Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Gruppen, die im Evangelium erwähnt werden ⋅1⋅

Nach diesem Durchmarsch durch theologische Auffassungen und dem Blick auf den Versuch einer Erneuerung des Judentums zur Zeit Jesu, wie wir sie aus Schriften von Qumran erheben können, möchte ich nun einen Blick auf Gruppen in Israel werfen, die uns direkt aus dem Evangelium bekannt sind. Es sind dies die sogenannten Pharisäer, Schriftgelehrten, Sadduzäer und Zeloten. Sie spielen in den neutestamentlichen Schriften ja immer wieder eine Rolle. Bevor wir uns mit diesen Schriften selbst befassen, müssen wir zu klären versuchen, welche Bedeutung diese Gruppierungen für das Judentum zur Zeit Jesu hatten.

1. Die Pharisäer

Hier wäre die Gruppe der Pharisäer zuerst zu nennen. Pharisäer begegnen uns vor allem in den Evangelien ja immer wieder.

Doch ist es gar nicht so einfach, diese Menschen zu charakterisieren. Die Berichte in den neutestamentlichen Schriften sind ja eindeutig gefärbt und alles andere als wertfrei. Sie schildern die Pharisäer immer aus einem bestimmten Blickwinkel. Aus eigenen Schriften lassen sich die Pharisäer allerdings nur sehr schwer kennenlernen.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Überlieferungen in der rabbinischen Literatur sehr schwer zu datieren sind. So lässt sich nur sehr schwer ausmachen, welche pharisäische Schrift in welche Zeit gehört. Dies aber wäre notwendig, um die innere Entwicklung und das Gedankengut dieser eminent bedeutenden Gruppierung zu erheben. Trotzdem wird sich Folgendes sagen lassen:

a. Entstehung der Gruppierung der Pharisäer

Die Pharisäer sind wohl aus der Chassidim-Bewegung herausgewachsen. Die hasmonäische Usurpation von König- und Priestertum war langfristig wohl ein Anlass ihrer Entstehung.

Im Psalm 17 der Psalmen Salomos, der als pharisäsich gelten kann, ist - in Anspielung auf die Hasmonäer - von Leuten die Rede, die das Königtum an die Stelle ihres hohen Ranges (das heißt des Hohepriestertums) setzten und den Thron Davids durch den Übermut dieser Änderung verwüsteten (PsSal 17,4-6).

Hier lassen sich wohl die Wurzeln der pharisäischen Bewegung erahnen.

b. Der Name "Pharisäer"

Möglicherweise deswegen, weil sich die Pharisäer von der Bewegung der Chassidim abgesondert hatten, nannten sie sich selbst "peruschim". Dieses Wort bedeutet nämlich nichts anderes als "die Abgesonderten" und wird dann über das Griechische zu unserem Wort "Pharisäer".

Der Begriff kann aber auch besagen - und viele halten das sogar für wahrscheinlicher -, dass sich die Gruppe der Pharisäer innerlich getrennt hat, und zwar getrennt vom übrigen Volk. Daher dann die Bezeichung: "die Abgesonderten".

Die despektierliche Bezeichnung des Volkes als "amme-ha-arez" - d. h. Volk vom Land bzw. ungebildetes Volk - dürfte in pharisäischen Kreisen entstanden sein.

Wichtig ist jedoch, dass die Pharisäer ihre Absonderung nicht so weit trieben wie manche andere Gruppierung des zeitgenössischen Judentums. Sie blieben in den Städten und Dörfern und vor allem: sie blieben beim Tempel.

c. Hauptkennzeichen und Anliegen der Pharisäer

Das ändert nichts an der Tatsache das auch für die Pharisäer die Heiligung und Reinheit des Volkes das vordringlichste Anliegen war.

Das Hauptkennzeichen des Pharisäismus ist dementsprechend die Beobachtung von kultisch rituellen Reinheitsgesetzen in- und außerhalb des Tempels. ⋅2⋅

Der Kult wurde zur zentralen Metapher, was bedeutet, dass priesterliche Reinheitsvorschriften auch im Alltagsleben beobachtet wurden. Das Alltagsleben wurde ritualisiert und auf diese Weise geheiligt.

