wird begreiflich, dass nun ein ganz eigener Prozess einsetzte; ein Prozess, den man sich wirklich vor Augen führen muss, um die Evangelien zu verstehen.
Man griff nun nämlich auf das Wort Jesu zurück, um sich für neue, im konkreten Leben der nachösterlichen Gemeinde entstandene Fragen und Probleme Rat zu holen.
Und weil diese Probleme jetzt neu waren, man also für diese Problematik gar keine eigenen Worte Jesu hatte, weil man aber dennoch an der Weisung Jesu anknüpfen wollte, deshalb legte man Jesu Weisung in die neu entstandenen Situation hinein aus.
Dies ist ganz ähnlich, wie wenn heute gepredigt wird. Der Prediger geht ja von einem Jesuwort aus, aber er legt letztlich die aktuelle Situation dazu. Und er fragt dementsprechend nicht sosehr danach, was Jesus den Menschen damals mit diesem Wort sagen wollen, er legt das Jesuswort vielmehr auf diese aktuelle Situation hin aus.
Hier wird erneut deutlich, dass die Evangelien ganz stark auf dem Hintergrund der urchristlichen Verkündigung zu verstehen sind. Sie sind so etwas wie der schriftliche Niederschlag dieser Verkündigung. Die Evangelien sind daher so etwas wie die Predigt der ersten Christen und sie geben uns daher auch einen Einblick in die Predigt, Katechese und Apologetik der ältesten Christenheit.
Beispiele für diese Auslegung von Jesusworten in die neue Situation hinein sind in den Evangelien zahlreich vertreten. Am deutlichsten sind vielleicht jene, wo direkt neben die alte Überlieferung eine neue Auslegung gestellt wurde.
- Dies ist etwa bei Gleichnissen der Fall, die mit einer eigenen Interpretation versehen wurden, wie die Gleichnisse vom Sämann, vom Unkraut unter dem Weizen oder vom Fischnetz (vgl.: Mt 13,18-23 parr. mit Mt 13,36-43. 49f).
- Dieser Prozess greift aber auch unmittelbar in die Neugestaltung von Jesusworten hinein. Das heißt Worte Jesu wurden um- und neuformuliert, um in seinem Geist eine Antwort auf die neu eingetretene Situation geben zu können. ⋅3⋅
Anmerkungen
(Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 26.)
(Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 27.)