Man darf diese Form der Gottesverehrung, verbunden mit ihren zahlreichen Einschränkungen und Pflichtübungen, nun aber nicht einfach geringschätzen. Die Pharisäer waren eine Gruppe von Leuten, die es tatsächlich ernst meinten und deren Radikalität durchaus auch so etwas wie Hochachtung verdient.

d. Die Rolle des Gesetzes

Das Gesetz rückte bei den Pharisäern als Weg zum Heil ganz in den Mittelpunkt. Es wurde im Grunde sogar bedeutender als die Tempelkultpraxis.

Dabei wurde die Bedeutung des Gesetzes als Heilsweg noch dadurch gesteigert, dass man ihm vermutlich sogar kosmische Bedeutung zumaß. Das Gesetz war für die Pharisäer so etwas wie Gottes Schöpfungswerkzeug. Es stellte die Ordnung der Welt sicher.

e. Die "Überlieferung der Alten"

Neben dieses Gesetz trat nun aber in den pharisäischen Kreisen die sogenannte "Überlieferung der Alten". Sie bestand aus einer Sammlung von Auslegungsbestimmungen und Auslegungstraditionen. Diese Vielzahl der Einzelbestimmungen sollten helfen, das mosaische Gesetz im Alltag ganz konkret befolgen zu können.

Zu dieser "Überlieferung der Alten" gehörten etwa die zahlreichen Sabbatvorschriften, so zum Beispiel die Festlegung der Zahl der Schritte, die man am Sabbat gehen durfte, ohne das Gebot der Sabbatruhe zu verletzen, also der sogenannte Sabbatweg (vgl. Apg 1,12).

Die Anzahl dieser einzelnen Bestimmungen war alles andere als gering. Und das ist um so wichtiger, als diese Vielzahl der Vorschriften bei den Pharisäern genau die gleiche Verbindlichkeit hatten, wie die Weisungen des Gesetzes selbst. Sie galten als genauso verpflichtend.

f. Verschiedene Gruppierungen der Pharisäer

Sowohl diese "Überlieferung der Alten" als auch das mosaische Gesetz wurden aber im Pharisäismus nicht überall gleich ausgelegt. Es gab unter den Pharisäern nämlich durchaus verschiedene Gruppen, verschiedene Schulen. Und diese unterschiedlichen Gruppierungen vertraten in den Fragen der Gesetzesauslegung nicht nur unterschiedliche Standpunkte, sie bekämpften sich sogar gegenseitig.

Die bekanntesten Schulhäupter der phärisäischen Richtungen waren zur Zeit Jesu Hillel und Schammaj. Der eine, nämlich Hillel, galt dabei in seiner Gesetzesauslegung als Laxist, der andere als Rigorist. ⋅3⋅

In früherer Zeit lebten die Pharisäer in regelrechten organisierten Bruderschaften. Ob dies aber zur Zeit Jesu noch praktiziert wurde, ist umstritten. Vermutlich war es nicht mehr der Fall. Letztgültig zu entscheiden ist diese Frage allerdings nicht. Die neutestamentlichen Schriften schweigen sich über diesen Umstand aus und auch die außerbiblischen Zeugnisse geben bezüglich dieser Fragestellung nichts her.

g. Die Pharisäer in der Schilderung des Flavius Josephus

Solche außerbiblischen Zeugnisse über die Pharisäer besitzen wir übrigens vor allem durch die Schriften des Flavius Josephus. Bei ihm finden wir die wichtigsten Informationen über die spezifischen Vorstellungen der Pharisäier und ihrer Lehre.

(1) Vorherbestimmung und Freiheit

Wohl veranlasst durch das spezifische Interesse seines hellenistischen Leserpublikums berichtet uns Flavius Josephus vor allem etwas über die Vorstellungen der Pharisäer vom Verhältnis der menschlichen Freiheit zur göttlichen Vorherbestimmung.

Er schreibt ihnen dabei eine mittlere Position zu: Die Pharisäer gehen demnach davon aus, dass es Gott gefallen habe, die Macht des Schicksals und die menschliche Vernunft zusammenwirken zu lassen. Der Mensch ist demnach nicht völlig vorherbestimmt, aber er wirkt auch nicht völlig allein. Er wirkt mit der göttlichen Vorsehung zusammen.

(2) Leben nach dem Tod

Flavius Josephus bezeugt darüber hinaus den Glauben der Pharisäer an ein Fortleben des Menschen nach dem Tod. Damit bestätigt er das Zeugnis von Apg 23,8. Auch hier heißt es, dass die Pharisäer an die Auferstehung der Toten glaubten.

(3) Vorstellung vom Messias

In ihren eschatologischen Erwartungen richteten die pharisäischen Kreise ihre Hoffnung vorab auf das Kommen des königlichen Messias, also des Messias aus dem Haus Davids. Durch ihn werde Israel von jeder Bedrängnis und Unterdrückung befreit werden.

Diesen Schwerpunkt in der pharisäischen Eschatologie bezeugt auch der 17. Psalm der Psalmen Salomos, der - wie bereits gesagt - durchweg als pharisäisch eingestuft wird. Es heißt dort:

"Sieh darein, o Herr, und lass ihn erstehen als ihren König, den Sohn Davids, zu der Zeit, die du, Gott, dafür ausersehen hast, dass er herrsche über Israel, deinen Knecht." (PsSal 17,21 (Blatt X).)

h. Die Pharisäer und die Naherwartung

Während aber die Apokalyptik und manche jüdische Kreise der Auffassung waren, dass diese messianische Heilszeit unmittelbar bevorstand, waren die Pharisäer in diesem Punkt zurückhaltender bis skeptisch. Dies bewahrte sie davor - im Gegensatz zu den anderen Gruppen, die von der Naherwartung erfüllt waren -, das Ausbleiben dieser eschatologischen, endgültigen Heilszeit immer wieder zu erklären.

Von daher ist aber möglicherweise auch zu verstehen, warum die Pharisäer der Jesusbewegung so reserviert gegenüberstanden. Gerade die Bewegung um Jesus von Nazaret war ja eine sehr stark eschatologisch geprägte Bewegung. Dieser optimistischen Naherwartung aber standen die Pharisäer - wie gesagt - äußerst skeptisch gegenüber.

Das heißt jedoch nicht, dass die Pharisäer nicht offen gewesen wären für ein endzeitliches Kommen der Gottesherrschaft. Sie hüteten sich lediglich vor übertriebenem Optimismus. In dieser Hinsicht kann man sie durchaus als "Skeptiker ohne Resignation" bezeichnen.

i. Der einzelne im Gericht

Dementsprechend gab es auch bei den Pharisäern durchaus so etwas wie eine ausgesprochene Lehre über diese zukünftige Heilszeit. So rechneten die Pharisäer vor dem Beginn der Heilszeit mit einem endzeitlichen Gericht. In ihm würde jedem einzelnen Menschen gemäß seiner Werke vergolten.

In diesem Zusammenhang entstand in pharisäischen Kreisen das Bild vom himmlischen Schatz. Jeder Mensch hinterlegt gleichsam seine Liebeswerke und guten Taten in einem himmlischen Schatz, der ihm dann in diesem individuellen Gericht zugute kommt. Diese Vorstellung treffen wir dann ja auch in den Evangelien an (Mt 6,20-21; Mt 19,21 parr; Lk 12,33-34).

Sicher waren die Pharisäer im Blick auf die Erwartung des Gerichts zunächst ganz vom Vertrauen auf die eigene "Gerechtigkeit" getragen. Doch darf man ihnen hier kein Unrecht tun. Sie wussten mit Sicherheit auch darum, dass sie - wie jeder Mensch - letztlich auf die göttliche Barmherzigkeit angewiesen waren.

j. Ihre Stellung in der Öffentlichkeit

Alles in allem muss man demnach sagen, dass die Pharisäer von einem ernsthaften Bemühen geprägt waren, dem Willen Gottes in ihrem Leben zu entsprechen.

In ihrer ernsthaften Religiosität und ihrem Streben nach Heiligkeit, die sie ja nicht in der Abgeschiedenheit sondern im konkreten Alltag an den Tag legten, genossen die Pharisäer deshalb auch große Achtung in weiten Kreisen der Bevölkerung.

Flavius Josephus bemerkt, dass ihr Einfluss auf das Volk so groß gewesen sei, dass sämtliche gottesdienstliche Verrichtungen, Gebete wie Opfer, nach den Anweisungen der Pharisäer erfolgt seien.

Hinzu kam, dass diese Bewegung als Laienbewegung für alle offen stand. Gerade dadurch müssen die Pharisäer besonders anziehend gewirkt haben.

k. Ihre politische Haltung

In ihrer politischen Einstellung - darauf sei abschließend noch hingewiesen - waren sie sich allerdings nicht ganz einig. Hier wirkten die alten chassidischen Meinungsverschiedenheiten weiter.

Einerseits meinte man, man könne ein politisches Regime solange tolerieren, als es nicht in die religiösen Belange eingreife, selbst wenn es eine Fremdherrschaft war.

Andererseits konnte die Alleinherrschaft Jahwes so sehr in den Vordergrund gerückt werden, dass jegliche Kollaboration mit einer fremden Macht als verwerflich erscheinen musste. ⋅4⋅

2. Die Schriftgelehrten

Wenden wir uns nach diesem Überblick über die Pharisäer einer weiteren Gruppe zu, die in den neutestamentlichen Schriften immer wieder eine Rolle spielt: den Schriftgelehrten.

Ein Blick auf diese Gruppierung rundet gleichsam das Bild von den Pharisäern ab, denn die große Mehrheit der Schriftgelehrten zur Zeit Jesu waren gleichzeitig Pharisäer. Auch dies hat Einfluss und Bedeutung der Pharisäer insgesamt sicherlich nochmals vermehrt.

Doch gab es natürlich auch Schriftgelehrte aus den Reihen der Sadduzäer, jener priesterlichen Gruppierung, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden. Von daher betrachten wir die Schriftgelehrten hier als eigene Gruppierung.

a. Die Bezeichnung

In den Evangelien begegnen uns die Schriftgelehrten unter verschiedenen Namen. Sie werden

  • Gesetzeskundige - νομικός ["nomikós"] (Lk 7,30 u. ö.)
  • Gesetzeslehrer - νομοδιδάσκαλος ["nomodidáskalos"] (Lk 5,17)
  • und meistens γραμματεύς ["grammateús"], "Schriftkundige"

genannt.

b. Aufgabe

Die Schriftgelehrten kann man gleichsam als einen Berufsstand bezeichnen. Ihre Aufgabe bestand darin, die theologische Lehre zu vermitteln und - was nicht vergessen werden darf - die Rechtsprechung auszuüben.

Dies entsprach der doppelten Funktion der Bibel. Die Bibel, war ja nicht nur ein religiöses Buch, sie war ja gleichzeitig auch die Rechtssammlung Israels.

Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, gründeten die Schriftgelehrten theologische Schulen, in denen sie Schüler zu ihresgleichen ausbildeten.

Als solchermaßen gebildete und schriftkundige Leute waren die Schriftgelehrten selbstredend die geeignetsten Sabbatprediger in den Synagogen des Landes. Dadurch erhielten sie natürlich ungeheuren Einfluss auf die Bevölkerung.

c. Soziale Situation

Natürlich konnten die meisten Schriftgelehrten von diesen Tätigkeiten nicht leben. Auch gehörte es klassischerweise in der jüdischen Gesellschaft dazu, dass man von seiner Hände Arbeit lebte. Wer nur mit dem Kopf arbeitete und nichts anderes tat, als eben nachzudenken, war der jüdischen Gesellschaft im Grunde suspekt.

Schriftgelehrte werden ihren Beruf deshalb vielfach nebenberuflich ausgeübt haben. Ihre Haupteinnahmequelle dürfte in der Regel ein Handwerk gewesen sein. Bestes Beispiel für diesen Typus des Schriftgelehrten ist der spätere Apostel Paulus, der im Hauptberuf Zeltmacher, also soviel wie unser Sattler etwa, gewesen ist.

Daneben dürfte es natürlich auch vermögende Schriftgelehrte gegeben haben, die sich - abgesichert beispielsweise durch das Familienvermögen - ganz der Lehre widmen konnten. Sie aber dürften die große Ausnahme gewesen sein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in Sir 38,24-39,11 der Weisheitslehrer vor dem Doppelberuf gewarnt wird. In der Spätzeit - wohl aufgrund hellenistischer Einflüsse - stand man demnach rein geistiger Arbeit unvoreingenommener gegenüber als in klassischer Zeit. Vielleicht lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass es um die Zeitenwende eine Reihe israelitischer Schriftgelehrten gab, die sich ganz der Lehrtätigkeit hingaben und auf Unterstützung und Spenden angewiesen waren. Möglicherweise müssen wir also mit einer Reihe von Schriftgelehrten rechnen, die einzig und allein von dem lebten, was sie von der Bevölkerung an Zuwendungen erhielten.

3. Die Zeloten

Damit kommen wir zu einer weiteren Gruppe des Judentums zur Zeit Jesu; wiederum eine Gruppierung, die eng mit den Pharisäern verknüpft war, es handelt sich dabei um die sogenannten Zeloten.

a. Herkunft

Die Zeloten als selb­stän­dige Partei sind aus den Pharisäern her­vor­ge­gan­gen, und zwar aus deren linken, schammaitischen Flügel.

Flavius Josephus sagt von ihnen, dass sie in allen anderen Stücken mit den Pharisäern über­ein­kommen, nur mit großer Zähigkeit an der Freiheit hingen und Gott allein als ihren Herrn und König anerkennen würden.

Ihr Hervortreten ist mit einem besonderen politischen Ereignis verknüpft und zwar mit dem Census, der von den Römern in Judäa erhoben und vom ersten Statthalter Coponius und dem syrischen Legaten Quirinius eingezogen wurde.

Zum Widerstand gegen diese Maßnahme riefen ein Pharisäer namens Sadduk und ein aus der Gaulanitis stammender Mann namens Judas auf. Damit organisierten diese beiden eine neue Gruppierung in Israel.

Besagter Judas war wohl ebenfalls Pharisäer und Schriftgelehrter. Er wird an anderer Stelle auch Judas der Galiläer genannt. Das könnte durchaus ein Hinweis darauf sein, dass Galiläa für solche Anliegen besonders empfänglich war. Mehrere solcher - in den Augen der Römer - Unruhe stiftenden Gruppen scheinen ihren Ursprung in Galiläa gehabt zu haben.

b. Anliegen

Das Aufbegehren dieser neuen Gruppierung war theologisch motiviert. Auch den Zeloten ging es letztlich um die Heiligkeit Israels.

Die oberste Losung war die Alleinherrschaft Jahwes. Diese Alleinherrschaft Gottes ließ nicht zu, dass Israel unter einer heidnischen Macht verknechtet war.

Die Zeloten legten das erste Gebot des Dekalogs demnach politisch aus und auch das "Höre, Israel! Der Herr unser Gott ist der Herr allein" (Dtn 6,4), das jeder Israelit täglich zu beten hatte, belegten sie mit einer ganz konkreten Interpretation.

Das Idol der Zeloten wurde demnach die Gestalt des Pinhas aus der Zeit der Wüstengeneration. Von ihm wird in Num 25 berichtet, wie er sich über die Verunreinigung des Volkes durch die Vermischung mit den Midianitern ereiferte und in heiligem Zorn dagegen einschritt.

"Unter den Israeliten war einer, der zu seinen Brüdern kam und eine Midianiterin mitbrachte, und zwar vor den Augen des Mose und der ganzen Gemeinde der Israeliten, während sie am Eingang des Offenbarungszeltes weinten. Als das der Priester Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, sah, stand er mitten in der Gemeinde auf, ergriff einen Speer, ging dem Israeliten in den Frauenraum nach und durchbohrte beide, den Israeliten und die Frau, auf ihrem Lager. Danach nahm die Plage, die die Israeliten getroffen hatte, ein Ende." (Num 25,6-8.)

Da durch seine Tat - nach Auskunft des Berichtes im Buche Numeri - von Israel Schaden abgewandt wurde, fühlten sich die Zeloten angespornt, auch in ihren Tagen ähnlich gegen alles einzuschreiten, was die Heiligkeit des Volkes beeinträchtigen könnte.

c. Der Name

Ihren Namen "Zeloten", Eiferer, hatten sie sich wahrscheinlich selbst gegeben. Er kennzeichnet ihre Gesinnung, erklärt aber auch ihr Tun. Sich für Gott und das Gesetz zu ereifern, war in Israel eine anerkannte und ruhmvolle Sache. Ein Eiferer für Gott und das Gesetz zu sein, war demnach ein durchaus rühmlicher Name.

d. Charakterisierung der Zeloten

Die Denk- und Verhaltensweise der Zeloten wird nur begreiflich, wenn man sieht, dass

  • Gott und das Volk
  • und demnach also die Ehre Gottes und die Ehre, bzw. die Freiheit des Volkes

als voneinander untrennbare Dinge angesehen wurden. Wer Israel erniedrigte, der erniedrigte demnach gleichzeitig den Gott Israels. Deshalb sahen es die Zeloten als ihre Pflicht an, mit aller Macht gegen diejenigen vorzugehen, die Israel bedrückten.

Das auffälligste Merkmal dieses Vorgehens, war die skrupellose Anwendung von Gewalt. Dadurch meinten die Zeloten, letztlich dem Reich Gottes die Wege zu ebnen.

Natürlich waren auch sie davon überzeugt, dass letztlich Gott allein das Heil schaffen würde, aber sie glaubten, dass Gott - in der Art eines synergistischen Modells - sich von der Mitwirkung der Menschen abhängig gemacht habe. Ohne ihr Tun, ohne ihren Einsatz würde auch Gott nicht eingreifen.

Neben diesem auffälligen Merkmal der Gewaltanwendung, kann man bei den Zeloten auch eine radikal verschärfte Thorapraxis feststellen. Ihr Thora-Rigorismus ging im Letzten so weit, dass sie durchaus bereit waren, wenn es notwendig war, auf ihren Besitz zu verzichten.

Hinzu kam ihre Bereitschaft zum Martyrium. Wenn sie für die gerechte Sache sterben mussten, war das für die Zeloten ein Hinweis darauf, dass das Reich Gottes nicht mehr fern sein konnte.

Nicht verwunderlich ist, dass in ihren Kreisen eine ausgeprägte Vorstellung vom heiligen Krieg existierte.

Dabei besaß die Bewegung der Zeloten durchaus auch einen sozialrevolutionären Zug. Den Armen und Unterdrückten verhießen sie mit der Ankunft des Reiches Gottes die Wiedereinsetzung in ihr Recht und die Herstellung einer neuen Ordnung durch Gott.

e. Öffentliches Ansehen und Wirkung

Die Wirkung der Zeloten auf das Volk wird man - gerade auch durch diesen sozialrevolutionären Charakter - mit zunehmender Sympathie beschreiben können. Dies besonders bei der weithin in sozialer Not lebenden Landbevölkerung.

Letztlich aber steuerten die Zeloten das Volk in den Krieg mit Rom hinein, der 3 1/2 Jahrzehnte nach dem Tod Jesu begann und für Israel letzten Endes der Beginn einer Katastrophe war.

f. Die Zeloten und Jesus

Zwar werden die Zeloten als Gruppe in den Evangelien nicht eigens erwähnt, wohl aber begegnen uns einzelne, wahrscheinlich ehemalige Zeloten, im Umfeld Jesu. Simon, einer der Jünger Jesu, wird ausdrücklich "der Zelot" genannt (Lk 6,15; Apg 1,13).

4. Die Sadduzäer

Damit kommen wir zur nächsten großen Gruppe des Judentums zur Zeit Jesu. Nach den Pharisäern, den Schriftgelehrten und den Zeloten müssen wir nun von den Sadduzäern handeln.

a. Der Name Sadduzäer

Der Name "Sadduzäer" ist dabei von Sadok abgeleitet, einem maßgeblichen Priester aus Davids Umgebung (vgl. 2 Sam 15,24 u. ö.). Aus diesem Sadok ist bekanntermaßen das Priestergeschlecht der Sadokiden hervorgegangen.

Möglicherweise gaben sich die Sadduzäer diesen Namen nicht selbst. Er wurde ihnen vielleicht von anderen und dann mit einem polemischen Akzent gegeben.

b. Die Herkunft der Sadduzäer

In den Evangelien, in denen die Sadduzäer immer wieder genannt werden, wird diese Gruppierung gelegentlich in einem Atemzug zusammen mit den Pharisäern genannt (Mt 3,7; Mt 16,1. 6. 11-12; Mt 22,34). Dabei ist es äußerst wichtig zu beachten, dass wir es bei den Vertretern dieser beiden Gruppen mit recht unterschiedlichen Leuten zu tun haben.

Schon zur Zeit der Hasmonäer verhielten sich die Sadduzäer ganz anders als die übrigen jüdischen Gruppen. Die Sadduzäer waren im Gegensatz zu Chassidim und Pharsiäern die Parteigänger der Hasmonäer-Herrscher.

c. Charakterisierung der Mitglieder

So gehörten zu den Sadduzäern auch vor allem die Vornehmen und Reichen, die Angehörigen der hohenpriesterlichen Familien und die Aristokratie. Die Sadduzäer waren demnach die Partei der Herrschenden, die zwar untereinander durchaus nicht homogen gewesen sind, aber nach außen, gegenüber den anderen Bevölkerungsteilen, dennoch durchaus zusammenhielten.

Aus den Reihen der Sadduzäer ging in den letzten siebzig Jahren des jüdischen Staates demnach auch regelmäßig der amtierende Hohepriester, der höchste jüdische Vertreter der Macht, hervor.

d. Machtfülle

Zur Zeit Herodes d. Gr. war die Machtfülle der Sadduzäer noch eingeschränkt. Sie konnten dessen römische Universalpolitik nicht akzeptierten und wurden von ihm daher in ihrer Macht beschnitten.

Nachdem die Römer die Herrschaft über Juda übernommen hatten, verfestigte sich aber die Machtposition der Sadduzäer. Sie waren durchaus bereit mit den römischen Statthaltern zu kooperieren und erlangten von ihnen folglich auch eine Fülle von Privilegien.

e. Theologie

Wenn wir die Theologie der Sadduzäer in den Blick nehmen wollen, dann müssen wir zunächst festhalten, dass auch für sie der Begriff Israel als heiliges Volk Ausgangspunkt war. Sie sahen die Heiligkeit Israels aber am ehesten durch den Tempel gewährleistet. In ihm wurden die gültigen Opfer dargebracht, die das Volk und das Land entsühnten.

Ein national-partikulärer Tempelstaat in den Grenzen des Reiches, wie es einst König David besaß, wäre demnach für die Sadduzäer auch die Erfüllung ihrer heilseschatologischen Erwartung gewesen.

So erwiesen sie sich in ihrem theologischen Denken als konservativ in dem Sinn, dass sie alle Neuerungen ablehnten. Vermutlich betrachteten sie auch lediglich den Pentateuch, also die ersten fünf Bücher der Heiligen Schrift, als verbindliches Gesetzeswerk.

Die pharisäsischen Auslegungstraditionen, also die sogenannten "Überlieferungen der Alten", akzeptierten sie nicht.

Auch teilten die Sadduzäer nicht die apokalyptisch-eschatologischen Hoffnungen. Nach ihrer Meinung gab es weder ein Fortleben nach dem Tod noch eine Auferstehung der Toten. Das Heil verwirklicht sich nach Auffassung der Sadduzäer rein innergeschichtlich.

Darüber hinaus leugneten die Sadduzäer die Existenz von Engeln und Geistern, zumindest nach Auskunft der Apostelgeschichte.

So heißt es in Apg 23,8:

"Die Sadduzäer leugnen nämlich die Auferstehung sowie das Dasein von Engeln und Geistern, die Pharisäer dagegen nehmen beides an." (Apg 23,8.)

Damit ist vermutlich die ausgeprägte Engellehre gemeint, die sich in Teilen des zeitgenössischen Judentums herausgebildet hatte. Sie ging ja von einem richtiggehenden himmlischen Hofstaat aus.

Auch in diesem Punkt blieben die Sadduzäer demnach bei den Aussagen der Schrift in ihrem alten Bestand. Über das Sprechen von Engeln, wie es im Pentateuch anzutreffen ist, gingen sie vermutlich nicht hinaus. ⋅5⋅

Flavius Josephus berichtet zudem über die Sadduzäer, dass sie das Geschick des Menschen allein vom menschlichen Willen abhängig machten. Es erginge dem Menschen demnach allein so, wie er es selber wolle und durch seine Taten verdiene. Das Geschick des Menschen sei daher auch nicht von Gott vorherbestimmt.

Aus den Schilderungen von Flavius Josephus gewinnt man beinahe den Eindruck, als stelle er die Sadduzäer für seine hellenistischen Leser als eine den Epikuräern vergleichbare Gruppe dar. Biblisch gesehen erinnert das an die Gedankenwelt, die den Hintergrund zum Buch Kohelet abgibt.

f. Die Sadduzäer und die Politik

Wenn wir die politische Seite der Sadduzäer in den Blick nehmen, dann müssen wir sagen, dass sie in ihrem Wirken Realpolitiker gewesen sind. Daher mögen sie den frommen jüdischen Kreisen in ihrer Gesinnung als "aufklärerisch" erschienen sein.

Sei noch hinzugefügt, dass die Sadduzäer in der Kriminalgerichtsbarkeit eine strengere Rechtspraxis als andere jüdische Kreise verfolgten.

g. Zum Verhältnis der Sadduzäer zu den Pharisäern

Blicken wir abschließend kurz auf das Verhältnis der Sadduzäer zu den Pharisäern. Dieses Verhältnis ist recht schwer zu umschreiben.

Der politische Einfluss der Pharisäer zur Zeit der römischen Statthalter war im Vergleich zu dem der Sadduzäer sicher geringer. Doch gab es seit der Königin Salome Alexandra, gestorben 67 v. Chr., auch in der Gerusia bereits Pharisäer.

Beide Parteien, Pharisäer und Sadduzäer, waren aber vielfach gezwungen miteinander auszukommen. Die Sadduzäer besaßen die Macht, die Pharisäer hatten den Einfluss auf das Volk. So mussten die einen auf die anderen immer wieder Rücksicht nehmen.

Nach diesen Bemerkungen zu den Gruppen in Israel im Rahmen unseres Überblicks über die geistig-religiöse Lage, möchte ich abschließend noch einen Blick auf die soziale Lage zur Zeit Jesu werfen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 60-66. Zur Anmerkung Button

2 Nach J. Neusner (vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 60). Zur Anmerkung Button

3 K. Schubert spricht von einem demokratischen Prinzip in der pharisäischen Gesetzesinterpretation.
(Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 61.) Zur Anmerkung Button

4 Zum linken Flügel der Pharisäer sind die Schammaiten zu zählen.
(Vgl.: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 62.) Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: Werner Dommershausen, Die Umwelt Jesu - Politik und Kultur in neutestamentlicher Zeit (Freiburg 1977) 56-57; etwas unreflektiert dagegen die Angabe in: Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth (Herders Theologischer Kommentar zum NT - Supplementband 3) (Freiburg/Basel/Wien 1990) 65. Zur Anmerkung Button